Rheinische Post Krefeld Kempen
„Krieg als Thema ist mir zu pervers“
Der Autor hat die Romanvorlage für die Serie „Babylon Berlin“geliefert, die am Sonntag im Ersten startet.
Werden Sie am Sonntagabend vor dem Fernseher sitzen?
Ich habe „Babylon Berlin“bereits mehrmals gesehen, daher werde ich wahrscheinlich nicht schauen. Aber ich bin sehr froh, dass die Verfilmung so gut geworden ist.
In der Verfilmung ist vieles anders als in der Romanvorlage …
Das stimmt. Für mich ist es aber entscheidend, dass die Filmemacher dieselbe Intention verfolgen wie ich. Es geht darum zu zeigen, dass die Menschen damals nicht wussten, dass sie aufs Dritte Reich zusteuerten. Dass es sehr schnell gehen kann, dass eine Demokratie vor die Hunde geht. Die Gefahren aufzuzeigen, liegt mir sehr am Herzen, gleiches macht die TVSerie. Das gilt ebenso für die Figuren, auch wenn sie in derVerfilmung anders angelegt sind – aus dramaturgischen Gründen. Aber es funktioniert.
Was ist zum Beispiel anders?
Nehmen wir die Hauptfigur Geron Rath. In der Adaption ist er wirklich Kriegsteilnehmer und an der Front im ErstenWeltkrieg gewesen. Dadurch hat er ein schweres Trauma erlitten und nimmt deshalb Drogen. In meinen Büchern ist das anders. Da war er nicht im Krieg. Anders als im Film spielt der Weltkrieg, den man damals noch nicht nummerieren musste, in meinen ersten Romanen nur eine untergeordnete Rolle. Erst im Buch „Märzgefallene“wird er richtig thematisiert.
Und gefällt Ihnen das?
Es ist grundsätzlich nicht verkehrt, dass die TV-Adaption eigene Wege geht. Das soll eine Adaption ja auch.
Hatten Sie ein Mitspracherecht bei den Drehbüchern?
Ich bin gar nicht so direkt in das Filmprojekt involviert, aber einbezogen werde ich schon. Die Regisseure und Autoren haben mich immer mit sehr großem Respekt behandelt und mir auch immer die Drehbücher gezeigt. Ich konnte auch stets meinen Senf dazu tun.
Wie geht es mit der Fernsehserie weiter? Gibt es weitere Staffeln?
Auch der zweite Gereon-Rath-Roman („Der stumme Tod“) wird adaptiert. Soweit ich weiß, sind die Arbeiten am Drehbuch fast abgeschlossen. Ende des Jahres sollen die Dreharbeiten beginnen. Und eine Anfrage für mei-
nen dritten Roman„Goldstein“gibt es auch schon.
„Der nasse Fisch“erscheint auch als Hörspiel . Wie kam es dazu?
Wie bei der Fernsehserie sind da andere an mich herangetreten. Ein Hörspielredakteur von Radio Bremen hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Und ich sagte: Natürlich. Das Hörspiel ist eine Kunstform, die ein wenig ins Hintertreffen geraten ist. Unverdienterweise, weil das ein sehr spannendes Genre ist. Über diese Adaption freue ich mich sehr.
Ist das Hörspiel näher am Buch dran?
KUTSCHER Das Hörspiel ist sehr viel näher am Roman dran. Die TV-Serie hat sich ja sehr viel mehr Freiheiten genommen. Es wurden 16 Folgen aus einem Buch gemacht. Da sind aus Nebensätzen ganze Handlungsstränge geworden, die gar nicht im Roman auftauchen. Dagegen ist das Hörspiel auch beim Namen des Romans geblieben. Was ich auch sehr gut finde. Das ist für mich eine große Ehre.
Am 30. Oktober erscheint der siebte Rath-Roman. Worum geht es?
Es geht um die sich zuspitzende Auseinandersetzung zwischen Gereon Rath und der Unterweltgröße Johann Marlow. Die Situation wird eskalieren. Der Roman spielt im Jahr 1935. Deshalb werden auch die Nürnberger Gesetze eine Rolle spielen. Mehr will ich aber noch nicht verraten.
Auf wie viele Teile dürfen sich die Fans noch freuen?
KUTSCHER Nach „Marlow“auf jeden Fall noch auf zwei weitere, wahrscheinlich sogar auf drei. Die Serie soll im Jahr 1938 enden. Die Novemberpogrome sollen den Schlusspunkt setzen. Bis dahin will ich auf jeden Fall erzählen. Ursprünglich hätte ich mit dem nächsten Roman im Jahr 1936 aufgehört. Denn ich wollte eigentlich vier Romane aus der untergehendenWeimarer Republik und vier in der sich etablierenden Diktatur erzählen. Und da wäre ich im Jahr 1936 gelandet, im Jahr
der olympischen Spiele in Berlin.
Und was hat Sie daran gestört?
Es wäre aus meiner Sicht falsch gewesen, mit diesem Jahr aufzuhören, weil 1936 ein viel zu positives Jahr im Dritten Reich war. Erst 1938 war wirklich allen klar, wohin die Reise geht, dass es auf die Ermordung der Juden und einen neuen Krieg hinausläuft. Auf den Krieg und in den Holocaust möchte ich in meinen Romanen nicht eingehen, diese Dinge sind mir zu pervers, zu weit weg vom normalen menschlichen Leben. Mir geht es um die Jahre der Weichenstellung – die Jahre, die in den Untergang führten.
Hörspiel, TV-Serie und Romane. Können Sie das beim Schreiben noch voneinander trennen?
Sogar besser, als ich selbst gedacht habe. Es ist nicht so, dass ich jetzt Bilder aus der Fernsehserie im Kopf habe, die die aus den Büchern überlagern. Das sind zwei verschiedene Welten in meinem Kopf. Das habe ich beim Schreiben von „Marlow“gemerkt. Ich gehe mit den Figuren in den neuen Roman immer so hinein, wie sie aus dem alten herausgekommen sind.