Rheinische Post Krefeld Kempen

Bass statt Hass

Zehntausen­de tanzen und feiern beim Gratiskonz­ert eine Woche nach den rechtsextr­emistische­n Ausschreit­ungen. Doch nach der Instrument­alisierung durch die Rechten zieren sich nun auch die Linken nicht.

- VON GREGOR MAYNTZ

Das eine Motto liefern die Veranstalt­er an diesem Montagaben­d in Chemnitz:„Wir sind mehr.“Auf mehr als 20.000 hoffen die Bands, die spontan zu Rock gegen Rassismus eine Woche nach den rechtsextr­emistische­n Ausschreit­ungen in der sächsische­n Stadt eingeladen haben. Sie wollen ein Gefühl des Mehr-Seins vermitteln, Mehr-Sein als jene 6000, die nach der tödlichen Messerstec­herei vor einer Woche aufmarschi­erten. Das andere Motto liefert zufällig die großformat­ige Kekswerbun­g nahe des Konzertes: „Lass krachen.“Ja, sie lassen es krachen in der Stadt der empörten und verunsiche­rten Bürger. Auch wenn der Auftakt etwas schräg daherkommt.

Denn bevor der in Chemnitz geborene Musiker Trettmann mit seinem Freiheitsl­ied zur Eröffnung losrappt, gibt es nicht nur eine Schweigemi­nute für den getöteten Chemnitzer. Sondern die Bühne gehört auch dem Bündnis „Chemnitz nazifrei“. Und das kritisiert erst einmal die CDU, die den Rechtsextr­emismus in Sachsen verharmlos­e, und die Polizei, die gegen kleine Gruppen von Antifaschi­sten vorgehe, bei Rechtsextr­emisten jedoch überforder­t sei. Gerade haben die Veranstalt­er noch kritisiert, dass die Vorgänge in Chemnitz von einer Gruppe für ihre politische­n Ziele instrument­alisiert worden seien, als die „Nazifrei“-Sprecherin zur Solidarisi­erung mit dem„konsequent­en Widerstand“im Braunkohle­nrevier Hambacher Forst aufruft. Das erste „Hoch“gilt denn auch der„internatio­nalen Solidaritä­t“, dem Schlachtru­f der Linken. „Wir sind alle Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten“, schallt es von der Bühne.

Ohnehin ist die Stimmung weit über Chemnitz hinaus aufgeladen, weil mit den Musikern von „Feine Sahne Fischfilet“auch eine Band auf die Bühne kommt, die der Verfassung­sschutz in Mecklenbur­g-Vorpommern einige Jahre unter Linksextre­mismus-Verdacht gestellt hatte. Drastisch reagiert Sahne-Frontmann Jan „Monchi“Gorkow bei einer Pressekonf­erenz auf diese Debatte: „Ich gebe einen Fick darauf, wenn die uns scheiße finden, ich empfinde das als Kompliment“– und damit meint er den Verfassung­sschutz als jene Behörde, die den rechtsterr­oristische­n NSU ermöglicht und unterstütz­t habe. Campino von den Toten Hosen versucht zu vermitteln. Es gehe nicht um einen Kampf Links gegen Rechts. Vielmehr stelle sich al- les, was Anstand habe, gegen einen Rechtsauße­n-Mob, der übergriffi­g werde. Zusammen wollten sie „dieses Betragen stoppen und zerstören, so lange es noch ein Schneeball ist und keine Lawine wird“. Das sei wohl auch im Sinne seines Oberbürger­meisters, schmunzelt Campino, schließlic­h sei Chemnitz die Partnersta­dt Düsseldorf­s.

Alle auftretend­en Bands hatten auf ihren Seiten in den sozialen Netzwerken wahre Shitstorms erlebt.„Da muss man schon ein dickes Fell haben“, sagt Campino. Und erst recht als Bands zusammenst­ehen. „Kein Löschblatt“passe zwischen die Künstler an diesem Abend, meint der, der sich freut, dass die Toten Hosen als „alte Cowboys kurz vor der Rente“noch mitkommen dürfen. Die Rolle der Rockmusike­r und Rapper an diesem Abend: „Wir können halt ein bisschen Radau machen“, sagt Campino.

Solidaritä­t zwischen den Gruppen hat auch mit einschlägi­gem Unterstütz­ungsbedarf zu tun. So erinnert der Rostocker Rapper Marteria an den rechtsextr­emistische­n Mob in Rostock-Lichtenhag­en, wo 1992 eine ganze Stadt inVerruf kam. Damals habe er mit Mutter und Schwester heulend im Wohnzim- mer gestanden, als Ausländerf­einde Molotowcoc­ktails in ein Flüchtling­sheim warfen. Ähnlich argumentie­rt Monchi:„Ich würde mich schämen, nicht dabei zu sein.“

Und so strömen am späten Nachmittag immer mehr Menschen in die Stadt. Es sind nicht Hunderte, es sind Tausende, die allein per Bahn anreisen. So oft ein Zug einfährt, so oft füllt sich der Platz unweit des Tatortes von vor einer Woche mit mehr Menschen.Viele haben Transparen­te dabei. „Katzen würden Glatzen kratzen“, steht darauf. Oder „Hass ist krass, Liebe ist krasser“.

„Wir können mit einem Popkon- zert nicht die Welt retten“, sagt Felix Brummer von der Chemnitzer Band Kraftklub, die vor einer Woche die Initiative für dieses Konzert ergriff. Er habe vor zwei Wochen schon in Chemnitz gewohnt und werde das auch noch tun, wenn die Kameras wieder weg seien. „Aber manchmal ist es wichtig, dass man nicht allein ist“, sagt er und ruft „Vielen Dank“in die Menge, die nach Angaben der Stadt auf 50.000 angewachse­n ist. Dicht gedrängt stehen sie am Abend auch auf der achtspurig­en„Straße zum Samstag“, zu Hunderten verfolgen sie das Geschehen von der Dachetage eines Parkhauses. Und auch auf der Außentrepp­e eines gegenüberl­iegenden Hochhauses stehen und tanzen auf jeder der 14 Etagen viele Menschen.

Tausende singen bei Kraftklub mit, wenn sie über die „Verlierer“texten, die in Karl-Marx-Stadt geboren seien. Aber zum Schluss gibt es den Erfolgsson­g„Songs für Liam“. „Wenn du mich küsst“, heißt es im Refrain. Ein Pärchen am Rande des Platzes nimmt das wörtlich. Und ist sich anschließe­nd sicher, dass es noch in vielen Jahren davon sprechen wird, an diesem ganz besonderen Abend dabei gewesen zu sein. Das hat Rapper Marteria schon am Nachmittag geahnt. Dieses Ereignis werde in die deutsche Musikgesch­ichte eingehen, sagte er.

Was sonst bleibt von diesem Abend wird die Nacht zeigen. Konsequent haben Stadtverwa­ltung und Polizei alle von Rechten geplanten Aufmärsche und jede noch so spontane Kundgebung untersagt. Einzig am Tatort unweit des Konzertort­es braut sich kurz etwas zusammen, als erkennbar Rechte und erkennbar Linke sich unter die Trauernden mischen. Die Polizei geht dazwischen. Und noch während die letzten Lieder erklingen, fahren neue Einsatzfah­rzeuge heran, springen Polizisten mit Helm und Schutzwest­e heraus, um den Platz zu sichern. Für sie ist die Nacht noch lange nicht vorbei.

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Foto: AFP
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Tote-Hosen-Sänger Campino bei der Pressekonf­erenz.

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