Rheinische Post Krefeld Kempen
Der Drache im Land des Löwen
China verändert Afrika mit massiven Investitionen. Im Gegenzug gibt es neues Phänomen: Afrikanische Migration in die Volksrepublik.
KIGALI/PEKING Malou Jontilano hat keine freie Minute. Sie beantwortet Textnachrichten per Handy, liest Mails auf dem Computer und gibt ein Interview – und das alles gleichzeitig. Die drahtige Geschäftsführerin der chinesischen Bekleidungsfirma G&H Garments kurbelt seit drei Jahren mit mehr als 1000 Angestellten die Produktion im ostafrikanischen Ruanda an.„Afrika ist ein sehr attraktiver Markt für uns“, sagt Jontilano.
Nicht nur in Ruanda, sondern in ganz Afrika baut Peking seinen Einfluss in hohem Tempo aus und fordert damit auch denWesten heraus. Mit einem Handelsvolumen von zuletzt 170 Milliarden US-Dollar hat China sowohl die USA als auch die alte Kolonialmacht Frankreich als wichtigste Handelspartner des Kontinents hinter sich gelassen.
China geht es bei seinem Engagement nicht mehr nur um die Sicherung von Rohstoffen. Als Antwort auf die steigenden Lohnkosten in der Heimat verlagern chinesische Firmen Teile ihrer Produktion in afrikanische Länder. Ihr Ziel sei es, das Label„Made in China“in„Made in Africa“umzuwandeln, sagt Geschäftsführerin Jontilano.
DasWerk von G&H Garments liegt in einer fast 300 Hektar großen Sonderhandelszone am Rande von Ruandas Hauptstadt Kigali, die nach dem Vorbild derer errichtet ist, die in den 80er Jahren zur wirtschaftlichen Öffnung Chinas beitrugen.
Hier investieren Dutzende private und staatliche chinesische Unternehmen. Nach Schätzungen der Unternehmensberatung McKinsey sind inzwischen mehr als 10.000 chinesische Firmen in Afrika tätig und beschäftigen mehrere Millionen Afrikaner.
Die Chinesen hoffen, dass die wachsende afrikanische Mittelschicht zu einem zuverlässigen Abnehmer der eigenen Produkte wird. Je mehr der Handelsstreit mit den USA eskaliert, desto mehr rückt für Peking die Suche nach neuen Handelspartnern in den Fokus. „Interessant wird, wie stark sich China als Alternative zu den USA präsentieren wird, in dem es rhetorisch Freihandel und Multilateralismus betont“, sagt Sabine Mokry vom China-Institut Merics in Berlin.
Peking will mit seinem Engagement auch seiner neuen Seidenstraße einen Schub geben und für neue chinesische Infrastruktur-Projekte in Afrika werben. Mit dem Projekt neue Seidenstraße will die Volksre- publik die Handelsrouten mit dem übrigen Asien sowie Afrika und Europa ausbauen.
Schon jetzt haben zahlreiche chinesische Megaprojekte begonnen, den Kontinent zu verändern. In Kenia, Nigeria, Äthiopien, Tansania, Angola und Marokko haben die Chinesen wichtige Bahnlinien gebaut, tausende Kilometer Straßen geteert, Krankenhäuser und Regierungsgebäude errichtet. Chinesische Investoren finanzieren sogar ganze Städte, wie Angolas fast neun Quadratkilometer große Nova Cidade de Kilamba.
Einhergehend mit einer engeren Verflechtung im Handel verfolgt China zunehmend auch militärische Interessen in Afrika. Erst im Juli richtete Peking ein Militärforum mit afrikanischen Staaten aus. Experten erwarten, dass China über die Militärkooperation mit Afrika auch seine Wirtschaftsinteressen auf dem Kontinent wie auch seine Seewege sichern will. Seit 2017 unterhält China einen ersten Marinestützpunkt im Ausland in Dschibuti am Horn von Afrika, von wo auch die eigenen Einsätze im UN-Kampf gegen Pira- ten unterstützt werden. China will auch in noch größerem Umfang als Waffenlieferant und Ausbilder für das Militär afrikanischer Staaten agieren.
Während viele Afrikaner glauben, dass die Investitionen der Volksrepublik einen lange notwendigen Entwicklungsschub ermöglichen, beanstanden Kritiker die „neokoloniale Eroberung“Afrikas durch China. Peking habe keine Scheu, mit Autokraten zu arbeiten, solange es sich Zugang zu Afrikas Bodenschätzen sichern könne, sagt der südafrikanische Wirtschaftsexperte und Politologe William Gumede.
„Chinesen handeln Bauverträge im Austausch gegen Bergbaukonzessionen aus, etwa in Sambia oder Simbabwe, oder sie vergeben, wie in Angola, Kredite, um sich einen Teil der Ölproduktion zu sichern“, so Gumede. Noch schlimmer: Der Handel zwischen China und Afrika sei einseitig, meint Gumede. „Afrikaner haben in China kaum neue Verträge gewonnen. Afrika macht damit absolut keinen Gewinn.“
Im Gegenzug muss sich nun allerdings auch China einem ganz neu- en Phänomen stellen: Einer Migrationsdebatte. Im Zuge der engeren Beziehungen haben sich nämlich auch 200.000 bis 300.000 Afrikaner in der Volksrepublik niedergelassen, darunter 80.000 Studenten, Techniker und Wissenschaftler.
China „wandelt sich von einem Herkunftsland für internationale Migration zu einem Zielland für Einwanderung“, stellte der Jahresbericht 2018 über „internationa- le chinesische Migration“fest. Die Pekinger Akademie für Sozialwissenschaften hat ihn soeben in ihrer Reihe „Blaubücher“veröffentlicht.
Als traditionelles Nichteinwanderungsland mit restriktiver Gesetzgebung ist China auf Migration nicht vorbereitet. Entgegen allen Beteuerungen, man öffne sich seit 40 Jahren der Welt, kommt es nur auf einen Anteil von 0,07 Prozent Ausländern an seiner Gesamtbevölkerung. Im Juli 2017 waren in China gerade eine Million Ausländer registriert, die zum Zeitpunkt ihrer Erfassung für mehr als sechs Monate dort lebten. Die Expertengruppe unter Wang Huiyao, dem Leiter des Pekinger Zentrums für China und Globalisierung, sieht die Volksrepublik als weltweites Schlusslicht beim Ausländeranteil. Dagegen leben heute 9,54 Millionen Festlandschinesen im Ausland.
Aber der Wunsch, nach China auszuwandern, wächst nach Darstellung des des Blaubuchs bei den Menschen von Ländern im Einzugsgebiet der Seidenstraße. Gerade viele Afrikaner sähen in China„imWeltvergleich einen neuen Treffpunkt für Auswanderer“. Mehrere Beiträge im Blaubuch befassen sich kritisch mit chinesischenVorurteilen gegenüber Afrikanern. Darin spiegele sich die unaufgearbeitete Geschichte der Chinesen als Bauernvolk und die Folgen der langjährigen Abschottung der Volksrepublik wider.
Einer der Forscher betonte, dass auf derWerteskala der Chinesen der westliche Europäer weiterhin weit über dem Afrikaner stehe. Da tröste es nicht, dass viele Afrikaner ebenso abschätzig auf Chinesen in Afrika herabblickten. Obwohl die Autoren den Begriff „Rassismus“vermeiden, beschreiben sie doch dessen Phänomene.
So mieden viele Chinesen den Kontakt mit Afrikanern, fühlten sich von deren Hautfarbe,Verhalten und Kultur abgestoßen. Auch Pekings offizielle Propaganda trage dazu bei, kritisieren die Blaubuch-Autoren. Sie lobe die Entwicklungshilfe für Afrika, stelle dabei aber immer nur die strategische Bedeutung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen heraus. Als gleichberechtigter Partner werde Afrika aber nicht wahrgenommen.
(mit dpa)