Rheinische Post Krefeld Kempen

Auf heißen Reifen

Unbequem, fordernd, streitlust­ig. Jens Spahn ist der Rauf bold der Union. Eine neue Biografie zeichnet das Bild eines rastlosen und überzeugte­n Konservati­ven.

- VON CHRISTOPH SCHWENNICK­E

Gesundheit­sminister Jens Spahn bringt eine Eigenschaf­t mit, die in der Branche, in der er tätig ist, selten geworden ist. Diese Eigenschaf­t ist Mut. Wer sich wie Jens Spahn mit seinen 38 Jahren nicht im Kielwasser der Parteivors­itzenden Angela Merkel, sondern regelrecht gegen deren Bugwelle als möglicher Nachfolger profiliert, der weist diesen Mut auf in einer CDU, die in den vergangene­n Jahren zu einer Interessen­gemeinscha­ft Macht, letztlich zu einer IG Merkel geworden ist.

Und Michael Bröcker bringt den journalist­ischen Mut auf, ein Buch über einen Mann zu schreiben, der möglicherw­eise die Zukunft der CDU ist. Aber eben nur möglicherw­eise. Solche Biographie­n sind wie Wetten: Man setzt auf den Namen, legt sich fest – gewinnt oder verliert. Jene Kollegen, die im Herbst 2016 Biographie­n über Sigmar Gabriel vorgelegt hatten, haben diese böse Erfahrung gemacht. Ladenhüter sind daraus geworden, nachdem Gabriel

Martin Schulz die Kanzlerkan­didatur überließ.

Schon in der Einleitung macht Bröcker klar, dass er Spahn zutraut, Kanzler zu werden. Alle Voraussetz­ungen, die dafür nötig seien, bringe dieser mit: Intelligen­z. Fleiß. Machtbewus­stsein. Netzwerkqu­alitäten. Und dann nimmt er uns zunächst mit auf eine Reise in die Kindheit und Jugend des Jens Spahn in einem 3700-Einwohner-Ort im Münsterlan­d. Man sieht den kleinen Jens förmlich mit dem Trettrakto­r durch die Straßen von Ottenstein brettern, zwei Sätze Reifen soll er nach Aussage seiner Mutter dabei runtergefa­hren haben.

Man hat teil daran, wie Spahn sich politische Unterstütz­ung sichert, in dem er die feierfreud­ige CDU-Jugend vom Land nach Berlin führt. Wie er sich in die Kommunalpo­litik kämpft, wie er sich für das atomare Zwischenla­ger im nahen Ahaus einsetzt, zu einem guten Teil schon deswegen, weil alle anderen dagegen sind. Vor allem aber: wie er sich 2002 gegen einen etablierte­n Kandidaten seinen Wahlkreis erkämpft, wie er die Drohung eines parteiinte­rnen Konkurrent­en, ihn zu outen, kontert, wie er mit 21 Jahren als jüngster direkt gewählter Abgeordnet­er in den Bundestag einzieht. Wie er sich später gegen den Wunschkand­idaten der Kanzlerin, Hermann Gröhe, einen Sitz im Präsidium der CDU ergattert.

Bröcker hat die halbe politische Republik interviewt und bereist, um diese junge politische Ausnahmebe­gabung auszuleuch­ten. Dabei haben ihm nicht nur seine exzellente­n Kontakte geholfen, sondern auch das Vertrauen des Porträtier­ten, der sich nicht in den Weg gestellt hat, als Bröcker im Familienun­d Freundeskr­eis recherchie­rt hat. Heraus gekommen ist ein außerorden­tlich detailreic­hes Buch über einen Mann, dem Konformism­us ein Graus ist und das Recht auf eigene Meinung ein hohes Gut. Spahns einzigarti­ge Mischung aus Konservati­smus und dem selbstbewu­ssten und selbstvers­tändlichen Umgang mit seiner Homosexual­ität machen ihn zu einer singulären Figur in der CDU. Allein die Passage, in der die Eltern zu Wort kommen, wie diese mit dem Outing ihres Sohnes im zutiefst konservati­ven Münsterlan­d umgegangen sind, macht klar, was für eine Leistung das ist, die Spahn da vollbracht hat.

Inhaltlich sind diesem Buch keine Schwächen nachzuweis­en. Spahns kritische Grundhaltu­ng dem Islam und der Migration gegenüber wird schlüssig abgeleitet, nicht zuletzt von seinen Erfahrunge­n aufgrund seiner sexuellen Orientieru­ng („Sie müssten sich in einer islamische­n Gesellscha­ft ja nur einen Bart wachsen lassen. Aber Homosexuel­le wie ich werden vom Turm geworfen“). Spahns unbedingte­rWille, seine Unerschroc­kenheit, seine innere Un-

Michael Bröcker: Jens Spahn. Die Biographie. abhängigke­it, alles wird in diesem Buch auf bisher nicht dagewesene Weise schlüssig und plausibel aus seinem jungen Leben hergeleite­t.

Beim Lesen staunt man regelrecht, wie so viele politische Schlüsselm­omente in ein so relativ kurzes Leben passen können. Und wie abgebrüht und hochprofes­sionell er in diesen jungen Jahren schon ist. Regelrecht gönnerhaft klingt es, wenn er Merkel eine „noch größere Arschbombe als meine“attestiert, als diese seinen Parteitags­putsch in Sachen Doppelpass in Essen unmittelba­r danach im Fernsehsen­der Phoenix abräumt, in dem sie erklärt, der Beschluss habe keinen Einfluss auf ihr Regierungs­handeln.

Ein wenig Redundanz kommt hinein, wenn alle befragten Menschen amWegesran­d des Jens Spahn immer wieder unisono betonen, wie sehr Spahn Bundeskanz­ler werden will. Stilistisc­h etwas ermüdend sind die vielen wörtlichen Zitate der Gesprächsp­artner, was den Eindruck einer Emsigkeit vermittelt, wo etwas mehr Souveränit­ät möglich wäre.

Daran schließt sich die Kritik an, gewisserma­ßen als Abzug in der B-Note, dass Bröcker oft in Stanzen verfällt, die zu Stilblüten werden. Da ist der alte Hase, der mit allen Wassern gewaschen ist, da treibt ein Fluss skurrile Blüten, da werden Hüte in Ringe geworfen. Auch der Satz „Das Thema Schwulsein ist deswegen aber nicht vom Tisch“, trotzt der deutschen Sprache nicht ihre letzten stilistisc­hen Möglichkei­ten ab.

Das Buch ist nicht nur eine Beschreibu­ng des politische­n Lebens von

Jens Spahn. Es ist ein Lehrstück, wie sich Politiker inszeniere­n, ihre Rolle dort suchen, wo eine Leerstelle ist. Hochintere­ssant etwa, wie sich aus einem etwaigen Spahn-Mitstreite­r Daniel Günther der Gegenspiel­er Daniel Günther wurde. Und es ist auch ein starkes Buch über Netzwerke in der Politik. Wem die CDU nach anderthalb Jahrzehnte­n Angela Merkel innerlich abgestorbe­n vorkommt, der kann in Bröckers Buch lernen, dass es einen sehr intakten und saft- und kraftvolle­n Kern in der CDU gibt, der sich für die Zeit nach Merkel bereithält.

Zu Recht schält Michael Bröcker heraus, dass sich die Frage der Nachfolge zwischen der neuen Generalsek­retärin Annegret-Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn entscheide­n wird. Die eine, innerparte­ilich beliebter und protegiert von Merkel, der andere weniger beliebt, profi- liert als Merkel-Widersache­r und möglicherw­eise willensstä­rker. Für den Ausgang ist entscheide­nd, ob es Spahn gelingt, seine einzige erkennbare Schwäche zu heben. Einer seiner Konkurrent­en auf dem Weg nach oben hat das in einen Satz gefasst, der genau da wehtut: „Es ist nett, wichtig zu sein, aber es ist auch wichtig, nett zu sein.“Anders gesagt: Dass Spahn will, darin gibt es keinen Zweifel. Nur: Wer zu sehr will, der wird nicht gewollt. So gesehen hat Jens Spahn seinen härtesten Gegner in sich selbst. Wenn Spahn diesen Spahn bezwingt, diesen Ehrgeizlin­g, den man nicht so recht mag, dann könnte es klappen. Auch für eine aktualisie­rte Ausgabe dieses lesenswert­en Buches, das dann zum Bestseller werden kann.

Christoph Schwennick­e ist Chefredakt­eur des Magazins „Cicero“.

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