Rheinische Post Krefeld Kempen
Zverev schaut nun nach ganz oben
Der 21-jährige Tennis-Profi gewinnt als dritter Deutscher das ATP-Saison-Finale. Es ist sein bisher größter Erfolg.
LONDON (sid) Alexander Zverev (21) hat in einem sensationellen Saisonfinale den bislang größten Titel seiner jungen Karriere gewonnen. Der gebürtige Hamburger setzte sich im Endspiel von London gegen den bis dato alles überragenden Novak Djokovic die Krone auf. 23 Jahre nachdem Boris Becker als bislang letzter Deutscher beim Turnier der acht Jahresbesten triumphiert hatte, schlug Zverev den Serben 6:4, 6:3. Und das völlig verdient. Zverev ist erst der dritte Deutsche, der das Jahresabschluss-Turnier der besten Tennis-Profis gewinnen konnte. Becker triumphierte dreimal, Michael Stich einmal.
Nach 1:19 Stunden verwandelte Zverev seinen zweiten Matchball, im Gruppenspiel am Mittwoch hatte er gegen Djokovic noch klar verloren (4:6, 1:6). Der 21-Jährige ist der jüngste Titelträger bei den ATP Finals seit Djokovic vor zehn Jahren. Für den Erfolg vor 17.800 Zuschauern in der Londoner o2-Arena bekommt Zverev 2,509 Millionen Dollar und die Anerkennung der gesamten Tennisszene.
Beim letzten Großereignis des Jahres hatten alle Experten mit Djokovic’ sechstem Triumph gerechnet, immerhin hatte der Weltranglistenerste in den vergangenen sechs Monaten nur zwei Matches verloren, in Wimbledon und bei den US Open dominiert und sich auch beim Saisonfinale in den ersten vier Begeegnungen keine Blöße gegeben. Nicht einmal verlor Djokovic dabei seinen Aufschlag, doch Zverev kannte keinen Respekt vor dem großen Namen.
Die bestandene Reifeprüfung im Halbfinale gegen Rekordchampion Roger Federer hatte sein Selbstvertrauen ins Unermessliche wachsen lassen. Beim 7:5, 7:6 (7:5) am Samstag überzeugte Zverev nicht nur im Spiel mit Nervenstärke und taktischem Geschick, sondern auch nach dem Matchball. Als die vielen Federer-Fans ihn auspfiffen, reagierte Zverev besonnen. Zverev sprach später von einem „glücklichen und traurigen Moment zugleich. Es war eine schwierige Situation für alle Beteiligten“.
In der entscheidenden Phase des Tiebreaks hatte ein Balljunge mitten im Ballwechsel einen Ball fallen lassen. Zverev unterbrach deshalb das Spiel. Als der Ballwechsel anschließend regelkonform wiederholt wurde, schlug er ein Ass und verwandelte wenig später seinen zweite Matchball zum Sieg über sein Kindheitsidol.
Doch ein Finaleinzug, auch wenn er ihn gegen den Schweizer Federer perfekt gemacht hat, reicht Zverev nicht, er kennt nur ein Ziel: der Beste sein. Die ewigen Vergleiche mit Becker interessieren ihn zumindest so lange nicht, „bis ich als erster Deutscher nach ihm Wimbledon gewinne“, sagte er vor dem Endspiel gegen Djokovic.
Beckers Fußstapfen beim Saisonfinale, das einst Masters Cup oder ATP-Weltmeisterschaft hieß, hat Zverev nun bereits ausgefüllt, 20 Kilometer von der Grand-Slam-Anlage von Wimbledon entfernt. Einen Tag nach seinem Sieg über Publikumsliebling Federer schaffte er es sogar, die Mehrzahl der Zuschauer in der North Greenwich Arena auf seine Seite zu ziehen. Aufschlagstark, ge- duldig von der Grundlinie und mit überlegten Netzattacken diktierte er die Partie.
Dabei hatte er vor und während des Turniers über die für seinen Geschmack viel zu lange Saison geklagt. Die Müdigkeit habe ihn seit zwei Monaten nicht mehr losgelassen, körperlich und mental sei eine Grenze erreicht, sagte Zverev. In seinem 77. offiziellen Match des Jahres war davon jedoch kaum etwas zu spüren. Mit dem nahenden Urlaub auf den Malediven vor Augen spielte Zverev das Tennis seines Lebens.