Rheinische Post Krefeld Kempen
Polen ist so wichtig wie Frankreich
GASTBEITRAG Polen hat eine schmerzhafte Historie. Mal gehörte das Land den Preußen, dann den Russen. Vor 100 Jahren begründeten die Polen ihre staatliche Unabhängigkeit wieder. Zeit, sich dem Land neu anzunähern.
Vor 100 Jahren, am 11. November 1918, wurde die staatliche Unabhängigkeit Polens wiederbegründet. Aufgrund der Teilungen durch seine Nachbarn Preußen, Österreich-Ungarn und Russland hatte Polen 123 Jahre nicht als Staat existiert. Die Nation aber war nicht untergegangen, der Wille der Menschen, Polen als Staat wiedererstehen zu lassen – „noch ist Polen nicht verloren“– war stark und einte das Volk, auch in einer beispiellosen Symbiose mit der katholischen Kirche.Wir, die Deutschen haben allen Anlass, uns mit unseren polnischen Nachbarn über die wiedererlangte Unabhängigkeit zu freuen und Polen von Herzen zu gratulieren!
1939 wurde Polen erneut
Opfer seiner Nachbarn.
Hitler und Stalin vereinbarten einen verbrecherischen Pakt, die Aufteilung Polens, der Zweite Weltkrieg begann. 55 Millionen Tote, der Holocaust, Flucht undVertreibung waren die Folgen. Heute sind Polen und Deutschland in der Europäischen Union„zu unserem Glück vereint“, wie es in der Berliner Erklärung vom 25. März 2007 zur Erinnerung an die Römischen Verträge von 1957, der Begründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), heißt.
Am erfolgreichen europäischen Weg hat auch Polen einen großen Anteil. Die Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland gehört zu den besonders glücklichen Entwicklungen der jüngeren europäischen Geschichte. Sie wurde erst möglich durch den Zusammenbruch des Kommunismus 1989/90. Aber bereits 1965 hat die polnische Bischofskonferenz gegenüber ihren deutschen Amtsbrüdern ein großes Zeichen derVersöhnung gegeben:„Wir vergeben und bitten umVergebung.“. Die Bischöfe wurden von der kommunistischen Partei dafür hart kritisiert. Dieser Satz erinnert an eine große Geste von Robert Schuman, dem französischen Außenminister, 15 Jahre vorher, als dieser am 9. Mai 1950, die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vorschlug. Dabei ging es ihm um Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, um Frieden in Europa.
Ohne Solidarno und Lech Wał - sa, ohne Papst Johannes Paul II., der in den 80er Jahren seinen polnischen Landsleuten zugerufen hat: „Habt keine Angst“, hätte es die deutsche Einheit in Freiheit nicht gegeben. Das dürfen wir Deutschen niemals vergessen. Am Tag des Falls der Mauer am 9. November 1989 war Bundeskanzler Helmut Kohl in Warschau. Er reiste nach Berlin und versprach, nach Polen zurückzukehren. Am 12. November feierte der Bischof von Oppeln (Oberschlesien), Alfons Nossol, mit Helmut Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki in Kreisau auf dem Gut des Widerstandskämpfers James Graf von Moltke einen Versöhnungsgottesdienst. Diese Geste war von unschätzbarer Bedeutung für die kommenden Jahrzehnte der deutsch-polnischen Aussöhnung, denn sie zeugte von Respekt und dem Willen, Brücken zu bauen und den Blick nach vorne zu richten. Die Versöhnung zwischen Polen und Deutschland ist heute eine gute Grundlage, die Herausforderungen zu bewältigen.
Ebenso wie Mazowiecki und Kohl in Kreisau müssen wir uns dabei von der Wahrheit leiten lassen, Respekt und Geduld. Meinungsverschiedenheiten sollten wir nicht verschweigen. Die Abberufung von Richtern vor dem Ablauf ihrer Amtszeit am Höchsten Gericht Polens widerspricht europäischenWerten und europäischem Recht. Die polnischen Forderungen nach deutschen Reparationen sind irritierend. Die moralische Schuld Deutschlands am ZweitenWeltkrieg ist unbestritten, aber Reparationen haben aufgrund der deutsch-polnischen Verträge keine rechtliche Grundlage. Gleichzeitig bieten sie Populisten und Nationalisten in beiden Ländern Gelegenheit, durch eskalierende Rhetorik die Geister der Vergangenheit zu beschwören und den Weg in die Zukunft zu verbauen. Auch wir Deutschen sollten selbstkritisch sein. Der Bau der Nordsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland geschah und geschieht unter Vernachlässigung der Interessen und Empfindungen unserer polnischen und anderer Partner.
Die deutsch-polnischen Beziehungen sind für die Zukunft der EU ebenso entscheidend wie unsere Partnerschaft und Freundschaft mit Frankreich. Das„Weimarer Dreieck“zwischen Polen, Frankreich und Deutschland als ein wichtiger Kern der Europäischen Union sollte wiederbelebt werden. Die deutsch-polnischen Beziehungen, unsere Freundschaft, sind ein Anliegen des Herzens und des Verstandes. Wir sollten uns jetzt den Zukunftsaufgaben zuwenden: 1. einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- undVerteidigungspolitik mit dem Ziel einer europäischen Armee. 2. einem gemeinsamen Außengrenzschutz der Europäischen Union, der die Zuwanderung regelt, bei gleichzeitiger Gewährleistung von Asyl und Schutz für Kriegsflüchtlinge nach dem Völkerrecht.
3. dem Klimaschutz zur Bewahrung der Schöpfung.
4. der Verteidigung unserer europäischen Werte, deren Kern der Respekt vor der Würde jedes Menschen ist.
Die Zusammenarbeit, Partnerschaft und Freundschaft zwischen Polen und Deutschland ist für die Europäische Union von großer Bedeutung. Die Europäische Union ist nicht das Paradies auf Erden, aber der bessere Teil der Welt. Das gilt es nach innen wie nach außen mit Entschlossenheit und Mut zu verteidigen. Dabei sind Polen und Deutschland im 21. Jahrhundert eine Schicksalsgemeinschaft.