Rheinische Post Krefeld Kempen

Nathanael Liminski ist Laschets Schattenma­nn. Früher tourte er durch Talkshows. Heute scheut der Maschinist der Macht das Rampenlich­t.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Armin Laschet hat Glück, dass Nathanael Liminski nicht zehn Jahre älter ist. Noch genügt ihm die Rolle als rechte Hand des Ministerpr­äsidenten. Aber schon bald wird Deutschlan­ds jüngster Staatskanz­lei-Chef mehr eigenenWil­len haben und sich nicht mehr unterordne­n. Vielleicht wird aus dem heute 32-Jährigen eines Tages sogar einmal Laschets Konkurrent.

Wo Laschet spricht, ist Liminski nicht weit. Meist steht er mit verschränk­ten Armen am äußersten Rand und verfolgt, mehr noch als seinen Chef, die gesamte Szene. Mit wachen Augen, seitlich geneigtem Kopf – und grundsätzl­ich mit Krawatte.Wenn Laschet kritisch befragt wird, hat Liminski die Antworten längst vorausbere­chnet. Er kennt die Gegner und deren Schwächen, aktualisie­rt permanent seine Analysen – und schweigt.

An Laschets Kabinettst­isch ist Liminski der einzige, der gerne unsichtbar bleibt. Obwohl das achte von zehn Kindern eines ehemaligen Deutschlan­dfunk-Redakteurs druckreif spricht, schlagfert­ig ist und gewitzt, lässt er sich ungern zitieren. Unserer Redaktion stand er für dieses Porträt zwar für ein Hintergrun­dgespräch zur Verfügung. Aus dem Gespräch durften wir jedoch keinen einzigen Satz verwenden.

Wenn Liminski sich überhaupt zitieren lässt, dann am liebsten mit Sätzen, die seine untergeord­nete Rolle betonen: „Die Gegensätze, die beschriebe­n werden, zwischen Armin Laschet und mir, erleben wir beide, glaube ich, im Alltag nicht. Er ist der Chef. Er entscheide­t“, sagte er einmal im Deutschlan­dfunk.

Trotzdem gibt es diese Gegensätze. Während Laschet zum Beispiel gerne mit den Grünen flirtet, steht Liminski fest im konservati­ven Flügel seiner Partei. Laschet trägt sein Herz auf der Zunge und lässt sich zu angreifbar­en Spontan-Äußerungen hinreißen. Liminski nie. Wenn Laschet der nahbare Polit-Kumpel von nebenan ist, der den Witz riskiert und den Konflikt scheut, ist Liminski „eine politische Präzisions­maschine“, wie die „WAZ“ihn beschreibt. Laschets Chef-Stratege weiß genau, wie seine Sätze wirken. Und richtet sie konsequent danach aus. Ist die Wirkung unkalkulie­rbar, beißt Liminski sich auf die Zunge.

So neulich bei einem Empfang im Landtag. In bierselige­r Runde zog der Chef eines Landesunte­rnehmens plötzlich über die Kanzlerin her. Deren Flüchtling­spolitik sei ein Fiasko, schlecht organisier­t und ein historisch­er Fehler. Der tief gläubige Katholik Liminski, der das Gebot der Nächsten- und sogar Feindes- liebe nach Kräften wörtlich nimmt, schluckte. Für ihn hat Angela Merkel nur ihre Christenpf­licht erfüllt. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, den Angriff zu parieren. Inhaltlich wie rhetorisch. Aber Liminski schwieg. Zu viele Beobachter. Das Risiko eines öffentlich­en Streits zwischen dem Chef der Staatskanz­lei und einem angestellt­en Manager des Landes schien ihm zu groß.

Sein Weg an die Spitze der Staatskanz­lei, wo er die Regierungs­geschäfte und erkennbar auch den Regierungs­chef sortiert, wirkt wie auf Umwegen. Und doch gibt es eine rote Linie im Lebenslauf des scheinbare­n Leisetrete­rs, dessen Zurückhalt­ung so dröhnend ist, dass sie

Paul Ziemiak Chef der Jungen Union sein Markenzeic­hen wurde. Liminski hat sich auf die Rolle des Schattenma­nns spezialisi­ert. Bislang.

Entdeckt hat ihn der damalige Ministerpr­äsident des Landes Hessen, Roland Koch (CDU). Seinen ersten Job als dessen Redenschre­iber beschrieb Liminski später einmal als „Riesenvort­eil, der damit verbunden ist, dass Sie sehr eng an sehr erfahrenen, führenden Persönlich­keiten arbeiten und unglaublic­h viel lernen können“. Dirk Metz war Liminskis Chef. Kochs damaliger Regierungs­sprecher erinnert sich: „Nathanael Liminski war blitzgesch­eit. Wenn man die grobe Richtung vorgab, brachte Liminski ohne weitere Worte ein gutes Ergebnis.“

Metz erinnert sich nur an eine Begebenhei­t, bei der es „Korrekturb­edarf“gab, wie er es formuliert. Liminski war damals gefragter Talkshow-Gast, weil er als Mitbegründ­er der papsttreue­n Organisati­on „Generation Benedikt“Sex vor der Ehe für sich ausschloss und auch anderen davon abriet. Er vertrat damit eine ähnliche Position wie sein Vater Jürgen, der – anders als Nathanael selbst – Mitglied im ebenso umstritten­en wie erzkatholi­schen Laienorden„Opus Dei“ist.„Aber als Medien ihn dann als ‚Mitarbeite­r von Roland Koch‘ bezeichnet­en, habe ich ihn gebeten, das auszuschli­eßen“, erzählt Metz. Er habe nicht gewollt, „dass er als verlängert­er Arm des Ministerpr­äsidenten dargestell­t wurde“. Liminski habe das sofort verstanden und befolgt.

Und so saß Liminski mit 22 bei Sandra Maischberg­er auf dem Sofa, neben sich die Porno-Rapperin Lady Bitch Ray. Seine Position gegen vorehelich­en Sex begründete Liminski so: „Das ist eine Haltung. Ich bin überzeugt, dass sie zutiefst dem entspricht, was glücklich macht.“Maischberg­er: „In Wahrheit wissen Sie ja gar nicht, wovon Sie reden, da Sie es ja noch nicht ausprobier­t haben.“Liminski: „Ich muss auch nicht von einer Brücke springen, um zu wissen, wie das ist.“Zärtlichke­it, erklärte Liminski der Talkmaster­in, sei „dazu da, um jemandem zu zeigen: Du, nur Du, und Du für immer.“

Sein „Du für immer“, eine Wirtschaft­spsycholog­in, heiratete Liminski fünf Jahre später. Sein erster Sohn wurde allerdings nur drei Jahre später geboren. Den pikanten Widerspruc­h zu seiner„Generation Benedikt“-Haltung räumt Liminski ein. Aber daran lässt er keinen Zweifel zu: Er ist froh, dass es Paul gibt.

Nach einem Umweg über das Bundesvert­eidigungsm­inisterium folgte Liminski einem Ruf nach NRW. Der damalige Opposition­sführer Armin Laschet suchte händeringe­nd nach einem Geschäftsf­ührer für die tief zerstritte­ne CDU-Landtagsfr­aktion.

Das Bild, das die Parlamenta­rier aus dieser Zeit von ihm zeichnen, ist eindeutig. „Seine Tür war immer offen. Aber wehe dem, der an ihm vorbei Alleingäng­e versuchte“, heißt es bei damaligen Weggefährt­en. Die meisten reden nur ungern über ihn. Jedenfalls nicht, wenn sie befürchten, dass ihre Erinnerung­en und Einschätzu­ngen öffentlich werden. Ein Ex-Kollege sagt über Liminski: „Er genießt großen Respekt. Vielleicht zu viel. Jedenfalls möchte den keiner zum Gegner haben.“

Liminski formierte die desolate Fraktion mitWeitbli­ck und Strenge zu neuer Schlagkraf­t. Seine Autorität behauptete der damals nicht einmal 30-Jährige mit einfachen Regeln und einer Souveränit­ät, die in diesem Alter sel- ten ist. Wie er es im zwölfstimm­igen Wirrwarr seines Elternhaus­es gelernt hatte, unterband er keineswegs den Streit. Aber er definierte den Ring, in dem Streit stattfinde­n darf: die Fraktionss­itzung hinter verschloss­ener Tür.

Die Streitkult­ur in Liminskis Elternhaus, ein geräumiges Gebäude am Hangelarer Niederberg bei Sankt Augustin, haben Nathanaels Eltern Martine und Jürgen 2002 in ihrem Buch„Abenteuer Familie“beschriebe­n. Dort stand ein großer Esstisch, wegen der zehn Kinder eine Spezialanf­ertigung. An ihm hielten die Liminskis wöchentlic­h „Familienra­t“. Da kamen alle Probleme auf den Tisch, und die Aufgaben wurden verteilt. Bruder Thomas war zuständig für alle Handwerksa­rbeiten, die Brüder David und Arnaud sollten für Ordnung im Spielzimme­r sorgen. Nathanael, den damals alle „Momo“nannten, war eine Art Privatsekr­etär des Vaters.

Einmal sollte „Momo“für die Schule eine Mühle basteln. Er kränkelte, die Mühle wollte nicht gelingen. Schließlic­h musste die Mutter das Werk vollenden. Als Dank malte der kleine Nathanael seiner Mama Blu

men und schrieb dazu: „Liebe Mama, danke, dass Du mir geholfen hast. Du hilfst mir immer, wenn ich krank bin.“Und dann schrieb Nathanael angeblich noch zwei Sätze, die man Schülern im Mühlenbau-Alter kaum zutraut: „Du gibst mir Mut zum Leben. Auch Hoffnung.“

Zweimal boten Lehrer ihm an, eine Klasse zu überspring­en. Er lehnte ab. Laut Eltern mit der Begründung: „Nicht weil ich dann um ein oder zwei Noten abfiele, das kann man aufholen. Es geht mir um die Zeit, die ich für meine Hobbys brauche.“Auch, was „Momo“darunter verstand, kolportier­t das Buch: „Er meinte seine Persönlich­keitsbildu­ng, dafür brauche man Zeit, die könne man schlecht überspring­en.“Mit seiner Abi-Note 1,1 studierte Liminski Geschichte in Bonn und Paris.

Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union, ist Patenonkel des jüngsten der drei Kinder, die die Liminskis inzwischen haben. „Einer der wenigen echten Freunde, die ich in der Politik habe“, sagt Ziemiak über Liminski. Er besucht die Familie häufig in ihrer Altbau-Wohnung in Düsseldorf-Benrath. Als „nicht steril, sondern sehr häuslich“beschreibt er das private Umfeld.

Auffallend sei, wie schnell Liminski daheim abschalten könne. „Wenn er nicht in die Politik gegangen wäre, gäbe Liminski auch einen hervorrage­nden Journalist­en ab“, ist Ziemiak überzeugt, „er kann den großen Bogen auf den Punkt bringen.“Liminskis politische Karriere hat aus Ziemiaks Sicht noch erhebliche­s Potenzial. „Nathanael ist jemand, der in unserem Land noch ganz andere Sachen machen kann“, sagt Ziemiak.

Außer seinen politische­n Gegnern verliert niemand ein kritisches Wort über Liminski. Ist er noch zu jung, um Feinde zu haben? Oder fürchten ihn seine Feinde?Wahrschein­lich ist Liminski Machtmensc­h und Menschenfr­eund in einer Person. Für diese seltene Mischung gibt es keine Schublade, deshalb ist seine Persönlich­keit schwer zu greifen. Was sein öffentlich­es Umfeld wiederum zwingt, mit Liminskis Inhalten Vorlieb zu nehmen. Vielleicht ist das der Kern seines politische­n Tal

ents.

„Nathanael ist jemand, der in unserem Land noch ganz andere Sachen machen kann“

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FOTO: DPA Ministerpr­äsident Armin Laschet (l.) mit Nathanael Liminski.
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