Rheinische Post Krefeld Kempen
Integration: Streitkultur ist Leitkultur
„Die Integration ist heute so gut, wie sie noch nie in der deutschen Geschichte war.“Das ist einer der Sätze, mit denen Aladin El-Mafaalani Verwunderung auslösen dürfte. Er ist Sohn syrischer Migranten, 1978 in Datteln geboren und, nach wissenschaftlicher Laufbahn, heute Abteilungsleiter im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in NRW. Das Buch besticht durch die Prägnanz und Einfachheit der Sprache, der Autor versteht es als „populärwissenschaftlich“. Seine Basisthese lautet: „Die Gesellschaft wächst zusammen, und die Welt ist sich nähergekommen.“
Gesellschaftstheoretisch liegt dem die Offenheit von Gesellschaften zugrunde, die Austausch, Kooperation und Streit ermöglicht, in der Tradition von Liberalismus und Demokratie. Unterscheidbar sind innere Offenheit mit inneren Konflikten und äußere mit ihren Konflikten. Innere Konflikte korrespon- dieren mit guter Integration, denn diese besteht darin, dass die Gesellschaft offener, dabei nicht homogener, nicht harmonischer und nicht konfliktfreier wird. Gelungene Integration besteht darin, dass mehr Menschen „am Tisch sitzen“und ihre Ansprüche durchzusetzen versuchen.
Dabei stellt El-Mafaalani weiter überraschende Tatsachen fest. Migranten sind risikofreudig wie konservativ. Konservativismus und Traditionalismus sind migrations- spezifisch, weil Migranten ihre Kultur bewahren wollen. Deshalb ist kulturelle Assimilation praktisch unmöglich, wiewohl sich die Identität von Migranten ändert.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist, dass Offenheit und Grenzen einander bedingen, es gibt nichts, was keine Grenzen hat. So kann es nicht um totale Offenheit gehen, sondern um die „Regulierung der äußeren Offenheit“. Hier wären konkrete Vorschläge für die Migrationspolitik hilfreich gewesen.
Politisch sind drei Empfehlungen: für die Vergangenheit Kritik an der Geschichte, so über dieWirkungen des Kolonialismus, für die Zukunft positive Ideen, eine Idee des Zusammenwachsens, eine Vision, die kompatibel für eine Weltgesellschaft ist. Für die Gegenwart lautet die Empfehlung: Streitkultur ist die beste Leitkultur.
El-Mafaalani, Aladin: Das Integrationsparadox. 2018, Kiwi, 240 S., 15 Euro