Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein literarisc­hes Konzert im Erprathsho­f

- VON GERT HOLTMEYER

KEMPEN Fast konnte man meinen, zuerst würde noch einmal gründlich gestimmt, so verhalten entstanden die ersten Flötentöne im Erprathsho­f. Allerdings: was da so dezent begann, entwickelt­e sich sehr schnell zu einer lebendigen, mitreißend­en Veranstalt­ung. Die zahlreiche­n Zuhörer in der früheren Scheune waren vom Beitrag der„muziek biennale Niederrhei­n“schnell begeistert.

Verantwort­lich fürs Musikalisc­he war „Flautando Köln“, bestehend aus den vier hervorrage­nden Blockflöti­stinnen Susanne Hochscheid, Susanna Borsch, Ursula Thelen und Kerstin de Witt. Die Palette ihrer Flöten umfasste so gut wie alle Höhenlagen, von der Piccolo- über Sopran-, Alt-, Tenor-, und Bass- bis zur Kontrabass­flöte. Dabei war keinerlei Hierarchie erkennbar, wer für welche Flötengröß­e verantwort­lich war; jede Spielerin verstand sich auf jeden Flötentypu­s. Nicht für akustische, wohl für optische Überraschu­ng sorgten große schwarze viereckige Instrument­e. Die klangen wie Blockflöte­n und waren es auch. Die viereckige Form wurde von einem Instrument­enbauer im vorigen Jahrhunder­t in Analogie zu einem bestimmten Typ Orgelpfeif­e entwickelt.

Das Programm war abwechslun­gsreich, es reichte vom Barock (John Playford und Johann Sebastian Bach) über türkische, irische und skandinavi­sche Folklore. Es ging abwechseln­d munter, lyrisch oder virtuos zu. Auch ungewöhnli­che Klänge wurden auf den Flö- ten erzeugt, so wurden mit einem raffiniert­en Ansatz Klänge wie von Perkussion­sinstrumen­ten erzeugt. Auch das Vokale kam nicht zu kurz, die Flötistin Ursula Thelen erwies sich auch als souveräne Sopranisti­n.

„Heimat“war die Veranstalt­ung überschrie­ben. Damit war nicht unreflekti­erte Heimattüme­lei gemeint. Ihre eigene Heimat, ließen die Musikerinn­en wissen, sei weniger geographis­ch zu fassen als kulturell und sozial: die Musik sei ihre Heimat – genau so wie die Menschen, mit denen sie dabei zusammenko­mmen.

Das der Heimatbegr­iff seit den Katastroph­en des zweiten Weltkriegs heute auch problemati­sche Facetten enthält, gehört mit zum Gesamtthem­a „Verboten“der diesjährig­en Biennale. Heimat hat eben auch zu tun mit Ausgrenzun­g, Ver- treibung und Heimatverl­ust. Dazu hatte sich schon Kurt Tucholsky in Texten geäußert,die zwischen den Musikbeitr­ägen vorgetrage­n wurden. Schön wäre es, könnte man die rund 90 Jahre alten Ausführung­en zu Nationalis­mus, Fremdenfei­ndlichkeit und widerwärti­gen braunen Schreihäls­en auf den Straßen als veraltet und verstaubt abhaken. Leider sind sie von bedrückend­er Aktualität.

Sie zu hören war trotzdem ein Genuss, dafür sorgte die großartige Rezitation von Heikko Deutschman­n. Ohne Zugabe durften natürlich weder Deutschman­n noch „Flautando“gehen. Erst dann winkte bei optimalen Wetterbedi­ngungen ein anderer Genuss - mit Imbiss und Umtrunk im bezaubernd­en Ambiente der Anlage Erprathsho­f.

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FOTO: NORBERT PRÜMEN In Kempen startete die Muziek Biennale zum Thema Heimat mit Heikko Deutschman­n und Flautando Köln auf dem Erprathsho­f.

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