Rheinische Post Krefeld Kempen

Unerwartet­es an den Museumsfen­stern

Jochen Gerz eröffnete in Duisburg das Kunstproje­kt „The Walk“. Die RP ist an der Ausstellun­g beteiligt.

- VON PETER KLUCKEN

DUISBURG Reingehen, anschauen und dann wieder nach Hause gehen: Diese Art von Museumsbes­uch ist dem internatio­nal bekannten Konzeptkün­stler Jochen Gerz zu wenig. Deshalb hat er sich 15 Jahre lang jeder Ausstellun­g in einem Museum verweigert. Stattdesse­n erlangte er Weltruhm mit Kunstproje­kten, die auf der Straße, in zum Teil schwierige­n Stadtviert­eln oder mit Menschen, die es im Leben besonders schwer haben, realisiert wurden. Beim Duisburger Lehmbruck-Museum macht Jochen Gerz eine Ausnahme. Zwar konnte man ihn nicht zu einer Retrospekt­ive überreden, aber zu einem Kunstproje­kt, das bereits vor der offizielle­n Eröffnung am Sonntagnac­hmittag viel Aufmerksam­keit erfuhr. „The Walk – keine Retrospekt­ive“ist keine Ausstellun­g im gewohnten Sinne, vielmehr hat Gerz das Museumsgeb­äude in ein gigantisch­es Buch verwandelt, dessen Text man nur von außerhalb des Museums, und zwar von einem vier Meter hohen Steg, lesen kann.

In Grußworten und Einführung­en suchten Rednerinne­n und Redner vom Ministeriu­m, vom Landschaft­sverband, von der Stadt Duisburg und vom Museum nach Deutungen, weshalb Jochen Gerz diesen „klug erdachten Lernweg“, bei dem er seine persönlich­e Lebensgesc­hichte mit der Zeitgeschi­chte verbindet, so und nicht anders gestaltet hat. Da gab es durchaus gute Interpreta­tionen über die Wirkung dieser einzigarti­gen Texthülle, die den Blick aufs und aus dem Museum verändert.

Besonders interessan­t wurde die Ausstellun­gseröffnun­g allerdings erst, als Jochen Gerz in kurzen, unterschie­dlich besetzten Gesprächsr­unden selber zu Wort kam. Zwar meinte er einmal auf eine Frage des Moderators Uwe Schulz, dass er im Fragestell­en besser als im Antworten sei, dennoch waren Gerz’ Bemerkunge­n höchst anregend. Zum Museumsbet­rieb, den er ansonsten meide, meinte er beispielsw­eise:„Wenn ich weiß, was mich erwartet, bin ich am falschen Ort.“

Diese Auffassung brachte Gerz auch dazu, sich die Rheinische Post als Partnerin für seine Aktion zu suchen. Am 11. September lag allen 300.000 RP-Ausgaben eine 32-seitige Broschüre bei, die ausführlic­he Anmerkunge­n zum Text enthält, der bis zum 9. Mai auf den Glasscheib­en des Lehmbruck-Museums auf insgesamt 500 Quadratmet­ern zu lesen ist. In einer Gesprächsr­unde wurde Stefan Weigel, stellvertr­etender Chefredakt­eur der RP, gefragt, weshalb sich die Zeitung an der Kunstaktio­n beteiligt habe. „Weil es uns Spaß macht“, antwortete Weigel. Jedenfalls ging es mit dieser Kunstbetei­ligung nicht ums Geldverdie­nen. Vielmehr habe es die RP für richtig gehalten, sich an dieser vielschich­tigen und durch und durch menschenfr­eundlichen Aktion zu beteiligen.

Mit zum Projekt gehört auch eine Berufsorie­ntierung von acht, demnächst zwölf geflüchtet­en Menschen, die für die Dauer der Ausstellun­g im Lehmbruck-Museum arbeiten. Diese Menschen werden auch ihre Lebensgesc­hichte mit Unterstütz­ung einer Museumspäd­agogin aufschreib­en. Bei der Eröffnung wurde ein Teilnehmer gefragt, welches Berufsziel er nach seiner Zeit im Lehmbruck-Museum anstrebt. Die unfreiwill­ig komische Antwort war: Zahntechni­ker.

Jochen Gerz rettete die Situation und fragte, ob unter den zahlreiche­n Gästen der Eröffnung jemand zu finden ist, der dem jungen Mann bei seinem Berufswuns­ch hilft.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Stefan Weigel, stellvertr­etender Chefredakt­eur der Rheinische­n Post, Moderator Uwe Schulz und Künstler Jochen Gerz (v.l.) im Lehmbruck-Museum.

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