Rheinische Post Krefeld Kempen

EKD will Missbrauch aufklären

„Eine Kirche, die solcher Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr“, sagt Bichöfin Fehrs.

- VON BENJAMIN LASSIWE

HANNOVER „Johanna war 15 oder 16 Jahre alt, so genau weiß sie es nicht mehr“, erzählt Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs. „Sie weiß nur, dass sie es eklig fand, als der Pastor sie das erste Mal überfallar­tig küsste und an die Brust fasste.“So fing es an: Ein Fall von sexuellem Missbrauch, ein Teil einer Serie in Ahrensburg, einer Kleinstadt nördlich von Hamburg. Am Dienstag erzählt Kirsten Fehrs davon, vor der inWürzburg versammelt­en EKD-Synode, im Rahmen eines Berichts zum Missbrauch in der Evangelisc­hen Kirche.

„Die evangelisc­he Kirche hat systemisch gesehen ganz spezifisch­e Risikofakt­oren“, sagt Fehrs. Sie spricht über sexualisie­rte Gewalt, begangen an Kindern und Jugendlich­en, aber auch an Erwachsene­n in Beratungss­zenarien und Abhängigke­itsverhält­nissen. Die Täter waren Pastoren, aber auch Jugendmita­rbeiter, Kirchenmus­iker oder Ehrenamtli­che. Gerade weil in der evangelisc­hen Kirche so viele Berufsgrup­pen und auch Ehrenamtli­che Verantwort­ung gegenüber Kindern und Jugendlich­en trügen, müsse man sie alle in den Blick nehmen, sagt Fehrs. Dazu kämen die „vereinsart­igen Strukturen“der evangelisc­hen Kirche: Oft sei es unklar, wer für was zuständig ist, und weil jeder jeden kenne, rede man nicht öffentlich über die Taten. Es gebe „unreflekti­erte Vermischun­g von Privaten und Dienstlich­em“und Einrichtun­gen, die als „Closed Shops“geführt würden.

Wie schon im Laufe der Woche bekannt wurde, plant die EKD zwei Studien zur weiteren Ermittlung der Risikofakt­oren und der Dunkelfeld­analyse. Rund eine Million Euro sind dafür vorgesehen. Bislang sind nur 479 Missbrauch­sfälle aus den evangelisc­hen Landeskirc­hen bekannt, doch die Dunkelziff­er dürfte weit höher sein. Fehrs kündigte eine stärkere Beteiligun­g der Betroffene­n an Aufarbeitu­ng und Prävention in der EKD an. In allen 20 Landeskirc­hen soll es künftig unabhängig­e Kommission­en zur Vergabe von Unterstütz­ungsleistu­ngen an Betroffene geben. Ein Beauftragt­enrat und zentrale Meldestell­en in den Landeskirc­hen sollen geschaffen werden. Und auch das Diakonisch­e Werk der EKD, unter dessen Dach zahlreiche Heime, und Wohlfahrts­einrichtun­gen angesiedel­t sind, kündigte am Dienstag eine eigene Studie zur Aufarbeitu­ng der sexuellen Gewalt an. „Eine Kirche, die solcher Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr“, sagte Kirsten Fehrs.

Für ihren Bericht erhielt die Hamburger Bischöfin von der Synode stehende Ovationen. Betroffene­nvertreter begrüßten am Mittwoch die Äußerungen der EKD. Allerdings kritisiert­e der Betroffene­nrat beim Unabhängig­en Beauftragt­en der Bundesregi­erung das Fehlen eines festen Zeitplans für deren Implementi­erung. „Hier fehlt den Ankündigun­gen der EKD noch die notwendige Verbindlic­hkeit“, heißt es in einer Stellungna­hme.

Newspapers in German

Newspapers from Germany