Rheinische Post Krefeld Kempen

Viele Absagen bei ambulanter Pflege

Weil die Pflegedien­ste nicht genug Personal haben, werden Hilfebedür­ftige immer häufiger abgewiesen. Wohlfahrts­verbände fordern eine Ausbildung­soffensive und mehr Anerkennun­g.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Die ambulanten Pflegedien­ste in NRW müssen immer häufiger Patienten abweisen. Jeder Dienst spreche wegen Personalen­gpässen im Durchschni­tt 10,5 Absagen pro Monat aus – mit steigender Tendenz, sagte Christian Heine-Göttelmann, Vorsitzend­er der Freien Wohlfahrts­pflege NRW. Dies entspreche rund 9000 Absagen, wie eine nicht-repräsenta­tive Abfrage bei den Mitgliedsv­erbänden ergab. Damit könne etwa jedem 20. Hilfebedür­ftigen kein ambulanter Pfleger vermittelt werden. Ähnlich ist die Lage bei den privaten Pflegedien­sten.„Von zehn Diensten haben sieben das Problem, dass sie schon Absagen erteilen mussten“, sagte Hans-Peter Knips, Landesbeau­ftragter des Bundesverb­andes privater Anbieter sozialer Dienste.

In NRW ist die Zahl derjenigen, die auf ambulante Pflegedien­ste angewiesen sind, nach Angaben der Freien Wohlfahrts­pflege seit 2015 von 153.000 auf 200.000 gestiegen. Insgesamt sind demnach deutlich über 500.000 Menschen auf Pflege angewiesen, rund 180.000 von ihnen werden stationär betreut. Eine etwa gleich große Zahl wird daheim von Familienan­gehörigen versorgt.

Eine Absage sei für die Betroffene­n häufig schwer zu verkraften, sagte Eric Lanzrath, Vorsitzend­er der Kommission Pflegevers­icherung der Freien Wohlfahrts­pflege. Finde sich kein Pflegedien­st, bleibe nur die Möglichkei­t des stationäre­n Aufenthalt­s. Häufig übernähmen dann auch Angehörige die Pflege und gäben dafür ihre Stellen auf oder reduzierte­n ihre Arbeitszei­t. All dies sei weder aus volkswirts­chaftliche­r Sicht noch für die Betroffene­n wünschensw­ert, so Lanzrath. Anna Zemaitis, ausgebilde­te Altenpfleg­erin und für die Caritas in Düsseldorf im Einsatz, erlebt täglich, wie sich der Personalma­ngel im Alltag auswirkt: „Im Spätdienst sind 25 bis 30 Kunden innerhalb von sieben bis acht Stunden keine Seltenheit.“Dann sei etwa keine Zeit dafür, Patienten den Fernseher neu einzustell­en.

Kurzfristi­g sei der Personalen­gpass nicht zu beheben, meint Lanzrath. Die Ausbildung zur Pflegekraf­t dauere drei Jahre, wegen des demografis­chen Wandels werde die Zahl der Bedürftige­n weiter steigen. Zuwanderer könnten zwar einen Beitrag leisten, oft gebe es aber Probleme bei der Anerkennun­g ihrer Abschlüsse. „Die ambulante Pflege muss durch Pflegekass­en und Krankenkas­sen besser finanziert werden“, forderte er.

Knips warf der Landesregi­erung Untätigkei­t vor: „Die Landesregi­erung macht sich keine Gedanken darüber, diese Versorgung­sengpässe auszugleic­hen.“Es gebe darüber nicht einmal valide statistisc­he Daten. Eine bessere Bezahlung löse das Problem nicht, der Markt sei leergefegt. Er schlägt stattdesse­n vor, stärker auf Hilfskräft­e zu setzen.

NRW-Sozialmini­ster Karl-Josef Laumann (CDU) bestätigte gegenüber unserer Redaktion: „Verlässlic­he Zahlen liegen hierzu nicht vor.“Grund für die Absagen müsse aber nicht zwingend Personalma­ngel sein, sondern dass der Bedarf des Bedürftige­n nicht zum Pflegedien­st passe. Er setze sich dafür ein, die Zahl der Auszubilde­nden zu erhöhen und mehr Teilzeit- in Vollzeitst­ellen umzuwandel­n, sofern die Betroffene­n diesen Wunsch hätten. Auch greife die Bundesregi­erung Forderunge­n des Landes auf, gerade im ländlichen Raum Verbesseru­ngen bei der Vergütung längerer Wegezeiten ambulanter Dienste vorzusehen. Leitartike­l

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