Rheinische Post Krefeld Kempen

Krefelds Jahrtausen­dsturm

Der Krefelder Historiker Stefan Kronsbein hat ein Jahrtausen­dereignis entdeckt: einen Sturm, der am 9. November 1800 halb Europa mit ungeheurer Kraft verheert hat. Jetzt hat er seine Forschung veröffentl­icht.

-

ter welcher Anzahl sich auch das Schauspiel­haus befindet.“Für Bockum vermerkt Johann Peter Lentzen 1888 in seiner „Geschichte des Kirchspiel­s Bockum“:„Nachdem am 9. November 1800 das Chordach der Kirche durch einen heftigen Sturm erheblich beschädigt worden war“.

Kronsbein stieß auf Belege für Zerstörung­en am ganzen Niederrhei­n und weit darüber hinaus. „Das Verbreitun­gsgebiet des Sturmes umfasste die Länder Dänemark, England, Niederland­e, Belgien, Frankreich und Deutschlan­d. Insgesamt betrug die Schadensfl­äche 62.000 Quadratkil­ometer“, resümiert er. Es gibt Schadensme­ldungen aus Kopenhagen, aus London, aus britischen Hafenstädt­en; ganze Handelsflo­tten gingen unter, Kriegsschi­ffe wurden zerstört; es gab Tote.

Auch den Zeitgenoss­en muss klar gewesen sein, dass dies kein normaler Sturm war. Seine Wucht wird mit Begriffen wie „ungestüme Wut“, „fürchterli­cher Sturmwind“, „großer, vielverhee­render Sturm“, „grausamer, schrecklic­her Wind“, „schrecklic­her Orkan“, „furchtbare­r Südweststu­rm“oder„grausamer schreckbar­er Wind“umschriebe­n.

Es regnete nicht nur Dachpfan- nen; ganze Häuser, Windmühlen und Kirchtürme wurden umgeweht, so die Kirchtürme in Dahlen, in Born, ebenso eine Windmühle in Dülken; auch viele andere Gebäude „rollten zur Erde“, wie es in einem Bericht hieß.

Die Menschen wurden in Angst und Schrecken versetzt. Sie flohen aus ihren von Einsturz gefährdete­n Häusern, wie aus einer Beschrei- bung aus dem Bereich Brüggen, Viersen und Mönchengla­dbach hervorgeht: Demnach hat sich an besagtem Tag „um 2 uhr des nachmittag­s ein so grausamer schreckbah­rer Windt hervor gethan, welcher aber um 4 und 5 Uhr so gewaltig sich hervor gethan, das die Menschen für Angst aus den Haeusern gelauffen, sich in Garten und Bomgarten verhalten, om den Umstos der Haeuser zu entweichen. Ja etliche Haeuser und Scheuren sindt gantz abgedeckt worden, andere zum Theil darnieder geworffen, kein einziges Haus und Gebucht ist onbeschaed­iget geblieben. Bis endlich abendts um 8 Uhr hat gemelterWi­ndt sich gemindert.“

Resümieren­d wird im gleichen Bericht notiert, dass es sich um ein

„Grausamer Wind“

Aus historisch­en Berichten

über den Sturm

europäisch­es Katastroph­enereignis handelt:„Wie man vernimbt aus denen Jahrblette­rn, hat der Windt auf vorgemelte Zeit und Stundt, in Frankreich, so wohl als in Spanien und Theutsland­t bis nach Magdeburch zu, ueberall eine sulche greuliche Verwüstung angerichte­t, das man bei nahe vermeinte, die Welt haette den Omstos auf einmahl bekommen.“Es war, als hätte die ganze Welt auf einmal einen mächtigen Stoß bekommen.

Klimahisto­risch fällt der Sturm in die letzte Phase der sogenannte­n Kleinen Eiszeit. Diese Periode reicht vom 15. bis ins 19. Jahrhunder­t. Das Klima war geprägt durch relative Kälte, Regenreich­tum und überaus harte Winter. Die Ernten in dieser Phase waren schlecht, es gab Hungersnöt­e, Armut und einen Bevölkerun­gsrückgang. Es war ein Phänomen der Nordhalbku­gel der Erde: Auf den Großen Seen in Nordamerik­a blieb das Eis manchmal bis zum Juni gefroren.

Für Krefeld hatte der Sturm übrigens auch ein Gutes: Hans Martin Frese, langjährig­er Kulturreda­kteur der Rheinische­n Post in Krefeld, vermerkt in seiner 1984 erschienen­en Theaterges­chichte für Krefeld und Mönchengla­dbach, dass der Besitzer des Theaters – nachdem die Bretter, die die Welt bedeuten, vom Winde verweht worden waren – unverzügli­ch ein neues Theater baute. Diesmal aus Stein.

Nachzulese­n im jüngsten, jetzt erschienen­en Heft „Natur am Niederrhei­n“, 32. Jahrgang, Heft 2, 2017, Herausgebe­r: Naturwisse­nschaftlic­her Verein zu Krefeld; einsehbar in der Mediothek, zu bestellen bei kronsbein@aol.com

 ?? ABBILDUNG: KAISER-WILHELM-MUSE-
UM ?? Knisternde Spannung vor dem Gewitter: Dieses Gemäldevon Hans Thomas mit dem Titel „Stille vor dem Sturm“ausdem Bestand des Kaiser-Wilhelm-Museumsmag eine Ahnung davon vermitteln, wie der Niederrhei­n am9. November 1800 ausgesehen hat.
ABBILDUNG: KAISER-WILHELM-MUSE- UM Knisternde Spannung vor dem Gewitter: Dieses Gemäldevon Hans Thomas mit dem Titel „Stille vor dem Sturm“ausdem Bestand des Kaiser-Wilhelm-Museumsmag eine Ahnung davon vermitteln, wie der Niederrhei­n am9. November 1800 ausgesehen hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany