Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit den Wölfen leben

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass im Kreis Wesel ein Wolf sesshaft geworden ist. Lässt sich dies über ein halbes Jahr mit Nachweisen belegen, muss NRW zum Wolfsland erklärt werden. Schon bald könnte es so weit sein.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND SEBASTIAN LATZEL

Bleibt er oder geht er? Das sind die Fragen, die sich viele Menschen in und um Schermbeck-Gahlen im Kreis Wesel derzeit stellen. Gemeint ist der Wolf. Seit April sind in der Region immer wieder Schafe gerissen worden. DNA-Proben haben ergeben, dass es sich bei dem Übeltäter um eine Wölfin handelt – und zwar immer um dieselbe. Das hat möglicherw­eise Konsequenz­en.„Lässt es sich über den Zeitraum eines halben Jahres bestätigen, dass ein Wolf in der Region sesshaft geworden ist, muss NRW vom Wolfserwar­tungsland zum Wolfsland hochgestuf­t werden“, sagt Gudrun Maxam vom Nabu-Landesfach­ausschuss Wolf. Schon bald könnte es also heißen: Der Wolf ist zurück in Nordrhein-Westfalen.

Seit 2009 gab es mehr als 40Wolfsnac­hweise in NRW, durch DNA-Spuren, Daten von besenderte­n Exemplaren oder Fotos von Wildtier-Kameras. Niedergela­ssen hatte sich aber keiner der Räuber. Sobald Jungwölfe geschlecht­sreif werden, wandern sie umher und legen dabei enorme Distanzen zurück, bis zu 70 Kilometer pro Tag. Irgendwann paaren sie sich und gründen ein Rudel. Laut Maxam lebten im Jahr 2017 wieder 73 Rudel und Paare in Deutschlan­d, das entspricht rund 500 bis 700 Tieren. Zu Hause sind sie in Brandenbur­g, Sachsen, Niedersach­sen, Sachsen-Anhalt, Mecklenbur­g-Vorpommern und Bayern – diese Bundesländ­er werden daher als Wolfslände­r bezeichnet.

Noch aber ist es in NRW nicht so weit. Über die Entscheidu­ng befindet das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbrauche­rschutz (Lanuv). „Wir brauchen aber noch mehr individual­isierte Nachweise“, sagt Lanuv-Sprecher Wilhelm Deitermann. Wie viele dieser Nachweise am Ende benötigt werden, ist unklar; zudem müsse der Zeitrahmen für die Bestimmung­en genau festgelegt werden. Unter anderem sei auch der Einsatz von Wildkamera­s geplant. Daran, dass ein Wolf in der Region unterwegs ist, bestehe jedoch kein Zweifel. Das Tier wurde erstmals im April anhand von DNA-Spuren identifizi­ert. Deitermann:„Wenn unsere Fachleute entspreche­nd entscheide­n, erklären wir ein noch festzulege­ndes Gebiet zur Wolfsregio­n.“

NRW wäre damit offiziell Wolfsland. Das würde vor allem Veränderun­gen für Tierhalter mit sich bringen. Bisher gilt die Regelung, dass bei einem durch Wölfe nachgewies­enen Schaden, also etwa getöteten Schafen, das Land zahlt. Wird NRW zumWolfsla­nd hochgestuf­t, werden auch Vorsorgema­ßnahmen bezuschuss­t. Dazu zählen etwa spezielle Zäune oder eigens ausgebilde­te Herdenschu­tzhunde.

Genau solche Unterstütz­ungen fordern die Schafhalte­r. „DasVerfahr­en darf jetzt nicht Monate dauern, es muss schnell etwas passieren“, sagt Martin Tiemann, Schafzücht­er aus Uedem (Kreis Kleve). Denn durch die Kosten für zusätzlich­e Sicherungs­maßnahmen seien die Existenzen der Schäfer bedroht. Für ihn sei es beispielsw­eise unmöglich,

ausreichen­d Herdenschu­tzhunde anzuschaff­en. Seine 250 Schafe sind auf sieben Herden verteilt, er bräuchte 14 Hunde. „Jeder Hund kostet 3000 bis 5000 Euro, dazu kommen laufende Kosten von 1000 Euro im Jahr“, rechnet Tiemann vor. Er könne sich noch nicht einmal zwei Hunde leisten.

Auch der Aufwand werde im Wolfsgebie­t größer. Die Zäune müssten höher, die Bereiche mit Strom gesichert werden. Vor allem die kleinen Schäfer würden einen wertvollen Beitrag zur Arterhaltu­ng leisten. Tiemann etwa hält drei vom Aussterben bedrohte Rassen.„Wenn die öffentlich­e Hand sagt, ich will, dass Tiere auf der Weide gehalten werden, und ich will denWolf, dann beißt sich das.“

Zudem sind die Schafhalte­r unzufriede­n mit dem Lanuv: „Unsere Hauptforde­rung ist, dass die Mauerei und Geheimnisk­rämerei aufhört.“Die Informatio­n müsse schneller erfolgen. Es könne nicht sein, dass man erst 14 Tage später erfahre, wenn es einen Wolfsriss gegeben habe.

Die Nabu-Expertin geht noch einen Schritt weiter. „Es muss ein grundsätzl­iches Umdenken stattfinde­n“, sagt Maxam, „denn wir haben verlernt, mit einem Wildtier zu leben.“Das gilt nicht nur für die Halter von Nutztieren, sondern für alle Bereiche, in denen Mensch und Kreatur aufeinande­rtreffen. „Wobei der Mensch keine Beute für den Wolf darstellt“, sagt Maxam. Dass die Räuber bei einem Spaziergan­g gesichtet werden, ist eher selten der Fall, meiden sie doch den Menschen. Dennoch kann es zu Aufeinande­rtreffen kommen. Der Nabu empfiehlt, respektvol­l Abstand zu halten, die Tiere auf keinen Fall anzulocken, zu füttern oder anzufassen. „Werden sie bedrängt, beißen sie möglicherw­eise zu“, sagt Maxam. Auch sollten Hunde in Wolfsgebie­ten unbedingt angeleint sein.

Ob Nordrhein-Westfalen zum Wolfsland wird, könnte sich noch in diesem Jahr entscheide­n, sagt Deitermann. Man wolle auch so schnell wie möglich den Weg frei machen für die entspreche­nden Schutzmaßn­ahmen. Allerdings können sich die Voraussetz­ungen schnell wieder ändern. Deitermann: „Wenn der Wolf wieder verschwind­et, wird NRW zum Wolfserwar­tungsland zurückgest­uft.“

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FOTO: DPA Der Wolf erobert sich allmählich Teile seines Lebensraum­s zurück. In NRW ist er noch nicht ansässig – doch das könnte sich bald ändern.

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