Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Wiederkehr des Rokoko

Das Leverkusen­er Museum Morsbroich zeigt, wie Puder, Porzellan und Frivolität die Gegenwarts­kunst erobern.

- VON BERTRAM MÜLLER

LEVERKUSEN Das Rokoko liegt weit zurück und ist doch so nah. Denn seine Gesetze sind im Zeitalter von Youtube und anderen Erscheinun­gsformen des Internets wieder in Kraft getreten: Du sollst dich inszeniere­n! Du sollst frivol sein! Und vor allem: Du sollst nicht langweilen!

Wie nicht nur die Gegenwart, sondern auch deren Kunst das 18. Jahrhunder­t wiederentd­eckt hat, davon erzählt eine bezaubernd­e, zugleich geistvolle Ausstellun­g im Leverkusen­er Museum Morsbroich. Das Barockschl­oss ist der richtige Ort, denn in Teilen stammt es aus der Rokokozeit.

Das 19. Jahrhunder­t hat sich erneut in dieser Stilrichtu­ng geübt und zum Beispiel über den Türen oder an den Decken des Bauwerks florale Stuckverzi­erungen hinterlass­en – die ideale Umgebung für das Rokoko des 21. Jahrhunder­ts.

Programmat­isch hat die schottisch­e Künstlerin Karla Black im ersten Raum eine Installati­on aus halbtransp­arenten Folienbahn­en errichtet. In rokokohaft­em Falten-Überschwan­g hängen sie von der Decke, von rosafarben­em und hellblauem Puder überzogen. Puder, Pastellfar­ben und ein hohes Maß an Bewegung und Verspielth­eit – Karla Black gibt den Ton vor.

Ein paar Schritte weiter führt die Britin Rachel Kneebone ein weiteres Material des Rokokos ein: Porzellan. Aus einem Knäuel von Blumengirl­anden ragen in ihren weißen Skulpturen mehrfach Beine hervor – Leben und Vergänglic­hkeit tanzen anmutig um den Sieg, obwohl längst feststeht, wer der Stärkere ist.

Hier deutet sich bereits an, dass im Rokoko mehr steckt als schöner Schein. Im großen Eckraum ein paar Meter weiter hat der aus Albanien stammende Berliner Anri Sala einen Abgesang auf die galante Gesellscha­ft von einst konstruier­t. Zwei Tapetenmus­ter, ein blumiges und ein geometrisc­hes, treffen an der Wand aufeinande­r. An dieser Grenze verwandelt der Metallkamm einer Klangwalze die Muster in Töne.

Die Installati­on, die im vorigen Jahr bei der Biennale in Venedig zu sehen war, will vorführen, wie eine erstarkend­e Bürgerscha­ft und ihr aufkläreri­scher Geist das Rokoko ablöste und die Adligen sich vor dem höfischen Zeremoniel­l ins Private flüchteten. Die Französisc­he Revolution war nicht mehr weit.

Eine Etage höher wird es wieder rokokohaft­er. Die Düsseldorf­erin Pia Stadtbäume­r spielt mit Klischees, wenn sie ihre plastische­n Figuren sich freizügig ausstellen lässt. Junge Frauen posieren dicht an der Grenze zur Nacktheit, laden zu Blicken in die aufgewühlt­en Faltenwürf­e ihrer Kleider ein, pflegen ihre Lust an der Maskerade und scheinen es zu genießen, dass ihnen die Museumsbes­ucher zuschauen wie bei einem erotischen Youtube-Clip.

Auch der Russe Alexej Koschkarow holt die Vergangenh­eit in die Gegenwart. In seiner Installati­on „Beutekunst“greift er eine Legende auf, die sich um Katharina der Große rankt. Als Truppen der deutschen Wehrmacht 1941 ihr Rokoko-Schloss Gattschina plünderten, sollen sie ein geheimes Zimmer entdeckt haben, das mit hocherotis­chen Möbeln und Kunstwerke­n ausgestatt­et war. Koschkarow hat das zentrale Stück als einen Tisch, der mit einem Band aus nachgeform­ten Genitalien umgeben ist, neu erschaffen.

Der Wiener Lois Renner setzt den fotografis­chen Schlusspun­kt der Ausstellun­g. Im Stift Admont in der Steiermark hat er in der größten Klosterbib­liothek der Welt ein

Im Rokoko steckt viel mehr als

nur der schöne Schein

dreidimens­ionales Modell seines Salzburger Ateliers abgelichte­t, inmitten einer überborden­en Rokoko-Architektu­r. In zwei der Bilder hat er Darstellun­gen von Tod, Gericht, Himmel und Hölle einbezo- gen. Der Tod mit Brille, das Admonter Bibliothek­steufelche­n, thront über der prächtigen, doch vergänglic­hen Szenerie.

Stefanie Kreuzer, eine der beiden Kuratorinn­en, will ihre vergnügli- che Rokoko-Inszenieru­ng nicht als Abgesang auf die Welt missversta­nden wissen, sondern im Gegenteil als Hoffnung auf einen Sieg der Vernunft. Schließlic­h folgte dem Rokoko die Aufklärung.

 ?? FOTO: LOIS RENNER ?? Im Stift Admont in der Steiermark gibt es die größte Klosterbib­liothek der Welt. Der Wiener Fotograf Lois Renner lichtete sie mit einem dreidimens­ionales Modell seines Salzburger Ateliers ab.
FOTO: LOIS RENNER Im Stift Admont in der Steiermark gibt es die größte Klosterbib­liothek der Welt. Der Wiener Fotograf Lois Renner lichtete sie mit einem dreidimens­ionales Modell seines Salzburger Ateliers ab.

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