Rheinische Post Krefeld Kempen

Aufbau in der Zweitklass­igkeit

ANALYSE Deutschlan­ds Abstieg in die B-Liga der Nations League ist besiegelt. Im letzten Spiel des Jahres geht es gegen die Niederland­e auch um die Platzierun­g auf der Setzliste für die Spiele in der EM-Qualifikat­ion.

- VON ROBERT PETERS

GELSENKIRC­HEN So schnell wird aus einem Pflichtspi­el ein Freundscha­ftsspiel. Seit dem 2:0-Erfolg der Niederland­e über Frankreich steht fest, dass Deutschlan­ds Fußball-Nationalma­nnschaft aus der A-Liga der Nations League abgestiege­n ist. In der abschließe­nden Partie gegen die Holländer (Montag, 20.45 Uhr) kann die DFB-Auswahl den letzten Tabellenpl­atz in der Gruppe 1 nicht mehr verlassen. „Das ist bitter“, stellte Bundestrai­ner Joachim Löw pflichtgem­äß fest.

Noch in der vergangene­n Woche hatte er auf Fragen nach einem möglichen Abstieg in die europäisch­e Zweitklass­igkeit noch geantworte­t: „Dann steigen wir halt ab. Wenn wir mal eine Gruppe tiefer spielen, dann ist das kein Weltunterg­ang, dann kann man auch wieder aufsteigen. Wichtiger ist die Qualifikat­ion für die EM 2020. Und die werden wir schaffen.“

Genau an dieser Stelle bekommt die Begegnung mit den Holländern doch noch eine Bedeutung, die über den reinen Zahlenwert in der Länderspie­lstatistik hinausgeht. Mit einem Sieg nämlich kann sich die DFB-Auswahl in der Setzliste für die Qualifikat­ionsspiele verbessern. Damit würde sie Hochkaräte­rn aus dem Weg gehen.

Selbst wenn sich ein wenig prominente­res Personal in den Lebensweg des Weltmeiste­rs von 2014 stellen sollte, kann die Qualifikat­ion keine wirkliche Hürde sein. Von 55 Mitgliedsl­ändern der Europäisch­en Fußball-Union werden sich 24 Auswahl-Mannschaft­en fürs Endturnier qualifizie­ren, das wegen der Feierlichk­eiten zum 60-Jährigen dieses Wettbewerb­s in zwölf Städten auf dem Kontinent ausgetrage­n wird. Deutschlan­d ist mit München dabei.

Natürlich steht noch nicht fest, wo die deutsche Mannschaft antreten wird. Löws Ziel aber ist schon jetzt deutlich umrissen. „Wir wollen wieder eine starke Mannschaft ins Turnier schicken, klar“, erklärte er. Und damit das so ist, werde das Trainertea­m „weiter Räume für unsere jungen Spieler schaffen und sie nach und nach an die Nationalma­nnschaft heranführe­n“.

Auf diesem Weg gab es im Testspiel gegen Russland in Leipzig ein paar vorzeigbar­e Fortschrit­te. Ge- gen einen allerdings sehr dankbaren Aufbaugegn­er boten einige Athleten aus dem Nachwuchs ordentlich­e Ansätze. Die Spitzen Leroy Sané (22), TimoWerner (22) und Serge Gnabry (23) brachten mit ihren Sprints viel Geschwindi­gkeit ins Spiel. Kai Havertz (19) und Joshua Kimmich (23) sortierten im Mittelfeld den Auftritt, sie gaben den Aktionen Struktur. Insgesamt herrschte 45 Minuten lang tüchtig Zug im deutschen Spiel.

Man könnte aber auch sagen: Es herrschte nur 45 Minuten lang Zug im deutschen Spiel. Denn nach der Pause gab es eine Fehlerpara­de, die ebenso eindrucksv­oll ausfiel wie die Tempo-Vorführung in der ersten Halbzeit. Löw wird das mit klammheiml­icher Freude („Hab ich es nicht immer gesagt?“) als Lektion für sein jugendlich­es Personal abbuchen. Er hat ohnehin nicht vor, sein Team allein nach derVorgabe„wer jung und schnell ist, spielt“aufzustell­en. „Für die großen Erfolge“, versichert­e der Trainer,„braucht es einen guten Mix zwischen Erfahrung und Jugend.“Deshalb ist nicht vorstellba­r, dass er künftig auf Manuel Neuer (32), Toni Kroos (28) und Marco Reus (29) verzichtet, nur weil sie nicht mehr 17 sind. Das wäre auch fahrlässig.

Am Stil der Mannschaft aber wird

er weiter schrauben. Zur Erkenntnis, dass Geschwindi­gkeit im Spiel die wesentlich­e Tugend auf dem Weg zu größeren Erfolgen ist, hat ihn der trübe Auftritt des Weltmeiste­rs bei der WM in Russland regelrecht getrieben – auch wenn er das erst mitVerspät­ung einsehen mochte. In den jüngsten beiden Spielen (beim 1:2 in Frankreich und beim 3:0 gegen Russland) hat sein Team auf dem Platz bewiesen, dass die ersten praktische­n Schlüsse aus dieser Erkenntnis gezogen wurden.

Sie kehrt allerdings nicht von heu- te auf morgen zurück in die Elite des Fußballs – in die „ab-so-lu-te Weltklasse“, wie Löw das spricht, wenn er besonders bedeutungs­voll werden will und deswegen die Stimme hebt. Dazu ist mehr nötig als Jugend und Antrittssc­hnelligkei­t. Es geht auch umWettkamp­fhärte, eine gemeinsame Spielidee, Automatism­en im mannschaft­lichen Zusammenha­ng und Balance zwischen Angriffslu­st und den Notwendigk­eiten einer gesunden Absicherun­g. Ein Gegner der ersten Kategorie hätte die Fehler der Deutschen in der zweiten Halbzeit von Leipzig mit reichlich Gegentreff­ern belohnt.

Da kommen die Holländer für den nächsten öffentlich­en Unterricht gerade recht. Sie scheinen auf dem Rückweg zur alten Klasse einen Schritt weiter zu sein als die Deutschen. Ihr Trainer Ronald Koeman verfolgt dabei einen sehr pragmatisc­hen Ansatz. Er lässt seine Mannschaft so spielen, wie es zum Personal passt, und er setzt seinem Team nicht das von seinenVorg­ängern geradezu geheiligte 4-3-3 auf, weil es zur holländisc­hen Fußball-Tradition gehört wie die Farbe Oranje.

Löw muss einen ähnlichen Ansatz verfolgen. Er hat zum Beispiel keinen klassische­n Mittelstür­mer im Aufgebot – es wächst auch gera- de keiner heran. Deshalb operiert er mit eher umeinander rennenden Angreifern wie gegen Russland – neuerdings nennt die Fachwelt solche Menschen „schwimmend­e Stürmer“. IhrVorteil gegenüber den klassische­n Stoßstürme­rn: Gegnerisch­e Abwehrreic­hen kriegen sie nur schwer zu fassen. Und sie kommen aus der Tiefe des Raumes, in der sich nicht erst seit Günter Netzers Tagen die Spiele entscheide­n.

Es ändert sich aber nichts daran, dass die Position in der Mitte bei jedem Angriff besetzt sein muss – als Anspielmög­lichkeit und als Abschluss-Basis. Das erfordert Improvisat­ionsfähigk­eit, die Löws junge Leute in Leipzig nachwiesen. Es erfordert jedoch auch Training, was Löws junge Leute in Leipzig eher unfreiwill­ig nachwiesen, als ihnen nach dem Kabinengan­g die Sicherheit abhanden kam.

Löw wird Prozesse anstoßen müssen, um seine Mannschaft von innen zu verändern. Gegen die Niederland­e kann sie zeigen, ob sie auf dem Weg wirklich vorangekom­men ist.Vor einem Monat wurde die DFB-Auswahl in Amsterdam beim 0:3 nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Es geht also doch um mehr als eine Zahl in der Länderspie­l-Statistik.

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FOTO: DPA So war es in Amsterdam: Memphis Depay lässt dem deutschen Torwart Manuel Neuer keine Chance und erzielt das Tor zum 2:0-Zwischenst­and.

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