Rheinische Post Krefeld Kempen
Stilles Gedenken an die Pogromnacht
KEMPEN (sr) Deutlich mehr Kempener als in den letzten Jahren versammelten sich am Freitagabend zum Gedenken an die Reichspogromnacht am Platz an der Umstraße. Nur noch ein Mahnmal erinnert daran, dass hier einmal die 1848 erbaute Synagoge der Stadt stand.
In ihrer Begrüßung wies Ina Germes-Dohmen vom Geschichts- und Museumsverein auf die Wichtigkeit dieses Gedenkens hin. Gerade in den heutigen Zeiten gebe es wieder erschreckend hohe Zahlen von Bürgern, die sich ganz offen gegen Flüchtlinge oder Integration aussprechen. Und dies teilweise in sehr gewalttätiger Form. Man müsse früh aufpassen, so Germes-Dohmen. Es gelte sich gegen jegliche Form der Gewalt und sei es auch nur die in mündlicher Weise zu wenden.Dies sei eine Botschaft, die die Besucher in ihren Alltag mitnehmen sollten. Eine Reichspogromnacht dürfe es weder in Kempen noch in ganz Deutschland je wieder geben.
Mit der eingeladen Rednerin hatte derVerein neueWege beschritten. Bislang waren es entweder Zeitzeugen oder Wissenschaftler, die an diesem Abend sprachen. Ulla Gessner nahm am Freitag einen perspekti- vischen Wechsel vor. Denn sie ist Deutsche, hat lange in Krefeld an einem Gymnasium unterrichtet und ist aus Liebe einem nach Israel emigrierten deutschen Juden gefolgt.
Sie erzählte von einer Begebenheit, die sie als Lehrerin sehr berühr- te. Im Rahmen des Unterrichts besuchte sie mit einer Klasse die Villa Merländer in Krefeld. Diese gehörte früher dem jüdischen Seidenhändler Richard Merländer und ist heute NS-Gedenkstätte. Als das Mädchen aus einem Fenster hinaus auf die Friedrich-Ebert-Straße blickte, sagte sie „Es war überall unter uns.” Da sei Gessner richtig bewusst geworden, wie Hass wächst, wie das Böse in den Herzen der Menschen Platz finden konnte. Dies sei wie der einzige faule Apfel, der in der Lage sei, sämtliches Obst in der Schale ungenießbar zu machen. Das war Grund genug für sie selbst, sich in der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu engagieren. Besuche in Israel brachten ihr das Land und die Menschen näher. Sie stellte schnell fest, dass in diesem Land fast jeder einen Bezug zum Holocaust hat. Und sie lernte viele Juden kennen, die darüber mit großer Offenheit sprachen. Auch hier hatte sie ein berührendes Erlebnis, von dem sie berichtete. Bei einer Besichtigung hatte sie ihre Begleiterin verloren und rief nach ihr. Da drehte sich die Reiseleiterin abrupt um. Es stellte sich heraus, dass diese als deutschen Vornamen den gleichen hatte, sich aber in Israel einen jüdischen Namen gegeben hatte.
Bei allen Freundschaften und auch jetzt, wo sie selbst in Israel lebt, hat sie immer wieder denWillen zur Vergebung bei Juden entdeckt. Und einen ungeheuren Lebensmut. Sie wäre froh, so Gessner, wenn davon auch Deutsche etwas haben könnten. Die Erinnerung sei etwas, was alle stark machen könne und den Mut wecken kann, auf den anderen zu zugehen, um ihn kennen zu lernen. Ein beeindruckender Appell zum Ende der Veranstaltung. Bei leisen Klarinettenklängen, gespielt von Johannes Brucks, blieben viele Besucher noch eine Weile still vor dem Mahnmal stehen.
Redaktion Kempen: