Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein Absturz in Superzeitlupe
Die Serie „Better call Saul“ist ungewöhnlich unspektakulär, extrem langsam – und gerade deshalb exzellent.
ALBUQUERQUE Für 23 Emmys war „Better call Saul“insgesamt schon nominiert, gewonnen hat die Serie nicht einen. Dass sich das bei den diesjährigen „Fernseh-Oscars“nicht änderte, war wenig überraschend: Diesmal war die Nachfolge-Serie des Welthits„Breaking Bad“nämlich gar nicht erst nominiert – aufgrund einer Formalität. Die aktuelle, vierte Staffel war viel zu spät angelaufen, im August statt im April. Nichts könnte passender sein für eine Serie, die ihre Zuschauer mit aufreizend langsamen Erzähltempo herausfordert – und am Ende reich belohnt.
Das atemberaubende Tempo von „Breaking Bad“war Stärke und Schwäche zugleich. Denn im echten Leben wird kein Mensch innerhalb weniger Wochen vom Weichei zum Drogenbaron und Mörder – Diagnose „Krebs, unheilbar“hin oder her. Wie gut, dass dasselbe akribisch arbeitende Team aus Autoren und Regisseuren, Bühnen- und Kostümbildnern, Ton- und Kameraleuten eine ähnlich fulminante Nachfolger-Serie geschaffen hat, die um ein Vielfaches lebensnäher ist: „Better call Saul“nimmt sich alle Zeit der Welt für die Lebensgeschichte von James„Jimmy“McGill, einem Mann aus kleinen Verhältnissen, der nach Respekt giert und sich von seinem Umfeld kleingehalten fühlt.
Wie er ein knappes Jahrzehnt später enden wird, ist aus „Breaking Bad“bekannt: Zunächst unter dem Künstlernamen Saul Goodman als Anwalt der Unterwelt – reich, aber moralisch bankrott; witzig, aber eine tieftraurige Gestalt. Und schließlich auf der Flucht, unter falscher Identität als Filialleiter eines Billigketten-Cafés im Nirgendwo, verdammt zu einem Leben in Langeweile, zurückgeworfen auf sich selbst. Den Weg zu seinem gefühlten Höhenflug als Halbwelt-Halbgott, der ja tatsächlich ein Absturz ist, zeich- net „Better call Saul“nach. Subtil und in Superzeitlupe.
Das Tempo eines Gletschers attestieren ihr viele Kritiker, und das ist kaum übertrieben. Aber es ist auch gut so. In der Ruhe liegt bekanntlich die Kraft. Tatsächlich entfaltet „Better call Saul“auch die Wucht eines mächtigen Eisstroms. Und reißt jeden mit, der sich herantraut an diese so „andere“Serie mit einem absoluten Minimum an Action, ohne Drachen, Schlachten, Zombies, Ali- ens. Das alles braucht es nicht, denn der Plot erwächst mühelos direkt aus den Entscheidungen der Protagonisten, ihrem Denken und Tun, Reden und Schweigen. Die so tragikomische wie glaubhafte Hauptfigur wird fantastisch facettenreich gespielt von Bob Odenkirk (55), gelernter Gagschreiber und Comedian.
Dieser Jimmy McGill träumt und kämpft und beißt sich durch, mit Einfallsreichtum, Witz und Charme – aber er scheitert Mal um Mal um Mal. Am scheinheiligen Establishment in der Juristenbranche im Allgemeinen und seinem Bruder, dem blasierten Star-Anwalt Chuck (herrlich: Michael McKean), im Besonderen. Am Schicksal, an Pech und oft auch an seinem eigenen verhängnisvollem Hang zu halb- und viertellegalen Lösungsansätzen.
Die Serie beantwortet überzeugend, was neben McGill auch Mike Ehrmantraut (Jonathan Banks) so ruiniert hat, den liebevollen Großvater, Ex-Cop und klugen Privatdetektiv, der aber problemlos auch den abgebrühten Killer gibt.
Bis in die fünfte Staffel offen bleiben dürfte indes die Frage, was wohl mit Jimmys Freundin geschieht, der brillanten Jung-Anwältin Kim Wexler (Rhea Seehorn). Man hofft, dass die integre Powerfrau Jimmy schlicht verlässt, weil sie seine selbstgerechten Tricksereien nicht mehr erträgt.
Und befürchtet doch weit Schlimmeres.