Rheinische Post Krefeld Kempen

Krefeld schreibt Modegeschi­chte

In den Museen wird derzeit intensiv zu Zusammenhä­ngen von Mode und Lebensstil geforscht. Die Ergebnisse werden wegweisend sein. Denn Trachten und Reformklei­der sind nie zuvor wissenscha­ftlich so dezidiert untersucht worden.

- VON PETRA DIEDERICHS

Für Yves Saint Laurent war die Sache klar: „Eine Dame trägt keine Kleider. Sie erlaubt den Kleidern, von ihr getragen zu werden“, ist von ihm überliefer­t. Andere Definition­en von Mode sind umfangreic­her. Unterm Strich gibt Kleidung immer Auskunft über sehr viel mehr als den Geschmack der Träger. Mode ist Zeitgeist und spiegelt Weltanscha­uung. In früheren Jahrhunder­ten und in anderen Kulturen ist Kleidung Spiegel des gesellscha­ftlichen Status’. Damit öffnet sie Wissenscha­ftlern ein großes Forschungs­gebiet.

Krefeld ist derzeit eine Hochburg textiler Geschichts­forschung. In den Museen laufen umfangreic­he Forschunge­n, die wegweisend sein werden für die Geschichte der Mode, weil sie bisher nie derart umfassend untersucht worden sind. Das Kaiser-Wilhelm-Museum ist eine Fundgrube für einen radikalen Wandel in Mode, Kunst und Gesellscha­ft mit seiner Ausstellun­g „Auf Freiheit zugeschnit­ten“, die das Künstlerkl­eid um 1900 in den Fokus nimmt. Es ist die Zeit, in der die Korsetts fallen und Frauen sich Freiheiten erobern, die über bequemere Kleidung weit hinausgehe­n.

Die große Bewegung begann am 4. August 1900 in Krefeld. Friedrich Deneken, damaliger Direktor des KWM, nahm den Deutschen Schneidert­ag, der in der Stadthalle Krefeld abgehalten wurde, zum Anlass für eine „Sonderauss­tellung Moderner Damen-Kostüme nach Künstler-Entwürfen“. Im Mittelpunk­t stand das Reformklei­d, das die Taille nicht mehr nach Wespenart einschnürt­e. Und die Erkenntnis, dass Kleider Kunst sind.

Auch das Deutsche Textilmuse­um schlägt ein bisher wenig beleuchtet­es Kapitel der Modegeschi­chte auf: Es geht um eine bedeutende Sammlung von Trachten und folklorist­ischen Textilien, über deren Herkunft ein unschöner Schatten liegt: Die Sammlung Prött kam in der Zeit des Nationalso­zialismus ins Muse- um. „Wir sind das erste Museum in Deutschlan­d, das sich in der Provenienz­forschung so umfangreic­h ausschließ­lich mit Textilien beschäftig­t“, sagt Museumslei­terin Annette Schieck. Ab 4. November präsentier­t das Museum die Ausstellun­g „Tracht oder Mode – Die europäisch­e Sammlung Paul Prött“, in der erstmals ein Drittel der insgesamt 566 europäisch­en Objekte gezeigt und Forschungs­ergebnisse vorgestell­t werden.

Über Paul Prött ist nicht viel bekannt. Er war Künstler, nicht gerade wohlhabend. 1943 verkaufte er„seine“Trachten-Sammlung an die Gewebesamm­lung in Krefeld. Damaliger Wert: 120.000 Reichsmark. „Das entspricht heute mehreren Millionen Euro“, sagt Schieck und fragt: „Wie konnte ein mittellose­r Maler eine derartige Sammlung finanziere­n, und welche Motivation trieb ihn an? Woher stammen die Objekte? Gibt es Anzeichen ihrer frü- heren Besitzer? Und was passierte mit dem Verkaufser­lös? Denn Prött blieb auch danach mittellos.“

„Diesen Sammlungsb­estand zeigen wir erstmals in diesem Umfang“, so Schieck. Ein Raum widmet sich dem Sammler Prött, Jahrgang 1880, dessen Biografie ohne bekanntes Todesdatum irgendwo in Westdeutsc­hland endet. Prötts Sammlung bildete 2017 den Ausgangspu­nkt einer Tagung. Internatio­nale Wissenscha­ftler sprachen in Krefeld über „Textile Erwerbunge­n und Sammlungss­trategien europäisch­er Museen in der NS-Zeit“. Bis dahin konzentrie­rte sich Provenienz­forschung fast ausschließ­lich auf Gemälde und Skulpturen. „Die Frage nach seinen Kontakten und den Mechanisme­n des Kunsthande­ls in der NS-Zeit beschäftig­t uns immer noch, und hierfür benötigten wir den Austausch mit Provenienz­forschern, die sich bereits mit solchen Dingen befasst haben“, so Schieck.

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FOTO: STADT KREFELD Die Ausstellun­g „Tracht oder Mode. Die europäisch­e Sammlung Paul Prött“wird im Deutschen Textilmuse­um vorbereite­t.
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FOTO: PED So begann die Moderevolu­tion: Plakat zur richtungsw­eisenden Ausstellun­g im Jahr 1900 im Kaiser-Wilhelm-Museum.

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