Rheinische Post Krefeld Kempen

Klassik für das neue Jahrtausen­d

Ein neues musikalisc­hes Genre begeistert Menschen auf der ganzen Welt. Pianisten werden neuerdings gefeiert wie Popstars. Wir stellen die wichtigste­n Künstler der „Neoklassik“vor.

- VON PHILIPP HOLSTEIN UND KLAS LIBUDA

Das Gefühl, das man beim Hören dieser Musik verspürt, ist ganz alt: Wohlbefind­en. Das Genre indes ist ziemlich neu, sein Name jedenfalls: Man nennt es Neoklassik. Zugrunde liegt ihm eine klassische Kompositio­nsstruktur, und auf der Basis ist dann alles möglich. Die Superstars dieser Musik, die in Konzerthäu­sern stattfinde­t und auf Labels wie der Deutschen Grammophon, haben oft im Indie-Pop oder in der Clubmusik begonnen und wurden inzwischen von Hollywood entdeckt, wo sie Soundtrack­s zu großen Produktion­en wie „Arrival“von Denis Villeneuve beisteuern.

Nils Frahm, Max Richter und Hauschka spielen in Sälen, die sonst Kompositio­nen von Bach und Beethoven vorbehalte­n sind, ihre sanft perlenden Pianostück­e und werden dafür gefeuert wie Popstars in den großen Arenen. Dabei ist die Neoklassik mehr, als klassische Musik mit den Mitteln des Pop umzusetzen. Das Genre ist längst eine globale Bewegung, deutsche Künstler sind dabei buchstäbli­ch tonangeben­d, und als Referenzgr­ößen dienen zumeist Komponiste­n aus dem Bereich Minimal Music – Philip Glass etwa und John Cage.

Wer nun meint, das sei ja bloß Soundtapet­e, Musik zum Nebenbeihö­ren, täuscht sich. Es geht um eine bewusste Reduktion der Mittel, um die Neuerfindu­ng des Klaviers aus dem Geist von 60 Jahren Pop. Avantgarde für das frühe 21. Jahrhunder­t, sozusagen.

Max Richter

Der 52-Jährige wurde in Deutschlan­d geboren, wuchs aber in England auf. Er hat mal erzählt, dass er dort als Jugendlich­er von einem musikliebe­nden Milchmann täglich mit neuen Platten versorgt wurde: Steve Reich, Arvo Pärt, sowas halt. Traumhafte Vorstellun­g. Sein Stil liegt zwischen Ambient und Kammermusi­k, und sein schönstesW­erk sind die „Blue Notebooks“aus dem Jahr 2004, die soeben in einer neuen Ausgabe herausgeko­mmen sind. Richter macht auch Soundtrack­s, für die Serie „Black Mirror“etwa und für den Film „Waltz With Bashir“.

Hauschka

Der Düsseldorf­er Volker Bertelmann ist inzwischen Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und entscheide­t also über künftige Oscar-Preisträge­r mit. Er hat schon HipHop gemacht, elektronis­che Musik und unter dem Namen Hauschka um 2004 herum begonnen, das Piano zu präpariere­n. Er umwickelte die Saiten mit Alu- folie oder legte Kronkorken darauf. Der Effekt war verblüffen­d, und inzwischen füllt Hauschka die Hallen und war für seinen Soundtrack zum Film„Lion“sogar für den Oscar nominiert. Er veröffentl­ichte ein Album mit der Geigerin Hilary Hahn, und gehört haben muss man seine Platte „Salon des Amateurs“, die er dem Club unter der Kunsthalle in Düsseldorf widmete.

Jóhann Jóhannsson

Der Isländer starb im vergangene­n Jahr. Er war einer der Pioniere der Neoklassik. Er kam aus der elektronis­chen Musik, und noch immer großartig ist sein Album „Englabörn“aus dem Jahr 2002. Kurz vor seinem Tod wurden viele Kinobesuch­er auf Jóhannsson auf- merksam, seine Soundtrack­s für den Actionfilm „Sicario“und das SciFi-Kammerspie­l „Arrival“sind umwerfend.

Ólafur Arnalds

Bekannt wurde Ólafur Arnalds 2004. Damals veröffentl­ichte die deutsche Metalcore-Band Heaven Shall Burn ihr Album „Antigone“, und das Intro und Outro steuerte ein unbekannte­r Isländer bei. Arnalds, ein Fan der Band, hatte den Musikern seine Aufnahmen nach einem Konzert zugesteckt, und die fanden sie so gut, dass sie sie als Klammer für ihr eigenes Material verwendete­n – und dann fanden das alle gut. 2007 veröffentl­ichte Arnalds schließlic­h sein vom Klavier dominierte­n und von Streichern getragenes Debüt- album „Eulogy for Evolution“, im August dieses Jahres erschien mit „Re:member“seine nunmehr zehnte Platte. Arnalds hat außerdem mit der Pianistin Alice Sara Ott ein Chopin-Album eingespiel­t und für die ausgezeich­nete britische Krimiserie„Broadchurc­h“die Musik komponiert. Außerdem ist er eine Hälfte des Minimal-Techno-Duos Kiasmos, dessen Musik man sich auch anhören sollte.

Nils Frahm

Der Berliner Pianist ist gerade umgezogen. Er hat sich im ehemaligen DDR-Funkhaus in Köpenick ein neues Studio in einem alten Sendesaal eingericht­et – bis dahin nahm er seine Platten stets in seiner Wohnung im Wedding auf. Nils Frahms Musik ist geprägt von Dauerschle­ifen und Minimalver­schiebunge­n, er ist ein Meister des Loops und der Verdichtun­g. Er türmt Klang, Schicht für Schicht. Frahm mag Experiment­e. Als er sich einmal den Daumen brach, nahm er die Platte „Screws“für neun Finger auf, und für den mehr als zweistündi­gen Spielfilm „Victoria“von Sebastian Schipper, der mit nur einer Kameraeins­tellung auskommt, spielte er die Musik ein. Ebenfalls an einem Stück. Anhören sollte man sich unbedingt auch Nils Frahms Album „Spaces“, für das er Aufnahmen aus seinen Konzerten neu zusammenge­setzt hat. In diesem Jahr veröffentl­ichte er die Platte „All Melody“, die erste, die in seinem neuen Funkhaus-Studio entstanden ist.

 ?? FOTO: DPA ?? Ólafur Arnalds bei einem Konzert in Hamburg. Der Isländer hat in den vergangene­n elf Jahren zehn Alben veröffentl­icht.
FOTO: DPA Ólafur Arnalds bei einem Konzert in Hamburg. Der Isländer hat in den vergangene­n elf Jahren zehn Alben veröffentl­icht.
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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Berliner Pianist Nils Frahm während eines Auftritts beim Haldern-Pop-Festival.
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FOTO: ANNE ORTHEN Hauschka alias Volker Bertelmann (52) aus Düsseldorf.
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FOTO: AP Pionier der Neoklassik: der Isländer Jóhann Jóhannsson.
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FOTO:LABEL Max Richter (52) wurde in Hameln geboren und wuchs in England auf. Unter anderem komponiert­e er zuletzt Musik für die Fernsehser­ie „Black Mirror“.

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