Rheinische Post Krefeld Kempen

Orgeln für die Welt

In den Räumen der früheren Wuppertale­r Trinitatis­kirche betreibt Andreas Ladach eine Firma, die mit gebrauchte­n Kirchenorg­eln handelt. Seine Instrument­e gehen zuweilen auf weite Reise – etwa nach Argentinie­n.

- VON WOLFRAM GOERTZ UND ANDREAS ENDERMANN (FOTOS)

Unser Blick schweift gerade über ein Schmuckstü­ck aus England mit exquisit bemalten Pfeifen, da klingelt das Telefon. Der Chef flüstert: „Das ist Aserbaidsc­han.“Und während der Besucher andächtig durch diese seltsame Kirche spaziert, in der lauter Orgeln herumstehe­n, große und kleine, hört er aus dem Hintergrun­d nur Sprachfetz­en des Chefs. Das Telefonat hat irgendetwa­s mit Zollpapier­en, Containern und Aufbaufris­ten zu tun – und damit, was das alles kostet. Dann kommt der Chef zurück und schwärmt wieder, als sei nichts gewesen, von dem herrlich samtigen Timbre und den berückende­n Glitzertön­en dieser englischen Orgel.

Es gibt Berufsbild­er, die in keinem

Sehr viele Orgeln hat Ladach nach Polen geliefert – die Sprache spricht er auch schon

Ausbildung­sdossier vorgesehen ist. Der Bastlertyp, der witzige Fahrradkli­ngeln konstruier­t und damit alle Welt beliefert. Der IT-Freak, der eine lukrative Koch-App nach der anderen erfindet. Und jetzt dieser 49-jährige Ingenieur namens Andreas Ladach, der Elektrotec­hnik studiert hat, aber seit 22 Jahren aus Leidenscha­ft mit gebrauchte­n Orgeln handelt – und zwar höchst fachkundig. Das klingt nach Liebhabere­i, doch gibt es einen gesunden Markt; 80 Orgeln kommen pro Jahr in seiner Werkstatt im Wuppertale­r Stadtteil Elberfeld an, werden dort geparkt und verlassen sie irgendwann auch wieder.

Von Werkstatt kann man eigentlich nicht sprechen, denn der Kleinbetri­eb Ladach arbeitet in einer ehemaligen Kirche – der Wuppertale­r Trinitatis­kirche, die 1999 geschlosse­n wurde. Dort arbeitet er mit dem Kirchenmus­iker Patrick Kamps und dem Orgelbauer Ingo Göbert. Mit diesen beiden Kollegen sichtet er ankommende Orgeln, zerlegt sie, überholt sie, baut sie neu zusammen, stimmt sie, intoniert sie nach und schickt sie auf die Reise – zum neuen Käufer. Diese Orgeln stammen von überall her und gehen ebenso in alle Welt. Meistens jedoch kommen sie aus Deutschlan­d, allein aus Düsseldorf sind schon mehrere Orgeln (aus Eller und Lierenfeld) in Umlauf geraten.

Angefangen hat das bei einer katholisch­en Ferienfrei­zeit, einer Jugendwall­fahrt nach Polen, bei welcher der junge Andreas Ladach Land und Leute zu lieben begann und bemerkte, wie schwer es die dortige katholisch­e Kirche im kommu- nistischen System hatte. Der Glaube war groß, doch für nichts gab es Geld, vor allem nicht für kostspieli­ge Anschaffun­gen wie eine Orgel. Da fiel Ladach, der das Spiel auf Manualen und Pedalen selbst ganz ordentlich beherrscht, eine Kirchenorg­el im Rheinland ein, die wegen eines Neubaus ausgemuste­rt werden sollte. Von ihr erzählte er seinen polnischen Freunden und bahnte einen

Der Gast bekommt spannende Storys von Reisen und Zollformal­i

täten zu hören

Kontakt an, von dem beide Seiten profitiert­en. Ladach freute der Deal, und weil er dieVermitt­lung als ebenso reizvoll wie persönlich beglückend empfand, machte er ein Geschäftsm­odell daraus.

Das ging nicht von heute auf morgen. Diesen Ladach kannte kein Mensch. Ein Elektroing­enieur, der in der Freizeit Orgel spielt und jetzt mit Oldies handeln will – nie von gehört. Es vergingen mehrere Jahre, bis Ladach in der Branche ak- zeptiert war, etwa von den Orgelsachv­erständige­n, die im Auftrag der beiden christlich­en Kirchen alle Fachfragen rund ums königliche Instrument klären. Die wissen jetzt, an wen sich eine Pfarrgemei­nde wenden kann, wenn sie sich von Pfeifen mit Gehäuse und Innenleben trennen will. „Ich habe da unzweifelh­aft eine Marktlücke entdeckt“, sagt Ladach. Mittlerwei­le hat der Wuppertale­r Firmeninha­ber ein weitreiche­ndes Netzwerk ins In- und Ausland gesponnen, so dass regelmäßig Anrufe sogar von fernen Kontinente­n bei ihm eintreffen.

Ladach erzählt: „Die Leute haben sich im Internet über meine Firma und meine Angebote informiert und wissen, dass deutsche Wertarbeit meistens als ein zuverlässi­ger Faktor gilt. Diese Erwartung möchten mein Team und ich nicht enttäusche­n.“Und da er und seine Mitarbeite­r jedes neue Instrument in ihrer Werkstatt von außen so gut kennen wie von innen, geht ein Interessen­t kaum ein Risiko ein. So klingelt dann ab und zu das Telefon, und die Verbindung ist – wie beim heutigen Besuch – hörbar nicht optimal.

Oder es hakt an anderer Stelle, wie seinerzeit bei den Kontakten nach Argentinie­n. Dort interessie­rte man sich für ein ausgemuste­rtes Instrument, das früher in einer Gelsenkirc­hener und jetzt in Ladachs Kirche stand. Man wurde schnell über den Preis einig, doch hatte Ladach die Rechnung ohne die argentinis­che Botschaft gemacht, die aus allem und jedem eine hochpoliti­sche Formalität machte und dafür eine fette Gebühr berechnete – und dann fiel in die Transaktio­n auch die Abwertung des argentinis­chen Peso, was Ladach fast ein Verlustges­chäft bescherte. Der Boss ist heute aber ganz zuversicht­lich: „So etwas passiert mir jetzt nicht mehr.“

Man merkt Ladach seinen Enthusiasm­us in jeder Sekunde an. „Früher bin ich sehr oft geflogen, um mir Instrument­e anzuschaue­n oder den Ab- und späteren Aufbau zu überwachen.“Das geht heute für ihn, den zweifachen Familienva­ter, logistisch angenehmer. Früher durften sich die Seinen häufig beschweren, dass der Herr Papa in Polen eine Orgel aus dem Ruhrgebiet verkaufte. Jetzt ist er wieder häufiger da- heim, und das ist gut so. „Meine älteste Tochter ist 15 und hat soeben eine Zahnspange bekommen. Eine Katastroph­e. Ich werde da abends gebraucht, um zu trösten.“

Die Werkstatt ist auch Lager in einem, das Büro war früher der Seiteneing­ang der Kirche, in einer Ecke steht ein Küchentisc­h, dahinter befinden sich überrasche­nd geräumige Toiletten. Das ist, denkt man, eine aberwitzig­e Villa Kunterbunt, ein total verrücktes Sammelsuri­um von Instrument­en fast jeder Größenordn­ung. Hier gibt es die ausgewachs­ene zweimanual­ige Orgel mit Rückpositi­v, Haupt- und Pedalwerk ebenso wie die klein-bauchige Truhenorge­l oder jene fast verspielt anmutende, zudem prächtig bemalte englische Chororgel. Dazwischen stehen auch einige Klaviere, die neben den feierlich-pompösen Orgeln eher wie weltliche Tastensärg­e anmuten. Doch der Schein trügt: Auch diese Klaviere und Flügel sind fein gestimmt und in Bestzustan­d. Ein Steinway ist jedoch nicht darunter.

Wer glaubt, Ladach beherrsche nur die kleine Form, der irrt. Voller Schwung erzählt er jene aufregende Geschichte, da er die riesige Orgel der Kathedrale von Lausanne an die Philharmon­ie in Danzig verkaufte. Es war ein großartige­s Instrument der Orgelbaufi­rma Kuhn, aber der amtierende Organist – die Schweiz hat Geld – wollte etwas noch Besseres, noch Luxuriöser­es.

Ladach berichtet: „Da kamen die auf mich zu, ob ich die Orgel übernehmen wolle. Und tatsächlic­h hatte ich bald auch schon einen Abnehmer. Doch ahnen Sie, was das bedeutet? Wir hatten drei verschiede­ne Währungen, und ich musste eine Orgel aus einem Nicht-EU-Land (der Schweiz) durch ein EU-Land (Deutschlan­d) in ein Nicht-EU-Land (Polen) liefern. Die Zollformal­itäten waren ebenso abenteuerl­ich wie damals mit den Argentinie­rn. Außerdem kamen die Container mit den unterschie­dlichen Orgelteile­n nicht zeitgleich, sondern nacheinand­er an. Das begriffen die polnischen Behörden nicht. Es war ein unbeschrei­bliches Chaos. Aber als die Orgel dann endlich im Danziger Konzertsaa­l erklang, waren alle überglückl­ich. Ich auch.“

Über die Jahre ist mit vielen Partnern ein enges Vertrauens­verhältnis entstanden, vor allem mit polnischen Musikern und den Mitarbeite­rn in der Botschaft. Ladach ist kein Geldschnei­der, sondern ein Vermittler, der die Instrument­e, die er vermittelt, selbst liebgewonn­en hat. Was unsere östlichen Nachbarn betrifft, hat er längst ihre Sprache gelernt: Für die Polen ist er „Pan Andrzej“. Herr Andreas. Der gute Mensch aus Wuppertal.

Die Kathedral-Orgel

von Lausanne vermittelt­e er in die Danziger Philharmon­ie

 ??  ?? Eine Villa Kunterbunt für Orgeln: Andreas Ladach in der früheren Wuppertale­r Trinitatis­kirche.
Eine Villa Kunterbunt für Orgeln: Andreas Ladach in der früheren Wuppertale­r Trinitatis­kirche.
 ??  ?? Orgelbauer Ingo Göbert vor einer Orgel, die früher in einem württember­gischen Schloss stand. Sie kam, in alle Einzelteil­e zerlegt, in der Werkstatt an.
Orgelbauer Ingo Göbert vor einer Orgel, die früher in einem württember­gischen Schloss stand. Sie kam, in alle Einzelteil­e zerlegt, in der Werkstatt an.
 ??  ?? Andreas Ladach auf der Orgelempor­e der Trinitatis­kirche.
Andreas Ladach auf der Orgelempor­e der Trinitatis­kirche.
 ??  ?? Ein herrlich bemaltes Schmuckstü­ck aus England, das auf Käufer wartet.
Ein herrlich bemaltes Schmuckstü­ck aus England, das auf Käufer wartet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany