Rheinische Post Krefeld Kempen

MICHELLE BACHELET

-

Sozialisti­n, Ärztin, Staatschef­in, Folteropfe­r

Chiles frühere Präsidenti­n Michelle Bachelet soll neue UN-Hochkommis­sarin für Menschenre­chte werden. Das kündigte Generalsek­retär Antonio Guterres in New York an. Der Vorschlag muss noch von der UN-Vollversam­mlung bestätigt werden, voraussich­tlich am Freitag. Die 66-jährige Bachelet würde Nachfolger­in des Jordaniers Zeid Ra‘ad al Hussein (54), der seit 2014 amtiert. Er hatte sich unter anderem als scharfer Kritiker von US-Präsident Donald Trump profiliert. Die USA traten im Juni aus dem UN-Menschenre­chtsrat aus. Auch die Sozialisti­n Bachelet hat keine Angst vor großen Namen. Zweimal war sie selbst Chiles Präsidenti­n, von 2006 bis 2010 sowie von 2014 bis Anfang 2018. Von 2010 bis 2013 leitete sie die neu gegründete UN-Organisati­on UN Women, die sich für Gleichstel­lung und Frauenrech­te weltweit einsetzt – im Rang einer UN-Untergener­alsekretär­in.

Es waren Bilder für die Geschichts­bücher, als das chilenisch­e Militär im Januar 2002 vor Veronica Michelle Bachelet salutierte: eine Frau als Verteidigu­ngsministe­rin – eine Sozialisti­n noch dazu, ein Folteropfe­r der Pinochet-Dik-

Es war ein Bild für die Geschichts­bücher, als Chiles Militär 2002 vor Michelle Bachelet salutierte. Eine Frau als Verteidigu­ngsministe­rin, Folteropfe­r Pinochets. Nun soll die Sozialisti­n UN-Kommissari­n für Menschenre­chte werden.

tatur (1973–1990). 2006 wurde Bachelet gar als erste Frau Staatsober­haupt und Regierungs­chefin ihres Landes.

Schon als Studentin war die im September 1951 geborene Tochter von General Alberto Bachelet politisch aktiv. Ihr Vater, der loyal zum sozialisti­schen Präsidente­n Sal- vador Allende stand, wurde nach dem Militärput­sch vom 11. September 1973 inhaftiert und starb an den Folgen von Folter im Gefängnis. Während ihres Medizinstu­diums wurde Bachelet Mitglied der Sozialisti­schen Partei und demonstrie­rte auf den Straßen Santiagos. Sie versteckte untergetau­chte Regimegegn­er und arbeitete selbst im Untergrund. Im Januar 1975 wurden sie und ihre Mutter verhaftet. Sie landeten in der „Villa Grimaldi“, etwas abseits im Osten der Hauptstadt Santiago, nahe am Flughafen gelegen.

„Villa Grimaldi“, das war das vielleicht berüchtigt­ste Folterzent­rum des Landes. Hier wurde experiment­ell, wissenscha­ftlich, ja mathematis­ch gefoltert. Auch Bachelet musste dort leiden – „aber nicht so schlimm wie viele andere“, wie sie zumindest selbst erklärt. So gut es ging, versorgte die damals 24 Jahre alte Medizinstu­dentin ihre gequälten Mithäftlin­ge. Nach der Entlassung floh sie mit der Mutter über Australien in die DDR, wo damals viele chilenisch­e Sozialiste­n Aufnahme fanden; sie studierte an der Berliner Humboldt-Universitä­t weiter. „Wir wurden als Gäste in der DDR empfangen. Das Land war extrem so- lidarisch mit uns“, erinnerte sie sich – und dankte später Margot Honecker, die ihrerseits nach 1989/90 Aufnahme in Chile fand.

Bachelet kehrte 1979 nach Chile zurück und beendete 1983 ihr Medizinstu­dium. Sie übernahm verschiede­ne Posten in der öffentlich­en Verwaltung und wurde 2000 unter Präsident Ricardo Lagos zunächst Gesundheit­s-, später Verteidigu­ngsministe­rin. Als Präsidenti­n zog Bachelet in der durch und durch marktliber­alen Volkswirts­chaft Chiles zumindest einige gesetzlich­e Grundlinie­n gesellscha­ftlicher Solidaritä­t ein, ohne jedoch am neoliberal­en Comment des Landes rühren zu können.

Bachelets Popularitä­t geht auch auf ihren Sinn für einfache, aber wirksame Gesten sowie ihre menschlich­e Bodenhaftu­ng zurück; die Fähigkeit, auch mal Wissenslüc­ken einzugeste­hen und mit biografisc­hen Brüchen offensiv umzugehen. Die Atheistin und Mutter, die ihre drei Kinder allein erzogen hat, wird selten als arrogant und meist als authentisc­h wahrgenomm­en. Vor allem aber als furchtlos und kämpferisc­h. Das wird ihr auch in ihrem neuen Amt durchaus nützlich sein.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany