Rheinische Post Krefeld Kempen
Bass statt Hass
Zehntausende tanzen und feiern beim Gratiskonzert eine Woche nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen. Doch nach der Instrumentalisierung durch die Rechten zieren sich nun auch die Linken nicht.
Das eine Motto liefern die Veranstalter an diesem Montagabend in Chemnitz:„Wir sind mehr.“Auf mehr als 20.000 hoffen die Bands, die spontan zu Rock gegen Rassismus eine Woche nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen in der sächsischen Stadt eingeladen haben. Sie wollen ein Gefühl des Mehr-Seins vermitteln, Mehr-Sein als jene 6000, die nach der tödlichen Messerstecherei vor einer Woche aufmarschierten. Das andere Motto liefert zufällig die großformatige Kekswerbung nahe des Konzertes: „Lass krachen.“Ja, sie lassen es krachen in der Stadt der empörten und verunsicherten Bürger. Auch wenn der Auftakt etwas schräg daherkommt.
Denn bevor der in Chemnitz geborene Musiker Trettmann mit seinem Freiheitslied zur Eröffnung losrappt, gibt es nicht nur eine Schweigeminute für den getöteten Chemnitzer. Sondern die Bühne gehört auch dem Bündnis „Chemnitz nazifrei“. Und das kritisiert erst einmal die CDU, die den Rechtsextremismus in Sachsen verharmlose, und die Polizei, die gegen kleine Gruppen von Antifaschisten vorgehe, bei Rechtsextremisten jedoch überfordert sei. Gerade haben die Veranstalter noch kritisiert, dass die Vorgänge in Chemnitz von einer Gruppe für ihre politischen Ziele instrumentalisiert worden seien, als die „Nazifrei“-Sprecherin zur Solidarisierung mit dem„konsequenten Widerstand“im Braunkohlenrevier Hambacher Forst aufruft. Das erste „Hoch“gilt denn auch der„internationalen Solidarität“, dem Schlachtruf der Linken. „Wir sind alle Antifaschistinnen und Antifaschisten“, schallt es von der Bühne.
Ohnehin ist die Stimmung weit über Chemnitz hinaus aufgeladen, weil mit den Musikern von „Feine Sahne Fischfilet“auch eine Band auf die Bühne kommt, die der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern einige Jahre unter Linksextremismus-Verdacht gestellt hatte. Drastisch reagiert Sahne-Frontmann Jan „Monchi“Gorkow bei einer Pressekonferenz auf diese Debatte: „Ich gebe einen Fick darauf, wenn die uns scheiße finden, ich empfinde das als Kompliment“– und damit meint er den Verfassungsschutz als jene Behörde, die den rechtsterroristischen NSU ermöglicht und unterstützt habe. Campino von den Toten Hosen versucht zu vermitteln. Es gehe nicht um einen Kampf Links gegen Rechts. Vielmehr stelle sich al- les, was Anstand habe, gegen einen Rechtsaußen-Mob, der übergriffig werde. Zusammen wollten sie „dieses Betragen stoppen und zerstören, so lange es noch ein Schneeball ist und keine Lawine wird“. Das sei wohl auch im Sinne seines Oberbürgermeisters, schmunzelt Campino, schließlich sei Chemnitz die Partnerstadt Düsseldorfs.
Alle auftretenden Bands hatten auf ihren Seiten in den sozialen Netzwerken wahre Shitstorms erlebt.„Da muss man schon ein dickes Fell haben“, sagt Campino. Und erst recht als Bands zusammenstehen. „Kein Löschblatt“passe zwischen die Künstler an diesem Abend, meint der, der sich freut, dass die Toten Hosen als „alte Cowboys kurz vor der Rente“noch mitkommen dürfen. Die Rolle der Rockmusiker und Rapper an diesem Abend: „Wir können halt ein bisschen Radau machen“, sagt Campino.
Solidarität zwischen den Gruppen hat auch mit einschlägigem Unterstützungsbedarf zu tun. So erinnert der Rostocker Rapper Marteria an den rechtsextremistischen Mob in Rostock-Lichtenhagen, wo 1992 eine ganze Stadt inVerruf kam. Damals habe er mit Mutter und Schwester heulend im Wohnzim- mer gestanden, als Ausländerfeinde Molotowcocktails in ein Flüchtlingsheim warfen. Ähnlich argumentiert Monchi:„Ich würde mich schämen, nicht dabei zu sein.“
Und so strömen am späten Nachmittag immer mehr Menschen in die Stadt. Es sind nicht Hunderte, es sind Tausende, die allein per Bahn anreisen. So oft ein Zug einfährt, so oft füllt sich der Platz unweit des Tatortes von vor einer Woche mit mehr Menschen.Viele haben Transparente dabei. „Katzen würden Glatzen kratzen“, steht darauf. Oder „Hass ist krass, Liebe ist krasser“.
„Wir können mit einem Popkon- zert nicht die Welt retten“, sagt Felix Brummer von der Chemnitzer Band Kraftklub, die vor einer Woche die Initiative für dieses Konzert ergriff. Er habe vor zwei Wochen schon in Chemnitz gewohnt und werde das auch noch tun, wenn die Kameras wieder weg seien. „Aber manchmal ist es wichtig, dass man nicht allein ist“, sagt er und ruft „Vielen Dank“in die Menge, die nach Angaben der Stadt auf 50.000 angewachsen ist. Dicht gedrängt stehen sie am Abend auch auf der achtspurigen„Straße zum Samstag“, zu Hunderten verfolgen sie das Geschehen von der Dachetage eines Parkhauses. Und auch auf der Außentreppe eines gegenüberliegenden Hochhauses stehen und tanzen auf jeder der 14 Etagen viele Menschen.
Tausende singen bei Kraftklub mit, wenn sie über die „Verlierer“texten, die in Karl-Marx-Stadt geboren seien. Aber zum Schluss gibt es den Erfolgssong„Songs für Liam“. „Wenn du mich küsst“, heißt es im Refrain. Ein Pärchen am Rande des Platzes nimmt das wörtlich. Und ist sich anschließend sicher, dass es noch in vielen Jahren davon sprechen wird, an diesem ganz besonderen Abend dabei gewesen zu sein. Das hat Rapper Marteria schon am Nachmittag geahnt. Dieses Ereignis werde in die deutsche Musikgeschichte eingehen, sagte er.
Was sonst bleibt von diesem Abend wird die Nacht zeigen. Konsequent haben Stadtverwaltung und Polizei alle von Rechten geplanten Aufmärsche und jede noch so spontane Kundgebung untersagt. Einzig am Tatort unweit des Konzertortes braut sich kurz etwas zusammen, als erkennbar Rechte und erkennbar Linke sich unter die Trauernden mischen. Die Polizei geht dazwischen. Und noch während die letzten Lieder erklingen, fahren neue Einsatzfahrzeuge heran, springen Polizisten mit Helm und Schutzweste heraus, um den Platz zu sichern. Für sie ist die Nacht noch lange nicht vorbei.