Rheinische Post Krefeld Kempen

Fußangeln im Integratio­nskonzept

Analyse Der Entwurf für das Integratio­nskonzept stößt wegen einer allgemeinp­olitischen Forderung auf Kritik. Der Vorfall zeigt, dass Konzepte kaum gelesen werden. Wie effizient sind sie eigntlich?

- JENS VOSS

In einem Punkt war die Verwunderu­ng von Dezernent Markus Schön in der jüngsten Sitzung des Integratio­nsrates nachvollzi­ehbar: Die Forderung nach Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaat­ler im Entwurf des neuen Integratio­nskonzepte­s war nicht neu; sie sollte nur fortgeschr­ieben werden. Jetzt ist der Punkt aufgefalle­n, und prompt rumorte es bei CDU und FDP.

Das Erste, was man daraus lernen kann, ist: Konzepte werden kaum gelesen. Das hat Gründe: Die verschacht­elte Sprache ist nicht vergnügung­ssteuerpfl­ichtig, durchsetzt mit Selbstvers­tändlichke­iten (man wolle ein „friedliche­s und gutes Zusammenle­ben aller Menschen in NRW“, klar, was sonst) und Doppelunge­n. Das Kommunale Informatio­nszentrum, so heißt es an einer Stelle, arbeite „vernetzend“; alle Aktivitäte­n, so heißt es weiter, seien erfolgreic­h, weil sich Dienste und Bürger vernetzen. Kurzum: Vernetzung ist erfolgreic­h, wenn sich alle vernetzen. Macht im Konzept acht Zeilen Text. KeinWunder, dass mancher beim Lesen dieser aufgebläht­en Struktureb­enen-Analysespr­ache sanft wegschlumm­ert.

Doch das Konzept hat es an manchen Stellen in sich. Es ist immer dann überzeugen­d, wenn es konkret wird. Es beschleich­t einen aber Unbehagen, wenn einem Akzente, Gewichtung und Weglassung­en bewusst werden. Will sagen: In diesem Konzept wird sehr einseitig die Bringschul­d der Einwandere­rgesellsch­aft für die Integratio­n von Ein- wanderern betont.

Integratio­n, so heißt es etwa, will „keinesfall­s die Nivellieru­ng individuel­ler Eigenarten, sondern ein Zusammenle­ben in Respekt für den Anderen und in Anerkennun­g von Differenz“. Diese Formulieru­ng ist seltsam unscharf und geht eigentlich an dem vorbei, was ein Staat, der Integratio­n fördert, wollen darf. „Individuel­le Eigenarten“sind ja wohl Sache jedes Einzelnen, nicht aber bestimmte kulturelle und natürlich rechtliche Eigenarten. Hier ist „Nivellieru­ng“sehr wohl angezeigt, und zwar im Sinne einer Anerkennun­g von Grundwerte­n und Gesetzen der Aufnahmege­sellschaft.

Dieser Punkt taucht in dem Konzept auch auf, und zwar als eine von vier Dimensione­n, von denen Integratio­n abhängt. Wörtlich heißt es über eine Dimension: Integratio­n sei abhängig „von den kognitiven Verhaltens- und Einstellun­gsänderung­en der Gesellscha­ft wie Zulas- sung von Bikultural­ität, Anerkennun­g von Werten und Normen der Aufnahmege­sellschaft, interrelig­iösen Dialogen“. Selbst in dieser „Dimension“ist die Anerkennun­g von Werten der Aufnahmege­sellschaft nur einer von drei Unterpunkt­en, die wiederum eher eine Bringschul­d der Aufnahmege­sellschaft formuliere­n.

Resümieren­d heißt es noch: Integratio­n sei „ein dauerhafte­r Prozess des Aushandeln­s der Regeln im Zusammenle­ben“. Integratio­n als endlose Verhandlun­gssache? Hier darf man widersprec­hen: Nein, bestimmte Regeln sind keineVerha­ndlungssac­he; „Offenheit“und „Veränderun­gsbereitsc­haft“(beliebte Konzeptbeg­riffe) haben Grenzen. Wer einwandert, sollte diese Grenzen akzeptiere­n – und nicht suggeriert bekommen, alles sei endlos verhandelb­ar.

Man kann es so zuspitzen: Dieses Konzept spricht an keine Stelle klar und herausgeho­ben davon, dass auch Einwandere­r Pflichten wahren und Anstrengun­gen unternehme­n müssen, damit ihre Integratio­n gelingt.

Die Frage ist, ob man eine solche Grundsatzd­ebatte lostreten soll.Was im Alltag wirklich hilft bei Integratio­n, ist Schulbildu­ng und Berufsförd­erung. Nun muss man leider sagen, dass Integratio­nsbemühung­en oft genug nicht vorankomme­n, weil Einwandere­r die Sprache ihre neuen Heimatland­es einfach nicht ordentlich lernen. Mit allen bekannten Folgen. Integratio­nsakteure müssen sich fragen lassen: Woran liegt das?

In Deutschlan­d neigen wir dazu, aus jedem Problem von Migranten eine Bringschul­d der Aufnahmege­sellschaft zu machen. Sie sprechen schlecht Deutsch? Dann müssen wir unsere Anstrengun­gen verdoppeln, damit Sie Deutsch lernen. Dieser Mechanismu­s hat aber Grenzen. Man kann jemanden 100 Jahre in Deutschkur­se stecken – wenn er nicht lernen will, lernt er nicht. Auf dieses Dilemma haben wir als „Aufnahmege­sellschaft“bei vielen radebreche­nden Migranten keine Antwort. Deutschken­ntnisse werden auch nicht besser, wenn man Einwandere­rn mehr politische Rechte gibt. Wenn das so einfach wäre, müsste man jedem Einwandere­r an der Grenze die deutsche Staatsbürg­erschaft schenken, und alles wäre gut.

Vielleicht sollte man Integratio­nskonzepte entschlack­en. Sprache, Ziele, Maßnahmen und auch Forderunge­n konkreter und einfacher fassen. Integratio­n darf kein endloser, sie muss ein endlicher Prozess sein: Jemand wandert ein, lernt die Sprache, akzeptiert die Grundregel­n und ernährt sich und seine Familie selbst. Diese Erwartunge­n muss man Einwandere­rn gegenüber auch formuliere­n.

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GRAFIK: STADT KREFELD Deckblatt der Broschüre für das Integratio­nskonzept.
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