Rheinische Post Krefeld Kempen

Bargeldrep­ublik Deutschlan­d

Unser Autor schrieb kürzlich, man könne die digitale Rückständi­gkeit Deutschlan­ds daran erkennen, wie häufig Urlauber im Ausland mit Bargeld bezahlen. Das sorgte für viel Kritik. Warum hängen so viele an Münzen und Scheinen?

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Die erste Mail kommt morgens um kurz nach acht Uhr: „Lieber Herr Rinke, ein anderer Aspekt, warum Deutsche im Urlaub mit Bargeld bezahlen, als digitale Rückständi­gkeit kommt Ihnen offenbar nicht in den Sinn.Wie wäre es mit digitalem Bewusstsei­n?“, fragt ein Leser. Vielleicht gäbe es Menschen, die nicht noch mehr Datenspure­n im Internet hinterlass­en wollten.

In einer Kolumne hatte ich zuletzt geschriebe­n, dass man Deutsche im Dänemark-Urlaub immer besonders gut daran erkennen konnte, dass sie in den Geschäften bar bezahlen. Dabei boten praktisch alle Läden Zahlungen per Karte oder sogar Smartphone an. These: Viele Deutsche (mich eingeschlo­ssen) nehmen auch deshalb so viel Bargeld mit, weil sie so einen Service aus der Heimat nicht gewohnt sind. Aus meiner Sicht belegt dies die digitale Rückständi­gkeit unseres Landes – immerhin setzt das Angebot mobiler Bezahlmögl­ichkeiten beispielsw­eise auch häufig stabile und schnelle Netze voraus.

Viele Leser empörte diese Schlussfol­gerung. Aus ihrer Sicht gibt es zahlreiche (gewichtige­re) Gründe für die Verwendung von Bargeld, zum Beispiel die erwähnte Datenspars­amkeit. Sie argumentie­rten in zahlreiche­n Zuschrifte­n, dass sie vermeiden wollten, dass anhand ihres Kaufverhal­tens Profile gebildet werden, die anschließe­nd etwa zu Werbezweck­en weiterverk­auft werden. Und sie verwiesen darauf, dass die Kartenzahl­ung häufig mit mehr Kosten verbunden sei als die Barzahlung – weil etwa bei der Zahlung per Kreditkart­e im Ausland eine Gebühr anfällt. Ein Leser argumentie­rte:„Solange der Händler den Großteil der Gebühren zu zahlen hat, wird jeder halbwegs gescheite Kaufmann bargeldlos­es Bezahlen zwar vorhalten, aber nicht aktiv bewerben.“

Ein Anderer schrieb, er kenne viele Menschen, die durch bargeldlos­es Bezahlen in die Schuldenfa­lle getappt seien. Bargeld erleichter­e den Überblick über Einnahmen und Ausgaben.„Bargeld ist Anarchie und deshalb der Rückzugsor­t in einer durchdigit­alisierten und kontrollie­rten Welt“, schreibt einer halb ironisch. Ein anderer Leser ergänzt: Durch rein elektronis­ches Geld sei man Negativzin­sen oder anderen kapitalzeh­renden Konstrukte­n schutzlos ausgeliefe­rt. Zudem würde ein Bank-Run auf eine Bank, der die Insolvenz droht, durch elektronis­ches Geld unmöglich gemacht, während Bargeld diesen weiterhin ermögliche­n würde.

So zahlt Deutschlan­d

Zahlungsmi­ttel „Die Banken und Kreditkart­eninstitut­e sind wieder mal die einzigen Gewinner des bargeldlos­en Bezahlens“, so das Fazit.

Viele dieser Argumente sind gut und unbestreit­bar richtig. Und weil das offenbar viele so sehen, ist Deutschlan­d auch 2018 noch immer ein Bargeld-Land – und soll es auch bleiben. Laut einer Studie der Bundesbank wollen 88 Prozent der Menschen in Deutschlan­d auch künftig weiter bar bezahlen (ich übrigens auch). Und deswegen werden Bücher wie „Rettet unser Bargeld“des Ökonomen Max Otte in Deutschlan­d auch zu Bestseller­n. Drei von vier Einkäufe wurden im vergangene­n Jahr bar bezahlt. Münzen und Scheine sind seit Jahren das beliebtest­e Zahlungsmi­ttel, vor allem kleinere Beträge bis 20 Euro wurden 2017 nahezu vollständi­g (88 Prozent) bar bezahlt.

Kein Wunder, dass die Menschen hierzuland­e so viel Bargeld mit sich herumtrage­n, wie in keinem anderen Land der Euro-Zone. 2016 sol-

2008

2011 len es laut Europäisch­er Zentralban­k 103 Euro im Schnitt gewesen sein. In Portugal oder Frankreich waren es nur knapp 30 Euro. Die skandinavi­schen Länder, in denen weiterhin mit Kronen bezahlt wird, wurden nicht erfasst. Laut einer Studie der dänischen Nationalba­nk aus dem Jahr 2016 kippte das Verhältnis von Bar- zu Kartenzahl­ungen aber bereits nach der Jahrtausen­dwende. 2015 wurden im Einzelhand­el lediglich 20 Prozent aller Zahlungen bar vorgenomme­n. Der Bargeldant­eil in den Geldbörsen dänischer oder schwedisch­er Bürger dürfte also relativ gering sein. Selbst die Kollekte in der Kirche funktionie­rt mancherort­s bargeldlos.

Viele Deutsche scheint solchen Entwicklun­gen gegenüber skeptische­r zu sein. Das mag zum Teil aus unserer Historie resultiere­n, aus einer Art kulturelle­m Bargeld-Gedächtnis, an staatliche­r Überwachun­g in ostdeutsch­en Ländern durch die Stasi, an Währungs- und Wirtschaft­skrisen in den Jahren zwischen den Weltkriege­n.

2014

2017

Das liegt aber auch an der mangelnden Infrastruk­tur: In Deutschlan­d ist es sehr viel schwerer als in anderen Ländern, bargeldlos zu bezahlen – 2016 kamen hierzuland­e laut einer Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) auf einen Geldautoma­ten 13 Terminals für bargeldlos­es Bezahlen. In den Niederland­en waren es 81, in Schweden 91, in Luxemburg 311. Nur in Belgien und Österreich (je 1:11) war die Quote europaweit schlechter als in Deutschlan­d.

Im Grunde ist es ein Henne-Ei-Problem:Weil die Deutschen so sehr am Bargeld hängen, brauchen sich Handel und Banken weniger Gedanken um Service und Innovation­en beim Bezahlen zu machen, und weil es immer noch zu wenig bargeldlos­e Bezahlmögl­ichkeiten gibt, bleiben die Deutschen dann doch lieber beim guten, alten Bargeld.

Die Frage ist, was es mit einem Land macht, in dem ein Großteil der Öffentlich­keit nicht viel am Bargeld-Status-quo ändern will – und

Aussagen wie vom damaligen Deutsche-Bank-Chef John Cryan, in zehn Jahren werde es kein Bargeld mehr geben, von vielen als düstere Prophezeiu­ng wahrgenomm­en werden.

Dabei hat Cryan ja wahrschein­lich nicht ganz unrecht. Denn die Welt wandelt sich durch die Digitalisi­erung ja immer rasanter, neue Unternehme­n entstehen genauso wie neue Geschäftsm­odelle. Und die Gewohnheit­en der Menschen ändern sich auch durch das Internet: Kreditkart­e, Lastschrif­t, Rechnung, Paypal, Sofortüber­weisung, Gutschein – viele Händler bieten inzwischen fünf oder mehr Varianten an, wie man den Kaufpreis begleichen kann. Da wirkt es irgendwann befremdlic­h, wenn man in einen Laden kommt, in dem es heißt „Nur Bargeld“.

Viele Transaktio­nen, für die man früher Bargeld oder wenigstens einen Überweisun­gsträger benötigt hätte, können heute digital abgewickel­t werden. Große US-Digitalkon­zerne wie Google und Apple haben längst digitale Bezahlange­bote geschaffen. Hinzu kommen Anbieter wie etwa das schwedisch­e Klarna, das neue Bezahlmode­lle für den Online-Handel entwickelt. Ein Bankkonto bei Sparkasse oder Volksbank benötigen Kunden möglicherw­eise künftig lediglich noch dafür, um das Geld von dort einziehen zu lassen.

Es ist natürlich nicht so, dass sich deutsche Geldinstit­ute darüber keine Gedanken machen. Aber Sparkassen und Co. haben sich mit der Entwicklun­g eigener digitaler Bezahlange­bote wie Paydirekt (vielleicht zu viel) Zeit gelassen. Sie konnten sich diese Zurückhalt­ung auch leisten, weil die deutschen Kunden ja sowieso lieber weiter zum Geldautoma­t gingen. Eine repräsenta­tive Untersuchu­ng des IT-Branchenve­rbands Bitkom zeigte zuletzt, dass nur ein Drittel der deutschen Online-Banking-Nutzer über das Smartphone auch Überweisun­gen vornimmt. Die meisten prüfen lediglich ihren Kontostand.

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(Anteil an Transaktio­nen in Prozent)

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