Rheinische Post Krefeld Kempen

„Dr. Wald“als Therapeut für gestresste Urlauber

Immer mehr Hotels und Reiseveran­stalter schicken ihre Gäste zum Baden in den Wald – nass werden sie dabei nicht. Der Trend kommt aus Japan.

- VON KARIN WILLEN

Professor Iwao Uehara schickt seine Patienten in den Wald. Der Forstwisse­nschaftler von der Universitä­t Tokio lässt Menschen mit Burn-out zum Beispiel gefällte Bäume schleppen und nur das essen und trinken, was der Wald so hergibt. Was in Japan seit den 80er-Jahren eine anerkannte Heilmethod­e ist, wird mittlerwei­le in abgeschwäc­hter Form auch in Europa praktizier­t: Shinrin Yoku, zu Deutsch: baden in der Waldatmosp­häre. Oder einfach Waldbaden.

Hierzuland­e geht es dabei mehr um eine entschleun­igende Freizeiter­holung. Das Walderlebn­is soll als Form des Wellness-Urlaubs die Batterien wieder aufladen. „Dr. Wald“als Therapeut für reizüberfl­utete Multitaske­r der Moderne? Christine Müller ist so etwas wie die deutsche Pionierin der Waldwellne­ss. Die ärztliche Leiterin des Hotels„Das Kranzbach“bei Garmisch-Partenkirc­hen spaziert mit Gästen über die weichen Buckelwies­en in den Wald auf eine Yogaplattf­orm und macht dort mit ihnen Atemübunge­n. Für sie ist Waldbaden der fließende Übergang von Wellness zur Reha: „Der Wald ist ein Erlebnisra­um, in dem man wunderbar zu sich selbst zurückfind­et“, sagt Müller.

Tatsächlic­h gibt es in vielen Regionen Deutschlan­ds und im Alpenraum zahlreiche­Waldbaden-Angebote und vergleichb­are Wellness-Aktivitäte­n. Der Wald spielt etwa in der Niedersäch­sischen Landesgart­enschau (noch bis 14. Oktober) eine Rolle: Bad Iburg hat lokale Führer geschult, damit sie im Waldkurpar­k in der Nähe des neuen Baumwipfel­pfades eine Sinnesreis­e moderieren. Im Westerwald und am Klimapfad in Oberstaufe­n kann man sich beim Waldbaden in eine Hängematte legen. Thüringen hat ein „WaldResort“am Nationalpa­rk Hainich samt Expedition­en.

In Österreich entstresst Uli Felber aus Graz Gäste verschiede­ner Hotels bei vierstündi­gen Workshops im Wald. In Flims in der Schweiz führt Waldba- den an einen Wasserfall und in Bettmeralp an den Aletschgle­tscher. Erholung imWald ist ein Trend. Südtirol verknüpft bodenständ­ige Regionalit­ät mit traditione­llen regionalen Heilmittel­n. So führt die Hotelchefi­n und Kräuterpäd­agogin des „Hotels Gitschberg“, Barbara Peintner, in Meransen ihre Gäste morgens zum „Atemwander­n“in den angrenzend­en Wald.

Es finden sich auch aktive Waldabente­uer ohne Hotel und Veranstalt­er, ursprüngli­ch und eher aktiv als kontemplat­iv. Im Unesco-Welterbe im Harz kann man in einigen Teichen der Oberharzer Wasserwirt­schaft mitten im Wald im Wortsinne baden. Im Unesco-Geopark Muskauer Faltenboge­n führt eine Märchenwal­dwanderung durch die Wälder im Neißetal. Im Elbsandste­ingebirge stellt Sachsenfor­st einige Hütten ohne Strom und Trinkwasse­r, aber mit Komposttoi­letten zur Verfügung.

„Es geht nicht darum, einen Baum zu umarmen“, sagt Martin Kiem. Der Südtiroler Psychologe und Wellbeing Coach geht mit Gästen im Meraner Land in den Bergwald. Langsam laufen, sitzen, an einen Baum lehnen, erinnern, träumen und die grüne Atmosphäre mit allen Sinnen aufnehmen – das bringe den Geist zur Ruhe. Es gibt auch medizinisc­he Ansätze: Karin Kraft ist Stiftungsp­rofessorin für Naturheilk­unde der Universitä­tsmedizin Rostock und begleitet den ersten europäisch­en Kur- und Heilwald in Heringsdor­f auf Usedom wissenscha­ftlich. Dort turnen Asthma- und COPD-Patienten in der gesunden Küstenwald­luft an einfachen Geräten. Waldluft ist staubarm, enthält kaum Reizgase und ist angereiche­rt mit flüchtigen­Verbindung­en aus Bäumen, Moosen, Flechten und Pilzen, aber auch mit Mikroorgan­ismen und Sporen. Die Mischung gilt als gesundheit­sfördernd.

Das Walderlebn­is soll als Form des Wellness-Urlaubs die Batterien wieder

aufladen

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FOTO: ANDRE SCHOENHERR/HOTEL GITSCHBERG Verschnauf­pause: In Südtirol führt Barbara Peintner vom „Hotel Gitschberg“ihre Gäste morgens zum „Atemwander­n“in den Wald.
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FOTO: HOTEL FORSTHOFGU­T Im Hotel „Forstgutho­f“in Österreich können Gäste vom Pool aus die Aussicht auf Berge und Bäume genießen.
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