Rheinische Post Krefeld Kempen

„Unsere Politiker sind weltfremd“

Der 81 Jahre alte Theatermac­her spricht über seine Angst vor der Zukunft, die Me-Too-Debatte und das Weitermach­en-Müssen.

- MAX FLORIAN KÜHLEM FÜHRTE DAS INTERVIEW.

BOCHUM Stuttgart, Bochum, Wien, Berlin. Wenn der große Theatermac­her Claus Peymann durch diese Städte läuft, in denen er lange die wichtigste­n Theater geleitet hat, dann umweht ihn ein Legendenst­atus. Aber Peymann lebt trotz seiner 81 Jahre nicht gern in der Rückschau, sondern schmiedet Pläne – auch für den eigenen Tod. Wir treffen ihn beim Frühstück in einem Hotel am Bochumer Stadtpark. Am Abend wird er Texte seine Freundes Thomas Bernhard im Schauspiel­haus lesen, in dem er von 1979 bis 1986 Intendant war.

Ihre Lesung aus Thomas Bernhards „Meine Preise“gibt es auch als Hörbuch. Fühlen Sie sich Ihrem alten Freund weiter verbunden?

PEYMANN Ich träume nach wie vor von ihm. Das sind diese typischen Witwen-Träume: Bernhard lebt, und wir treffen uns. Ich habe das schon öfter geträumt: Ich treffe ihn immer in einem Café in Gmunden und frage: „Leben Sie noch?“Und er sagt: „Ja, aber erzählen Sie das keinem!“

Fehlen Typen wie er, die so offensicht­lich an den Umständen leiden und das auch öffentlich machen?

PEYMANN Bernhard war, wie Beuys oder der junge Enzensberg­er oder Günter Grass oder letztlich auch ich, einer, der sich als Moralist empfunden hat. Er war ein gewaltiger Patriot und kein Vaterlands­verräter. Vaterlands­verräter sind die anderen, die von der FPÖ zum Beispiel. Typen wie Bernhard, die Dinge sagen, die man nicht sagt, oder Dinge tun, die man nicht tut, fehlen natürlich. Deshalb hätte ich zum Beispiel dem Terroriste­n Christian Klar eine Hospitanz am Berliner Ensemble ermöglicht, was damals die Boulevardp­resse verhindert hat. Jemand, der 27 Jahre im Gefängnis gesessen hat, hat für mich seine Schuld verbüßt. Sonst ist unser Rechtssyst­em wertlos.

Worüber erregen Sie sich am meisten in unseren Zeiten?

PEYMANN Im Moment bin ich erschrocke­n über die Weltferne unserer Politiker. Ich meine, Merkel ist ständige Besucherin in unserer Zeit am Berliner Ensemble gewesen. Ich habe eine gewisse Sympathie für sie. Sie ist, wie ich, mit Wolf Biermann befreundet, und da sitzt man schon mal zusammen eine Nacht in der Kantine. Aber im Großen und Ganzen bin ich resigniert über die deutsche Politik. Dass führende Politiker es fertigbrin­gen zu sagen, der oberste Verfassung­sschützer kriegt einen anderen Job, wo er ja nur „eine Kleinigkei­t“von 2000 Euro mehr im Monat kriegt. Eine Kleinigkei­t! Von 2000 Euro leben nicht nur im Ruhrpott unter Umständen sechs oder sieben Leute! Dass diese Entfernung von jeglicher Realität geschehen kann, zeigt den vollständi­gen Hochmut und die vollständi­ge Isolierthe­it der führenden Schicht.

Ihre Prognose?

PEYMANN Man kann große Angst haben, vor dem was kommt.Vielleicht sind die Grünen ja tatsächlic­h eine gute Alternativ­e. Die bringen wenigstens eine Art von Individual­ität, Fantasie und Spontaneit­ät rein. Manchmal habe ich aber eher das Gefühl, der Kampf ist schon verloren.Wenn man im Fernsehen diesen Smartie von Macron sieht und dann diese Horrorfigu­ren wie von Frankenste­in – Trump, Putin, Erdogan… Da denke ich: Bin ich froh, dass ich das nicht mehr bis zur letzten Konsequenz erleben muss! Wenigstens einenVorte­il hat der Beginn des biblischen Alters.

Sie sind 81 Jahre alt. Was sagt Ihnen das Wort Ruhestand?

PEYMANN Wenn ich aufhöre zu arbeiten, bin ich tot. Ich bereite eine Reihe von Aufführung­en vor, aber kann natürlich nicht mehr Jahre im Voraus planen. Ich weiß von Kollegen wie Thalheimer und Co., diesen „Schnell-Machern“, die planen schon für 2025! Das ist für einen 81-Jährigen eine Herausford­erung an den lieben Gott. Aber ich bin nach wie vor viel unterwegs, habe zuletzt an der Universitä­t Koblenz ein Seminar gemacht über den Zusammenha­ng zwischen Poesie und Theater. Ich könnte mir auch vorstellen, wieder in Bochum zu arbeiten. Ich werde in Wien arbeiten, stehe kurz vor Probenbegi­nn für „Die Stühle“von Ionesco mit Michael Maertens und Maria Happel. Außerdem muss ich mich ja langsam auch um meine letzte Ruhestätte

kümmern und habe mir ein Grab reserviert auf dem Dorotheens­tädtischen Friedhof in Berlin.

Verfolgen Sie die Me-Too-Debatte, in deren Folge es ja auch um Machtmissb­rauch am Theater ging?

PEYMANN Gegen tatsächlic­hen Missbrauch muss man sich natürlich zur Wehr setzen können. Aber viele Diskussion­en sind zu sehr „schwarz-weiß“. Sie übersehen die Grautöne und laufen völlig ins Leere. Freiheit und Spiel, an der Grenze des Wahnsinns und der Realität, sind ein Teil der künstleris­chen Arbeit. Die Frage der Mitbestimm­ung haben wir an der Schaubühne schon vor 50 Jahren ausprobier­t. Und sind gescheiter­t.

Und der Machtmissb­rauch?

Peymann Es sind schlimme Geschichte­n, die man jetzt zum Teil hört. Aber ich habe meine sogenannte „Macht“nie missbrauch­t. Ich tobe vielleicht mal rum, weil ich mit Leidenscha­ft um etwas kämpfe, das der andere nicht versteht und da wird auch zurückgebr­üllt, aber eine Minute später verträgt man sich wieder. Theater ist wie das Leben selber, und das ist ja auch nicht harmlos. Risiko und die Gefährlich­keit künstleris­cher Prozesse zu eliminiere­n wird nicht gelingen. Dazu sind die Menschen zu komplizier­t.

 ?? FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA ?? „Man kann große Angst haben, vor dem, was kommt“: Der 81 Jahre alte Claus Peymann.
FOTO: JÖRG CARSTENSEN/DPA „Man kann große Angst haben, vor dem, was kommt“: Der 81 Jahre alte Claus Peymann.

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