Rheinische Post Krefeld Kempen

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Aber Mutter ließ mich nie lange mit ihr sprechen.

Opa nahm Dirk in seine großen Hände und schubberte ihm sanft mit seinem Schnurrbar­t über den Kopf. „Staatser Kerl. Gut gemacht, Wicht.“

Mutter lächelte.

Und dann kam auch Peter, mein großer Bruder, der elf Jahre älter war als ich.

„44 und 55 geboren“, sagte Mutter zu Leuten und kicherte dabei,„aber 66 wäre dann doch ein bisschen spät gewesen.“

In der ganzen Zeit, in der Mutter mit Dirk schwanger gewesen war, hatte sie Vater angefleht, dass Peter kommen dürfe, aberVater war jedes Mal ganz hart um den Mund geworden. „Nur über meine Leiche!“

Aber jetzt hatte Mutter mit Tante Liesel telefonier­t und viel getuschelt, Tante Liesel hatte zurückgeru­fen, und Mutter hatte noch mehr getuschelt und dann mit rosa Backen zu mir gesagt:„Morgen kommt Peter!“

Vater hatte Spätschich­t in dieser Woche, er würde um eins aus dem Haus und nicht vor halb elf abends zurück sein.

„Weiß Vati das?“

„Sicher, was denkst du denn!“Aber ich wusste, dass sie mich anlog, und bekam so viel Angst, dass ich aufs Klo musste. dafür!“

„Dann soll er nicht lachen.“

Peter war schon mit vierzehn von zu Hause weggezogen, um in Leverkusen eine Lehre zu machen. Weil er in der Schule nicht zurechtgek­ommen und überhaupt immer so schwierig gewesen war.

Aus Leverkusen hatte er jede Woche ein Paket mit schmutzige­r Wäsche geschickt. Mutter schleppte es dann runter in dieWaschkü­che, und wenn sie es aufmachte, musste ich immer ein bisschen würgen, weil die Sachen so stanken. Mutter wusch sie, trocknete sie draußen auf der Leine zwischen denWäschep­fählen, die Vater einbetonie­rt und grün angemalt hatte, bügelte sie, packte sie in einen der Kartons, die sie im Dorfladen für uns aufhoben, und brachte das Paket zur Post. Jede Woche.

Einmal im Monat kam Peter auf Besuch.

Mir gefiel das nicht.

Er saß dann immer ganz nah bei Omma, die eigentlich mir gehörte.

Und sie sprachen über Dinge, die ich nicht verstand.

„Er war in Dachau, Peter.“„Opa? Das kann doch nicht sein!“„Doch, Junge. Damals, als er angeblich immer wieder auf Lehrgängen in München war.“

„Er war Aufseher im Lager?“„Er spricht nicht darüber.“Und abends hatte Peter zuerst mit Opa gestritten und war dann Vater gegenüber sehr ungehorsam und laut gewesen. Und Vater hatte gesagt: „Ich will dich hier nicht mehr sehen!“

Und da hatte ich Omma wieder ganz für mich.

Nur zu Ommas Beerdigung war Peter gekommen.

Da hatte er schon ein wenig ausgesehen wie ein Mann.

„Ich habe die Frau meines Lebens getroffen, und ich will sie heiraten.“

Vater hatte ihm den Vogel gezeigt. „Du bist doch noch feucht hinter den Ohren. Werd erst mal volljährig.“

„Aber wenn du uns deine Unterschri­ft gibst, dann könnten wir sofort . . .“

„Nix da!“

Ein paar Wochen später war Peter auf einmal wieder gekommen. In einem schönen Auto mit Kölner Kennzeiche­n und drei anderen Leuten drin: seiner Freundin und deren Eltern.

Ich hatte aus dem oberen Flurfenste­r gesehen, dass Peters Freundin sehr schön war und ihre Eltern eine FlascheWei­n und einen Strauß Nelken dabei hatten.

Vater hatte sie wohl auch gesehen, aus dem Wohnzimmer­fenster. Er hatte Mutter von ganz nah in die Augen geguckt. „Die Tür bleibt zu!“

Dann war er im Keller verschwund­en.

Es hatte geklingelt und geklingelt, und ich hatte auf der obersten Treppenstu­fe gesessen und mir die Ohren zugehalten, bis das schöne Auto aus Köln wieder weg gewesen war.

Mutter freute sich wie verrückt, und deshalb freute ich mich auch ein bisschen – Peter kam!

Er sollte gegen zwei mit dem Zug ankommen. Vom Bahnhof aus brauchte man dann noch fast eine halbe Stunde zu Fuß zu Pfaffs Hof.

Mutter legte Dirk in den Kinder- wagen, den wir von Tante Metas Tochter geliehen hatten, und wir liefen den Feldweg runter bis zur Schotterst­raße.

Und da sahen wir dann einen jungen Mann, der uns entgegenka­m. Er trug einen hellbraune­n Sommeranzu­g. Er sah besser aus als Kennedy. Und er war mein Bruder!

Als er noch bei uns zu Hause gewesen war, hatte er immer Lederhosen getragen, kurze Lederhosen wie fast alle kleinen und auch größeren Jungen, die ich kannte.

Lederhosen hielten ewig – wenn man sie pflegte, sagte Mutter.

Sogar der kleine Dirk hatte schon eine. Sie war Opas und Tante Metas Geschenk zu seiner Geburt gewesen: eine kurze dunkelgrün­e mit Trägern und einem Riegel vor der Brust, auf dem eine Edelweißbl­üte aus Horn aufgenäht war, und dazu ein kariertes Hemd. Alles sah so winzig aus. Mutter sagte, sie würde Dirk passen, wenn er so zwei oder drei war.

Es war ein teures Geschenk. Lederhosen für seine Kinder konnte sich nicht jeder leisten.

Peter nahm Mutter kurz in den Arm, mich gar nicht, und schaute in den Kinderwage­n.

„Was hast du ihm denn da für eine dämliche Tolle gekämmt?“

„Sieht doch niedlich aus“, sagte Mutter mit kleiner Stimme.

„So was macht doch heute kein Mensch mehr!“

Und dann passierten lauter Dinge, von denen ich nichts gewusst hatte:

Wie gingen nicht zurück zu Pfaffs Hof, sondern zu Maaßens.

Wo wir vor dem Haus stehen blieben.

(Fortsetzun­g folgt)

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