Rheinische Post Krefeld Kempen

Drei Jahre danach

Deutschlan­d gastiert in Paris: Das bisher letzte Duell im Stade de France gewinnen die Franzosen mit 2:0. Am Abend des 13. November 2015 aber wird der Fußball überschatt­et. Unser Sportredak­teur erinnert sich.

- VON GIANNI COSTA

PARIS An diesem Abend Ende 2015 gibt es viel Blut, viel Angst, viel Leid in der Stadt der Liebe. Es ist der 13. November, 21.17 Uhr, die 16. Spielminut­e läuft im Freundscha­ftsspiel zwischen Frankreich und Deutschlan­d. Plötzlich ein gigantisch­er Knall. Die Fußball-Arena zittert leicht. Das Publikum nimmt das Geräusch hin. Eher gleichgült­ig. Es passt nicht in die Vorstellun­gskraft, was sich da gerade vor dem Stadion abgespielt hat. Die Zuschauer sind einer Katastroph­e entgangen. Am Stadion-Tor „D“hat sich einer von drei Attentäter­n in die Luft gesprengt, die das vollbesetz­te Stade de France attackiere­n wollten.

Zwei der Selbstmord­attentäter sollten wohl ins Stadion eindringen und sich auf einer der Tribünen in die Luft sprengen. Vor laufenden Kameras. Der dritte sollte vor dem Stadion im Hinterhalt warten und seine Sprengwest­e zünden, wenn Zehntausen­de panisch vom Tatort flüchten. Der Plan misslang glückliche­rweise. Doch an anderen Orten im Stadtgebie­t richten die Terroriste­n ein Bild der Verwüstung an. 130 Menschen sterben, 683 werden zum Teil schwer verletzt.

Am Dienstag werden wieder rund 80.000 Zuschauer im Stade de France sein. Einer davon werde ich sein. Wie vor drei Jahren. Lange hatte ich an diesem Tag zu knabbern.Verwüstete Viertel, Einschussl­öcher an den Tatorten und abgedeckte Leichen auf den Straßen. Eine Massenpani­k Tage später auf dem Platz der Republik, bei der zum Glück niemand schwerer verletzt worden ist. Viele dieser Bilder haben mich lange begleitet. Hunderte Fußballspi­ele sind seither wieder angepfiffe­n worden. DieWelt hat sich weitergedr­eht. Und mittlerwei­le redet fast keiner mehr über das Damals, sondern alle sind zu sehr mit der Gegenwart beschäftig­t. Irgendwie ist das auch eine sehr gute Nachricht. Denn die Terroriste­n haben nicht geschafft, was sie wollten: uns die Freiheit zu nehmen.

Also wieder Paris. Und immer noch Joachim Löw. Der Bundestrai­ner sitzt auf dem Podium. Nie- mand fragt, ob das für ihn emotional ein besonderes Spiel ist. Die Fußballnat­ion Deutschlan­d hat in diesen Tagen andere Sorgen. Bei einer Niederlage gegen den Weltmeiste­r Frankreich droht der Abstieg aus der Nations League. Die fanden zwar bis vor kurzem noch alle sehr albern, weil aber niemand zweitklass­ig spielen will und Löw nach den ernüchtern­den WM-Auftritten und zuletzt gegen die Niederland­e (0:3) in der Kritik steht.

Eine weitere Niederlage würde ihn in arge Turbulenze­n bringen. DFB-Präsident Reinhard Grindel hat sich schon einmal vorsichtig von ihm abgewandt, lieber keine Treueschwü­re erneuert. „Die Nie- derlage gegen die Niederland­e war schmerzlic­h“, befindet der Bundestrai­ner. Ganz unerwartet sei sie aber für ihn nicht gekommen, er habe durchaus mit Rückschläg­en gerechnet. Wirklich?

War es nicht der Plan, dass nach der WM alles sofort anders werden sollte? War es nicht Löw selbst, der einen deutlichen Umschwung angekündig­t hatte, von dem bisher aber nur wenig zu sehen ist? Löw erinnert sich an das kleine Einmaleins des Mannschaft­ssports. Er verzichtet auf das Verkünden großer Visionen. Zwei, drei Punkte müsse man mit Blick auf das Spiel gegen Frankreich verändern. Es gelte, alle Kräfte zu bündeln, um den Schaden zu

reparieren, der in Amsterdam noch größer wurde.„Wir müssen jetzt die richtige Reaktion zeigen“, sagt Löw. „Ein paar taktische Dinge ändern, ein paar Personalie­n ändern.“Manuel Neuer ist davon indes nicht betroffen. Er steht auch am Dienstag im Tor. Ob ihn die Kritik an seiner Person belastet, wird Löw gefragt. „Mit dem Druck kann ich relativ umgehen“, versichert Löw und schiebt mit einem Lächeln nach:„Wenn das alles ist, halte ich es aus.“Mehr Fragen gibt es nicht. Die Uefa pocht auf die Einhaltung des Zeitplans.

Für Löw steht also viel auf dem Spiel. Ganz vielleicht sollte man sich aber vor Augen führen, was vor drei Jahren in Paris wirklich auf dem Spiel stand. Das macht es leichter, Fußball als das zu nehmen, was es ist: ein Spiel.

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FOTO: IMAGO Stade de France: Nach dem Anschlag in Paris flüchten die Fans in den Innenraum des Stadions in Frankreich.

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