Rheinische Post Krefeld Kempen
Die Rolle der Arbeiter- und Soldatenräte
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie mussten Ruhe, Ordnung und Lebensmittelversorgung gesichert werden.
KREIS VIERSEN Mit dem Zusammenbruch der Monarchie und dem Kriegsende war es offen, wie es in Deutschland weitergehen sollte. Ob sich die Idee einer parlamentarischen Monarchie, einer parlamentarische Demokratie oder einer sozialistischen Diktatur des Proletariats durchsetzen würden, war im November 1918 ungeklärt.
In dieser Situation allgemeiner extremer Unsicherheit leisteten die Arbeiter- und Soldatenräte einen wichtigen Beitrag zur Beruhigung der Lage. In diesem Monat bildeten sich auch im Kreis Kempen Arbeiter- und Soldatenräte, die die Polizeigewalt und die Rolle der Obrigkeit übernahmen. Zumindest hierzulande standen sie nicht für anarchische Umtriebe, sondern waren im Gegenteil stabilisierende Elemente in einer Phase des völligen Umbruchs im Deutschen Reich.
Als Beleg dafür mag ein Bericht des Kempener Landrates Karl von Hartmann-Krey an den Düsseldorfer Regierungspräsidenten dienen, in dem zugleich die weit verbreiteten Ernährungsengpässe zum Ausdruck kamen. Am 21. November 1918 schrieb der Landrat: „Hier sind in allen Bürgermeistereien Arbeiter- und Soldatenräte eingerichtet worden, die auch mit Anhängern der Zentrumspartei besetzt sind. Ein Zusammentreffen mit den alten Behörden ist überall in die Wege geleitet. Kleineren Mängeln stehen ebenso große Vorteile gegenüber. Vor allen Dingen habe ich in den Arbeiter- und Soldatenräten endlich die Organe, die mir anstelle der so oft beantragten, aber nie bewilligten Hülfsgendarmen in der Unterdrückung des hie wie nirgendwo blühenden Hamsterunwesens hülfreich zur Seite stehen. Mit einer Rücksichtslosigkeit, wie sie frü- her unbekannt war, ist man dem Unwesen zuleibe gegangen und seiner auch endlich Herr geworden.“
Ein wesentliches Problem ab Mitte November war es, Ordnung und Struktur in die Rückkehr und Wiedereingliederung der zurückkehrenden Soldaten zu bringen. So hieß es in einem Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrates der Gemeinde Vorst vom 18. November 1918:„Zur Regelung der Bekleidung der heimkehrenden Truppen ist eine besondere Kommission eingesetzt worden, welche auch im Rathause, Zimmer 8 tagt. Wünsche wegen Versorgung mit Bekleidung wolle man an derselben Stelle anbringen.“
In derselben Quelle wird Fahnenflüchtigen Straffreiheit zugesichert, mehr als ein Hinweis, dass man mit dem bisherigen Militarismus brechen wollte. Im einzelnen hieß es: „Alle Soldaten (Urlauber, Mannschaften der Ersatztruppenteile, die nicht ordnungsgemäß entlassen sind, aus dem Felde Zurückgekehrte, sowie die bisher Fahnenflüchtigen, die keine Strafe zu erwarten haben) haben sich unverzüglich zu ihrem Ersatztruppenteil zu begeben, woselbst Entlassungsverfahren … durchgeführt werden.“
Über die Vorgänge in Vorst sind wir aufgrund einer umfangreicheren Darstellung von Jürgen Karsten im Heimatbuch 1977 besonders detailliert unterrichtet. Sie kann als Beispiel herangezogen werden, weil sich die Entwicklung in den anderen Städten und Gemeinden ganz ähnlich vollzog. In Vorst war auch die Bauernschaft gleichberechtigt in die Arbeit des Arbeiter- und Soldatenrates einbezogen. So wurde bei einer„Volksversammlung“am 17. November im Lokale von Jakob Nötges ein „Wohlfahrtsausschuss“gebildet, der aus drei Arbeitern, vier Soldaten und drei Bauern bestand.
Von den ländlichen Gemeinden wurde selbstverständlich erwartet, dass sie ihren Beitrag zur Versorgung der großen Städte leisteten. Auch insofern wurden die Arbeiter- und Soldatenräte mitverantwortlich. Schon am 9. November, dem Tag des Thronverzichtes Wilhelms II., hatte der Düsseldorfer Regierungspräsident die nachge- ordneten Behörden wissen lassen: „In verschiedenen Städten haben sich in den letzten Tagen Arbeiterund Soldatenräte gebildet. Ich ersuche, soweit möglich mit den Räten zusammenzuarbeiten und das Hauptgewicht darauf zu legen, dass die öffentliche Ruhe und Sicherheit aufrechterhalten bleibt. … Vor allem ist dafür zu sorgen, dass die Frischmilchzufuhr an die Großstädte nicht ins Stocken gerät, da sonst für die Säuglinge der sichere Tod heraufbeschworen würde. Jede Stockung in der Anlieferung von Brot, Getreide und Kartoffeln, aber auch von den anderen öffentlich bewirtschafteten Lebensmitteln, kann bei der jetzigen Lage die schwersten Gefahren verursachen.“
Mit der Machtübernahme der belgischen Besatzungstruppen zeichnete sich schon bald das Ende der Arbeiter- und Soldatenräte ab. Insgesamt wird ihrer kurzen, aber wirkungsvollen Rolle in der Forschung heute ein gutes Zeugnis ausgestellt.