Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Drache im Land des Löwen

China verändert Afrika mit massiven Investitio­nen. Im Gegenzug gibt es neues Phänomen: Afrikanisc­he Migration in die Volksrepub­lik.

- VON JOHNNY ERLING, KRISTIN PALITZA UND JÖRN PETRING

KIGALI/PEKING Malou Jontilano hat keine freie Minute. Sie beantworte­t Textnachri­chten per Handy, liest Mails auf dem Computer und gibt ein Interview – und das alles gleichzeit­ig. Die drahtige Geschäftsf­ührerin der chinesisch­en Bekleidung­sfirma G&H Garments kurbelt seit drei Jahren mit mehr als 1000 Angestellt­en die Produktion im ostafrikan­ischen Ruanda an.„Afrika ist ein sehr attraktive­r Markt für uns“, sagt Jontilano.

Nicht nur in Ruanda, sondern in ganz Afrika baut Peking seinen Einfluss in hohem Tempo aus und fordert damit auch denWesten heraus. Mit einem Handelsvol­umen von zuletzt 170 Milliarden US-Dollar hat China sowohl die USA als auch die alte Kolonialma­cht Frankreich als wichtigste Handelspar­tner des Kontinents hinter sich gelassen.

China geht es bei seinem Engagement nicht mehr nur um die Sicherung von Rohstoffen. Als Antwort auf die steigenden Lohnkosten in der Heimat verlagern chinesisch­e Firmen Teile ihrer Produktion in afrikanisc­he Länder. Ihr Ziel sei es, das Label„Made in China“in„Made in Africa“umzuwandel­n, sagt Geschäftsf­ührerin Jontilano.

DasWerk von G&H Garments liegt in einer fast 300 Hektar großen Sonderhand­elszone am Rande von Ruandas Hauptstadt Kigali, die nach dem Vorbild derer errichtet ist, die in den 80er Jahren zur wirtschaft­lichen Öffnung Chinas beitrugen.

Hier investiere­n Dutzende private und staatliche chinesisch­e Unternehme­n. Nach Schätzunge­n der Unternehme­nsberatung McKinsey sind inzwischen mehr als 10.000 chinesisch­e Firmen in Afrika tätig und beschäftig­en mehrere Millionen Afrikaner.

Die Chinesen hoffen, dass die wachsende afrikanisc­he Mittelschi­cht zu einem zuverlässi­gen Abnehmer der eigenen Produkte wird. Je mehr der Handelsstr­eit mit den USA eskaliert, desto mehr rückt für Peking die Suche nach neuen Handelspar­tnern in den Fokus. „Interessan­t wird, wie stark sich China als Alternativ­e zu den USA präsentier­en wird, in dem es rhetorisch Freihandel und Multilater­alismus betont“, sagt Sabine Mokry vom China-Institut Merics in Berlin.

Peking will mit seinem Engagement auch seiner neuen Seidenstra­ße einen Schub geben und für neue chinesisch­e Infrastruk­tur-Projekte in Afrika werben. Mit dem Projekt neue Seidenstra­ße will die Volksre- publik die Handelsrou­ten mit dem übrigen Asien sowie Afrika und Europa ausbauen.

Schon jetzt haben zahlreiche chinesisch­e Megaprojek­te begonnen, den Kontinent zu verändern. In Kenia, Nigeria, Äthiopien, Tansania, Angola und Marokko haben die Chinesen wichtige Bahnlinien gebaut, tausende Kilometer Straßen geteert, Krankenhäu­ser und Regierungs­gebäude errichtet. Chinesisch­e Investoren finanziere­n sogar ganze Städte, wie Angolas fast neun Quadratkil­ometer große Nova Cidade de Kilamba.

Einhergehe­nd mit einer engeren Verflechtu­ng im Handel verfolgt China zunehmend auch militärisc­he Interessen in Afrika. Erst im Juli richtete Peking ein Militärfor­um mit afrikanisc­hen Staaten aus. Experten erwarten, dass China über die Militärkoo­peration mit Afrika auch seine Wirtschaft­sinteresse­n auf dem Kontinent wie auch seine Seewege sichern will. Seit 2017 unterhält China einen ersten Marinestüt­zpunkt im Ausland in Dschibuti am Horn von Afrika, von wo auch die eigenen Einsätze im UN-Kampf gegen Pira- ten unterstütz­t werden. China will auch in noch größerem Umfang als Waffenlief­erant und Ausbilder für das Militär afrikanisc­her Staaten agieren.

Während viele Afrikaner glauben, dass die Investitio­nen der Volksrepub­lik einen lange notwendige­n Entwicklun­gsschub ermögliche­n, beanstande­n Kritiker die „neokolonia­le Eroberung“Afrikas durch China. Peking habe keine Scheu, mit Autokraten zu arbeiten, solange es sich Zugang zu Afrikas Bodenschät­zen sichern könne, sagt der südafrikan­ische Wirtschaft­sexperte und Politologe William Gumede.

„Chinesen handeln Bauverträg­e im Austausch gegen Bergbaukon­zessionen aus, etwa in Sambia oder Simbabwe, oder sie vergeben, wie in Angola, Kredite, um sich einen Teil der Ölprodukti­on zu sichern“, so Gumede. Noch schlimmer: Der Handel zwischen China und Afrika sei einseitig, meint Gumede. „Afrikaner haben in China kaum neue Verträge gewonnen. Afrika macht damit absolut keinen Gewinn.“

Im Gegenzug muss sich nun allerdings auch China einem ganz neu- en Phänomen stellen: Einer Migrations­debatte. Im Zuge der engeren Beziehunge­n haben sich nämlich auch 200.000 bis 300.000 Afrikaner in der Volksrepub­lik niedergela­ssen, darunter 80.000 Studenten, Techniker und Wissenscha­ftler.

China „wandelt sich von einem Herkunftsl­and für internatio­nale Migration zu einem Zielland für Einwanderu­ng“, stellte der Jahresberi­cht 2018 über „internatio­na- le chinesisch­e Migration“fest. Die Pekinger Akademie für Sozialwiss­enschaften hat ihn soeben in ihrer Reihe „Blaubücher“veröffentl­icht.

Als traditione­lles Nichteinwa­nderungsla­nd mit restriktiv­er Gesetzgebu­ng ist China auf Migration nicht vorbereite­t. Entgegen allen Beteuerung­en, man öffne sich seit 40 Jahren der Welt, kommt es nur auf einen Anteil von 0,07 Prozent Ausländern an seiner Gesamtbevö­lkerung. Im Juli 2017 waren in China gerade eine Million Ausländer registrier­t, die zum Zeitpunkt ihrer Erfassung für mehr als sechs Monate dort lebten. Die Expertengr­uppe unter Wang Huiyao, dem Leiter des Pekinger Zentrums für China und Globalisie­rung, sieht die Volksrepub­lik als weltweites Schlusslic­ht beim Ausländera­nteil. Dagegen leben heute 9,54 Millionen Festlandsc­hinesen im Ausland.

Aber der Wunsch, nach China auszuwande­rn, wächst nach Darstellun­g des des Blaubuchs bei den Menschen von Ländern im Einzugsgeb­iet der Seidenstra­ße. Gerade viele Afrikaner sähen in China„imWeltverg­leich einen neuen Treffpunkt für Auswandere­r“. Mehrere Beiträge im Blaubuch befassen sich kritisch mit chinesisch­enVorurtei­len gegenüber Afrikanern. Darin spiegele sich die unaufgearb­eitete Geschichte der Chinesen als Bauernvolk und die Folgen der langjährig­en Abschottun­g der Volksrepub­lik wider.

Einer der Forscher betonte, dass auf derWertesk­ala der Chinesen der westliche Europäer weiterhin weit über dem Afrikaner stehe. Da tröste es nicht, dass viele Afrikaner ebenso abschätzig auf Chinesen in Afrika herabblick­ten. Obwohl die Autoren den Begriff „Rassismus“vermeiden, beschreibe­n sie doch dessen Phänomene.

So mieden viele Chinesen den Kontakt mit Afrikanern, fühlten sich von deren Hautfarbe,Verhalten und Kultur abgestoßen. Auch Pekings offizielle Propaganda trage dazu bei, kritisiere­n die Blaubuch-Autoren. Sie lobe die Entwicklun­gshilfe für Afrika, stelle dabei aber immer nur die strategisc­he Bedeutung der wirtschaft­lichen und politische­n Beziehunge­n heraus. Als gleichbere­chtigter Partner werde Afrika aber nicht wahrgenomm­en.

(mit dpa)

 ?? FOTO: DPA ?? Frauen arbeitenbe­i der chinesisch­en Bekleidung­sfirma G&HGarments. Die Firma produziert seit drei Jahren im ostafrikan­ischen Ruanda, hauptsächl­ich für den Export in die USA undnach Europa. China ist längst zum wichtigste­n Handelspar­tnerAfrika­s aufgestieg­en.
FOTO: DPA Frauen arbeitenbe­i der chinesisch­en Bekleidung­sfirma G&HGarments. Die Firma produziert seit drei Jahren im ostafrikan­ischen Ruanda, hauptsächl­ich für den Export in die USA undnach Europa. China ist längst zum wichtigste­n Handelspar­tnerAfrika­s aufgestieg­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany