Rheinische Post Krefeld Kempen
Nicht getauft und doch katholisch
Die Amtskirche tut sich schwer im Umgang mit indigenen Religionen. Das Volk der Kuna in Panama ist ein Beispiel dafür.
PLAYÓN CHICO Briseida Iglesias verlässt nie alleine ihr Haus. Auch heute fasst sie prüfend in die Innentasche ihres bunten Stoffbeutels, bevor sie die Tür hinter sich schließt. Alle da, es kann losgehen! Drei kleine Holzfiguren sind ihre ständigen Begleiter. „Das sind Nussus, sie symbolisieren die Schutzpatrone der Bäume“, erklärt die 62-Jährige. „Die Nussus sind ein wichtiger Teil unserer Rituale. Wir geben ihnen zu essen und zu trinken und waschen sie regelmäßig, dafür halten sie Böses von uns fern.“
Briseida ist eine Nele, eine weise Frau der Kuna. IhreVolksgruppe lebt nach alten Traditionen auf kleinen Koralleninseln vor der Küste Panamas. Voller Stolz tragen die Frauen hier ihre Tracht. Die Blusen sind mit handgestickten Tüchern, den Molas verziert, Arme und Beine mit dünnen Perlenketten umwickelt. Morgens fahren die Männer mit dem Boot zum Fischen oder auf die Felder auf dem Festland, wo sie Maniok, Ananas und Kokosnüsse anbauen. In der Dämmerung ziehen sie sich auf die Inseln zurück – dort sind sie vor den Moskitos sicher, die abends in dunklen Schwärmen an der Küste aufsteigen.
In der„Comarca Gunayala“gelten Regeln, die ihren Ursprung noch in vorkolonialer Zeit haben. Die Inseln sind im kollektiven Besitz des Volkes. Das Land kann weder gekauft, verkauft oder verpachtet werden. Gemeinschaftseigentum hat nach Überzeugung der Kuna Vorrang vor privatem Besitz. Auch der traditionelle Glaube ist bei den Kuna noch lebendig. „Gott heißt bei uns ‚Baba y Nana‘, er vereint das Männliche und das Weibliche in sich“, erklärt Briseida. „Wir glauben an die Macht der Bäume, die Berge sind sakrale Orte, in denen die Toten begraben werden und wir deuten unsere Träume.“
Doch Briseida praktiziert nicht nur den traditionellen Glauben der Kuna, sie ist gleichzeitig bekennende Katholikin. Für sie ist das kein Widerspruch. „Gott ist so groß“, sagt sie und lächelt. „Da kann es doch nicht nur einen Weg geben, der uns zu ihm führt.“Viele, eher traditionelle Bischöfe, sind da weniger offen. „Sind das wirklich Christen?“, fragen sie, wenn nur wenige Kirchenbesucher während der Messe zur Kommunion gehen. Taufen, Beichten oder eine katholische Eheschließung sind bei den Kuna absolute Seltenheit.
Solche Rituale werden als anmaßend und übergriffig empfunden und sind auf einigen Inseln sogar verboten. Diese Haltung ist konservativen Kirchenmännern suspekt. Seit dem zweiten Vatikani- schen Konzil in den 1960er Jahren hat es die katholische Kirche nicht geschafft, eine Antwort darauf zu finden, wie die Traditionen und der ursprüngliche Glaube eines Volkes in das Christentum eingebracht werden können. Papst Franziskus möchte diese schwierige Frage in Angriff nehmen. Wenn er im Januar 2019 zum Weltjugendtag nach Panama kommt, steht ein Treffen mit jungen Indigenen aus ganz Lateinamerika auf seiner Agenda. Dieses Engagement ist auch innerkirchlich ein Zeichen.
„Das Thema Inkulturation liegt Franziskus sehr am Herzen“, sagt Thomas Wieland vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat. Er sei sich bewusst, dass die Kirche nicht nur in derVergangenheit durch ihre Missionsarbeit neben Positivem auch Unheil angerichtet habe. „Es gäbe da einiges wieder gut zu machen, und wir sollten uns endlich mehr mit der Kosmovision, der Weltanschauung der Indigenen, auseinandersetzen. Da gibt es einiges zu lernen. Zum Beispiel zu der Frage, welche Rolle die Kirche in Anbetracht der fortschreitenden Umweltzerstörung einnehmen kann.“
Franziskus wirbt in vielen Punkten für Erneuerung, er predigt eine „arme Kirche für die Armen“und prangert Verschwendungssucht an. In Panama wird leidenschaftlich darüber diskutiert, wo der Pontifex während seines sechstägigen Besuches übernachten wird. Etwa in der neuen Nuntiatur, der diplomatischen Vertretung des Heiligen Stuhls? Dieser moderne Prachtbau wurde gerade für viele Millionen luxuriös saniert. Oder quartiert sich Franziskus lieber, ganz bescheiden, im Haus der Schwestern von Kalkutta am Stadtrand in der Nähe der Armensiedlungen ein?
Wenn es nach dem Staatspräsidenten geht, wäre die bescheidene Variante wohl keine Option. Juan CarlosVarela, der dem stramm konservativen Orden Opus Dei nahe steht, mag Luxus. Er will den Weltjugendtag nutzen, um das angekratzte Image seines Landes aufzupolieren. Er wünscht sich Bilder von friedlich betenden Jugendlichen, die die Erinnerung an Bankenskandale und schmutzige Geschäfte der Offshore-Finanzdienstleister verblassen lassen. Kurzerhand hat er die Kirchen-Veranstaltung „zum wichtigsten Ereignis in der Geschichte Panamas“und damit zur Staats- angelegenheit erklärt. Eine neue U-Bahn-Linie soll bis Januar fertig werden, überall wird gebaut, die Straßen ausgebessert. Die Regierung rechnet damit, dass die Besucher rund eine Milliarde Euro im Land lassen.
Der Wunsch nach immer mehr, nach höher, schneller, weiter ist den Kuna fremd. Als Briseida ein Kind war, wurden Waren, die die fahrenden Händler zur Insel brachten, mit Kokosnüssen bezahlt. Bevor für den Neubau eines Hauses ein Baum gefällt werden muss, wird das bis heute mit der gesamten Dorfgemeinschaft diskutiert. Anschließend werden die Geister um Erlaubnis gefragt. Nach der alten Überlieferung der Kuna sind die Bäume die Geschwister der Menschen. Sie atmen, nehmen Nahrung auf und haben auch Gefühle. „Wenn wir sie ohne das richtige Augenmaß abholzen, ist es, als würden wir einen Teil unserer Familie töten“, sagt Briseida. „Wie wahr diese Geschichte ist, sehen wir jeden Tag in weiten Teilen unseres Landes. Die Regierung lässt es zu, dass Wälder abgeholzt werden, um Bodenschätze auszubeuten. Später ist das Land den Stürmen schutzlos ausgesetzt und fruchtbare Erde wird weggeschwemmt. Das würden wir Kuna auf unserem Territorium nie zulassen.“
Die Sonne geht unter und taucht Playón Chico in ein rotes Licht. Auf den Stufen vor der Kirche wartet Hugo Astorias auf Briseida. Sie wollen über die Organisation des Weltjugendtages reden. Der Pfarrer sitzt dort und schaut einer Gruppe junger Erwachsener beim Tanzen zu. Barfuß drehen sie sich im Kreis und stampfen auf den Lehmboden, spielen Panflöte. Der dumpfe Rhythmus ist eingängig, geht unter die Haut, in den Kopf bis tief ins Herz. Es ist ein Klang, so alt wie die Kuna selbst.
„Wir können so vieles von den Menschen hier lernen“, ist Astorias überzeugt. Der Claretiner-Bruder lebt seit vielen Jahren auf den Inseln. Er will nicht im klassischen Sinne missionieren, eher im Gegenteil. „Wir Christen sollen aufhören, unseren Glauben eins zu eins auf andere übertragen zu wollen. Die Geschichten der Bibel kommen aus einer ganz anderen Welt. Im 16. Jahrhundert hatten sie die spanischen Eroberer im Gepäck, als sie nach Amerika kamen. Das hat mit dem Leben der Menschen und ihrer Spiritualität nichts zu tun“, sagt er.
Astorias und seine Mitbrüder wollen gesellschaftliche Prozesse anregen. In den 1980er Jahren haben sie die Kuna animiert, die Babigale, ihre Bibel, zu verschriftlichen. Sie haben angeregt, dass das spirituelle und politische Inseloberhaut, der Saila, nicht automatisch der älteste Mann des Dorfes sein sollte, sondern dass vielmehr der Klügste unter ihnen den Chefposten besetzt. Außerdem unterstützen sie junge Kuna zu studieren.
Im Gottesdienst zieht Padre Hugo Parallelen zwischen Babigale und Bibel, die Lieder werden in der Sprache der Kuna gesungen. „Aus unserer Sicht muss nicht das Ritual, sondern dasVerständnis imVordergrund stehen. Ich sehe meine Aufgabe darin, dass die Menschen in einer guten Beziehung zu Gott stehen und inneren Frieden finden. Dafür müssen sie nicht katholisch sein.“