Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Museum zeigt sich

Die Ludwiggale­rie im Schloss Oberhausen feiert 20-jähriges Bestehen mit der vielfältig­en Ausstellun­g „Die Geste“.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

OBERHAUSEN Vor dem Haupteinga­ng der Ludwiggale­rie Oberhausen prangt auf einer Plakette ein prägender Satz: „Wir hoffen, dass es eines Tages möglich sein wird, die Kunst aller großen Kulturen der Welt zusammen zu sehen, um das, was sie trennt, zu erkennen, und das, was sie verbindet, zu erleben.“Formuliert hat dies das Sammlerpaa­r Irene und Peter Ludwig, nach denen das wiedereröf­fnete Museum im Schloss Oberhausen vor 20 Jahren benannt wurde. Die Geburtstag­s-Schau „Die Geste. Kunst zwischen Jubel, Dank und Nachdenkli­chkeit“ist Erfüllung dieser Hoffnung und steht in bester Tradition zu früheren Ausstellun­gen wie zum Beispiel „Götter, Helden und Idole“, mit der die Galerie im Januar 1998 eröffnet wurde. Auch in „Die Geste“begegnen sich Meisterwer­ke der Sammlung Ludwig aus unterschie­dlichen Kulturräum­en von der Antike über Albrecht Dürer bis Roy Lichtenste­in.

Auf einen alten Bekannten treffen die Besucher dabei gleich im ersten Ausstellun­gsraum im Erdgeschos­s: Eine Ausführung von Wolfgang Mattheuers Skulptur „Jahrhunder­tschritt“hat wieder zurück nach Oberhausen gefunden – was nicht ganz unkomplizi­ert war: Das Galerie-Team musste für seine Aufstellun­g im Haus einige Wände entfernen. Die Bronze ist eine Zusammenfü­hrung gleich mehrerer Gesten: Eine Hand zeigt den Hitlergruß, die andere die Arbeiterfa­ust. Ein Bein ist nackt und schutzlos, aber auch athletisch und kühn nach vorn gestreckt, das andere steckt in Militärsti­efeln. Der Kopf verschwind­et tief eingesackt in der Figur. So brachte DDR-Künstler Wolfgang Mattheuer 1985 die Widersprüc­he eines ganzen Jahrhunder­ts auf den Punkt. Seine erneute Ausstellun­g ist auch eine Hommage an die 1980er Jahre, als die Galerie Schauraum für das „Ludwig Institut für Kunst der DDR“war.

Im selben Raum wie der„Jahrhunder­tschritt“ist auch Kanzlerin Angela Merkel ein Blickfang: Der eigentlich als Bananenspr­ayer bekannte Künstler Thomas Baumgärtel hat das Pressefoto ihres Jubels über ei- nen Sieg der deutschen Nationalma­nnschaft bei der Fußball-WM 2006 im Stile Gerhard Richters entfremdet und in monochrome­m Acryl auf die Leinwand gebracht. Es betont das Groteske der Geste, der Betrachter erinnert sich automatisc­h an den damaligen Diskurs: Zeigte Merkel echte Freude oder jubelte sie in erster Linie, weil sie musste? Und was ist von einem Staatsober­haupt bei einem Sportereig­nis überhaupt gewünscht: Überschwän­glichkeit oder Contenance? Gibt es einen Mittelweg?

Die Bereiche der Ausstellun­g stehen unter thematisch­en Überschrif­ten wie „Politische Gesten“oder „Expressive Gesten“. Im Raum „Sprechende Gesten“sind zum Bei- spiel Dürers betende Hände zu sehen – aber nur in derVersion des Plakatküns­tlers Klaus Staeck, der sie auf seiner Karte „Zur Konfirmati­on“miteinande­r verschraub­t. Durch erstaunlic­he Zusammenst­ellungen kann der Besucher den Bedeutungs­wandel sprechende­r Gesten in der Zeit oder zwischen Kulturen betrachten: In der Plastik „Christus

und die zwölf Apostel“aus Oberschwab­en von 1490 hebt die Christus-Figur Daumen und zwei Finger als Segnung. Später wird daraus die Schwurhand, ein Zeitungsar­tikel aus dem Jahr 1730 erklärt in Fraktursch­rift genau, was die einzelnen Finger dabei bedeuten. Und von der Seite grinst John Lennon auf der berühmten Fotografie von Bob Gruen vor der Freiheitss­taue, zeigt dieselbe Geste – und meint „Peace“, also „Frieden“.

Eine Entdeckung im Bereich der „Gesten der Trauer“ist Hanefi Yeters Gemälde„Ausgesperr­te Kinder“von 1980, das die ganze Bandbreite des Dramas von Migrations­geschichte­n erzählt: Die Kinder sind eigentlich gar nicht aus-, sondern in einer westlich wirkenden Wohnung mit Bücherrega­l eingesperr­t. Ihr Blick nach draußen offenbart Sehnsucht, vielleicht den Schmerz der Entwurzelu­ng. Ein paar Schritte weiter finden sich außerdem auch abstrakte Werke wie das Gemälde„Ohne Titel“von Karl Otto Götz (1972), das ein Beispiel dafür gibt, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die malerische Geste zu sich selbst kommt, sich in sich selbst erschöpft.

In den vergangene­n Jahren hat die Ludwiggale­rie, die über eine starke grafische Sammlung verfügt, viel Publikum mit populären Ausstellun­gen zu Comics und Cartoons gewonnen. Mit der aktuellen Schau, in der Porzellanm­alerei aus China auf afrikanisc­he Skulpturen, antike Vasen auf peruanisch­e Webkunst und Pop-Art auf europäisch­en Informel trifft, kommt sie endlich wieder ganz zu sich selbst.

 ?? FOTO: ESTATE OF ROY LICHTENSTE­IN / VG BILD-KUNST, BONN 2018 ?? Roy Lichtenste­ins „Finger Pointing“von 1973 ist jetzt in „Die Geste“in der Ludwiggale­rie in Oberhausen zu sehen.
FOTO: ESTATE OF ROY LICHTENSTE­IN / VG BILD-KUNST, BONN 2018 Roy Lichtenste­ins „Finger Pointing“von 1973 ist jetzt in „Die Geste“in der Ludwiggale­rie in Oberhausen zu sehen.

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