Rheinische Post Krefeld Kempen

100 Jahre Heimat

Der Verein für Heimatkund­e feiert 100. Geburtstag. Am 1. Dezember erscheint das Jubiläums-Jahrbuch. Es gibt historisch­e Rückblicke und zeigt Zeitgeschi­chte. Und den Wunsch nach einem stadtgesch­ichtlichen Museum.

- VON PETRA DIEDERICHS

Krefelder haben einen etwas anderen Bezug zu „Heimat“als die meisten anderen Deutschen. Zumindest galt das für die Zeitgenoss­en 1918, die am 22. Februar den Verein für Heimatkund­e gründeten. Da war der Erste Weltkrieg noch nicht beendet. „Und das ist außergewöh­nlich“, sagt Julia Obladen-Kauder, seit diesem Sommer Vorsitzend­e des Vereins. „Die meisten Heimatvere­ine gründeten sich als Reaktion auf den verlorenen Krieg, um ein Gemeinscha­fts- und Verbundenh­eitsgefühl zu pflegen.“In Krefeld war das anders. Hier war das Bildungsbü­rgertum stark, das ein breites Geschichts­bewusstsei­n wecken wollte. „Parallel gab es die Idee für ein Heimatmuse­um“, sagt Obladen-Kauder. Heimatempf­inden war tief verwurzelt und brauchte hier keinen Anlass von außen.

Am Samstag, 24. November, feiert der Verein sein 100-jähriges Bestehen ab 11 Uhr mit einem Festakt für geladene Gäste in der Alten Kirche. 650 Mitglieder zählt der Verein heute, in Spitzenzei­ten waren es gut 1000. Das Museum ist nicht entstanden, aber seit 1921 erscheint jährlich „Die Heimat“– wegen Papiermang­els mit Ausnahme der Jahrgänge ’41 bis ’51. Ab 1. Dezember ist die aktuelle Ausgabe erhältlich.

Aus der Idee des Heimatmuse­ums, sagt Obladen-Kauder, sei letztlich das Museum Burg Linn hervorgega­ngen, das aber mit seinem archäologi­schen Schwerpunk­t eine andere Richtung eingeschla­gen hat. „Es ist das Versagen der Politik, dass in den 60er und 70er Jahren, als noch Geld da war, keine stadtgesch­ichtliche Abteilung ausgebaut wurde. Der Bunker wäre dafür geeignet gewesen“, kritisiert Schriftlei­ter Stefan Kronsbein. Es habe konkrete Überlegung­en gegeben, das Freilichtm­useum, das heute in Kommern beheimatet ist, in Linn zu errichten. „Heute muss man in neuen Dimensione­n denken. Die Stadtgesch­ichte müsste einen neuen Standort bekommen, vielleicht andockend an das Linner Museum, aber eigenständ­ig“, so Kronsbein. „Krefeld hat in unserer Region die meisten landeskund­lichen Zeitschrif­ten.“Die traditions­reichste ist „Die Heimat“.

35 Textbeiträ­ge von 40 Autoren behandeln in der Ausgabe des Jubiläumsj­ahres die Themen Archäologi­e, Geschichte, Städtebau, Kunst und Kultur, Technik, Natur und Landschaft, Religion und Mundart. „Wir legenWert darauf, dass die Texte wissenscha­ftlich korrekt, aber für ein breites Publikum spannend sind“, betont Kronsbein. Die jährliche Auflage von 1500 Stück erreiche nicht nur Krefelder Leser: „Viele Institute, Universitä­ten und Bibliothek­en haben sie im Bestand“, ergänzt die Vorsitzend­e.

Der Band beginnt mit den Anfängen der Vereinsges­chichte. Die erste handgeschr­iebene Innenseite des Protokollb­uchs zur Vereins- gründung ist abgebildet und das erste Cover im typischen Zinnoberro­t. Bis in die 70er Jahre war das die traditione­lle Farbe der „Heimat“. Deshalb wurde der Farbton zum Jubiläum noch einmal aufgenomme­n. Der Band erzählt von den Bauernhäus­ern des 16. Jahrhunder­ts in Krefeld, von den Franzosen, die das Leben am Rhein bestimmten, und den Spuren der Familie von Kurt Merlän-

der. Botanisch Interessie­rte erfahren jede Menge über die seltenste Blütenpfla­nze im Krefelder Stadtgebie­t, die Englische Kratzdiste­l (Cirsium anglicum), die Gustav Becker 1866 im Hülser Bruch entdeckte. Zum zehnjährig­en Bestehen der Mediothek gibt es eine Blick zurück auf die Anfänge im 19. Jahrhunder­t, als es das erste Lesezimmer an der Carl-Wilhelm-Straße gab.

Zwei Krefelder Autorinnen werden gewürdigt: Liesel Willems, die jüngst mit dem Niederrhei­nischen Literaturp­reis geehrt wurde, und Ulrike Renk, die historisch­en Figuren in ihren Romanen nachspürt. Krefelder Musikgesch­ichte klingt an, und eine Spurensuch­e widmet sich Krefelder Mundart in den Straßennam­en.

Als besonderes Extra ist der Ausgabe ein Druck der historisch­en Stadtkarte von 1943 beigelegt. Fünf Wochen nach der verheerend­en Bombennach­t hat einVerwalt­ungsmitarb­eiter namens Brauneck sämtliche Bombenschä­den, Bunker und Rettungsei­nsatzgebie­te eingezeich­net. Auf der Rückseite ist der Luftangrif­f vom 22. Juni textlich aufgearbei­tet. Es macht die nackten Fakten eindrückli­ch klar: Innerhalb einer Stunde haben 705 Flugzeuge mit knapp 200 Sprengbomb­en und 384.000 Brandbombe­n 1036 Krefelder getötet, fast 10.000 verletzt und 80.000 Menschen obdachlos gemacht.

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REPRO: PED Zum 75. Geburtstag schickten die Krefelder diese aufwändige Grußbotsch­aft an Bismarck. Das Unikat lag in einer Samtschatu­lle mit Silberbesc­hlägen.
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RP-FOTO: T. LAMMERTZ
 ?? REPRO: PED ?? Die erste Innenseite des Protokollb­uchs des Vereins für Heimatkund­e aus dem Jahr 1918.Julia Obladen-Kauder, Vorsitzend­e des Vereins für Heimatkund­e, zeigt die historisch­e Karte von Krefeld nach der Bombennach­t1943. Stefan Kronsbein und Dirk Senger (r.) präsentier­en das Jahrbuch.
REPRO: PED Die erste Innenseite des Protokollb­uchs des Vereins für Heimatkund­e aus dem Jahr 1918.Julia Obladen-Kauder, Vorsitzend­e des Vereins für Heimatkund­e, zeigt die historisch­e Karte von Krefeld nach der Bombennach­t1943. Stefan Kronsbein und Dirk Senger (r.) präsentier­en das Jahrbuch.
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