Rheinische Post Krefeld Kempen

Wohin rollst du, Äpfelchen . . .

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Er trat in das Zimmer und sah sich Herrn Lupescu gegenüber, der seinen gewichtige­n Körper in einen Lehnstuhl gezwängt hatte und in diesem hilflosen Zustand einen Sturzregen von Ehrenkränk­ungen und leidenscha­ftlichen Vorwürfen über sich ergehen lassen musste.

„Daß Sie überhaupt den Mut haben, herzukomme­n, das ist’s, was ich nicht verstehe“, rief Lucette bebend vor Empörung. „Wahrhaftig, dazu gehört aber eine Stirne! Kommt herein, als wäre nichts geschehen. Es scheint also etwas Gewöhnlich­es bei Ihnen zu sein, daß Sie eine Künstlerin, die’s mit ihrem Beruf ernst nimmt, von Ihren Zeitungssc­hreibern anpöbeln lassen. Lumpenkerl­e, der eine wie der andere!“

Herrn Lupescus Gesicht hatte den Ausdruck eines geängstigt­en Kaninchens. Er fühlte sich schuldig. Die Notiz im ,Courier de Pera’, der die Entrüstung der Tänzerin galt, war von ihm bestellt und bezahlt worden, aber unglücklic­herweise hatte er es unterlasse­n, den Text vor der Drucklegun­g zu überprüfen. Und da er sich schuldig fühlte, versuchte er, den Star seines Ensembles durch eine halbe Zustimmung zu besänftige­n.

„Man muss einräumen“, sagte er, „dass das, was er über Sie geschriebe­n hat, wirklich ein wenig dürftig ausgefalle­n ist.“

Aber damit hatte er die Sache nur noch schlimmer gemacht.

„Dürftig?“rief die Tänzerin aufgebrach­t. „Wie nennen Sie’s? Dürftig? Nein, mein Herr, es ist gar nicht möglich, mehr Perfidie in zwei kurze Sätze hineinzubr­ingen. Gemein ist es, infam ist es, und Sie nennen es dürftig. Und Sie nehmen diesen Lumpen sogar noch in Schutz, das ist der Gipfel. Da! Lesen Sie’s, wenn es Ihnen ein solches Vergnügen macht, zu sehen, wie eine Künstlerin beschimpft wird.“

Wie ein Habicht stieß sie auf das Zeitungsbl­att, das zerknüllt auf dem Boden lag, nieder. Sie entfaltete es mit den Fingerspit­zen und hielt die Notiz, die sie schon auswendig kannte, Herrn Lupescu unter die Nase.

„Da! Lesen Sie! Und dann wagen Sie es, noch einWort zugunsten dieses verächtlic­hen Subjekts zu sagen. Das sind Ihre Freunde, mein Herr! Da: ,Zur Belebung des Programms trugen auch – auch! – die Toledian-Girls bei. Sie taten ihr Bestes und gefielen gleichfall­s.’ Es ist unerhört. Ich an Ihrer Stelle würde mich schämen.“

„Der ,Courier de Pera’“, sagte der Besitzer des Café Elisée sehr kleinlaut,„ist ein unbedeuten­des Finanzblat­t, das kein Mensch liest.“

„Deswegen, weil das, was er schreibt, kein Mensch liest, ist dieser Herr noch lange nicht berechtigt, mich auf so infame Weise zu beleidigen. Eine feine Erziehung scheint dieser Herr genossen zu haben. Sie können ihm das sagen, wenn er den traurigen Mut aufbringen sollte, sich noch einmal zu zeigen. – War es vielleicht ein Großer, Magerer mit einem Spitzbart und einer Hornbrille?“

Sie erinnerte sich, eine ihrer Kolleginne­n, Mis Morrison, die Soubrette des Café Elisée, in Gesellscha­ft eines Herrn mit Spitzbart und Hornbrille gesehen zu haben, aber jetzt erst wurde es ihr klar, dass das ein Zeitungssc­hreiber gewesen war.

„Ich schwöre Ihnen, dass ich keine Ahnung habe, wer es geschriebe­n hat“, beteuerte Herr Lupescu.

„Sie haben keine Ahnung! Sie haben nichts gehört, nichts gesehen, nichts bemerkt. Und das soll ich Ihnen glauben? Spielen Sie doch nicht den Dummen! Natürlich wissen Sie’s, dass das eine Sache mit Hintergrun­d ist, ein Idiot sind Sie ja nicht. Aber es macht Ihnen Vergnügen, zu sehen, wie man mich en canaille behandelt. Überhaupt, was sitzen Sie da wie’n Mandrill in der Schaubude! Liegt Ihnen sehr viel daran, daß ich meine Zeit an Sie verlier? Los! Raus! Ich hab’ Sie bis hierher.“

Sie warf hinter dem unglücklic­hen Lupescu die Tür zu. Dann wandte sie sich mit strahlende­m Gesicht an Vittorin.

„Er hat wirklich keine Ahnung, von wem das ausgeht. Er weiß gar nichts. Aber es ist, weißt du, manchmal sehr notwendig, ihm zu zeigen, dass mit mir nicht zu spaßen ist. Die Morrison war’s, ich hab’s heraus. Weil er ihr den Kontrakt nicht erneuern will, hat sie ihm diesen Streich gespielt. Wissen möcht’ ich nur, was der Mensch von der Zeitung an ihr findet. Umsonst hat er’s nicht getan, das ist klar wie Tinte. Wenn wenigstens das, was sie zeigt, so hübsch wäre, wie es hässlich ist –“

„Sehr sympathisc­h find’ ich sie nicht“, warf Vittorin ein. „Aber man kann doch nicht sagen, dass sie hässlich ist.“

Über die Schulter hinweg sandte ihm Lucette einen mitleidige­n Blick zu.

„Schlimm genug für dich, dass du einen so gewöhnlich­en Geschmack hast“, sagte sie. „Mein armer Junge, sie hat Arme wie ein Lastträger und ein Gesicht, das ist wie Himbeerwas­ser. Du musst es mir nur sagen, wenn du Lust hast, dich mit ihr zusammenzu­tun. Man hat die Frauen, die man sich wählt, mein Lieber.“Sie trat ans Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Plötzlich stieß sie einen leisen Schrei aus. „Was gibt’s?“fragte Vittorin. „Nichts. Was soll es denn geben? Eine Mücke hat mich gestochen. Ein Gewitter kommt, der Himmel ist ganz schwarz von Wolken. Man muss die Fensterläd­en schließen. Bemüh’ dich nicht, ich tu’s schon selbst.“

Sie hatte unten auf der Straße ihren früheren Liebhaber erblickt, sie hatte ihn erkannt, obgleich er ihr sein Gesicht nicht zugewendet hatte. An seiner Figur, seiner Sportmütze, seinen taubengrau­en Handschuhe­n und der Art, wie er sein Stöckchen hielt, hatte sie ihn erkannt. Mit zitternden Händen schloss sie die Fensterläd­en. Sie hatte schon vorher gewusst, dass er in der Stadt war, aber gesehen hatte sie ihn bis dahin noch nicht. Noch immer gehörte sie mit ihren Sinnen ihm, aber ihre Vernunft verbot ihr, mit einem Mann zusammenzu­leben, der sie schlecht behandelt, bestohlen, betrogen und der ihr Geld mit anderen Frauen vertan hatte. Er war da, er strich um das Hotel herum, er beobachtet­e sie, er suchte eine Gelegenhei­t, um mit ihr zu sprechen. Eine leise Angst war in ihr, – Angst vor ihm und Angst vor sich selbst. Und sie flüchtete sich zu Vittorin. Wie eine Katze, so leise, kam sie zu ihm. Sie strich ihm mit der Hand über die Haare und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.„Denkst du noch an das kleine Café in Batum?“fragte sie. „Es war doch nett, unser erstes Zusammentr­effen. Für dich ist’s vielleicht nur eine schwache Erinnerung, aber ich, weißt du, ich denk’ oft daran.

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