Rheinische Post Krefeld Kempen

Das Ende des Otto-Katalogs

Am 4. Dezember erscheint das letzte Exemplar. Danach setzt der Versandhän­dler aus Hamburg fast nur noch auf das digitale Geschäft.

- VON GEORG WINTERS

Sie haben keine Lust auf Shoppen in überfüllte­n Modeläden oder Kaufhäuser­n? Sie wollen sich das, was Sie interessie­rt, lieber auf der eigenen Couch ansehen? Schöne, bunte Bilder? Sie können einfach ein Kleidungss­tück wählen, Größe und Farbe festlegen, und schwupps, ist die Bestellung fertig? So einfach ist Einkaufen?

Natürlich ist Einkaufen so einfach. Aber nein, wir reden nicht von Amazon im Jahre 2018. Wir heißen Sie willkommen in der Einkaufswe­lt des Jahres 1950. In dem Jahr wurden erstmals Otto-Kataloge gedruckt, und damit begann die größte Erfolgsges­chichte im deutschen Versandhan­del. Fast sieben Jahrzehnte später geht sie zu Ende, zumindest, was den Katalog angeht. Der erscheint am 4. Dezember zum letzten Mal. 656 Seiten mit Frühlings- und Winterware 2018/2019, voll mit Mode für Frau und Mann, mit Möbeln, Wohnaccess­oires, Sportartik­eln, Spielwaren, Bettwäsche, Badartikel­n. Jetzt ist Schluss mit Papier, fast jedenfalls. Ein Rest bleibt, Kataloge zu Spezialthe­men wie Technik und Garten soll es weiterhin geben, dazu auch kleine Modekatalo­ge. Aber das halbjährli­che Epos mit mehr als 1000 Seiten, das in Auflagen bis zu zehn Millionen Stück gedruckt wurde, ist passé.

Jüngeren Menschen dürfte das Ende der Katalog-Ära egal sein; ältere werden vielleicht von ein bisschen Wehmut erfasst. Schließlic­h verschwind­et mit dem Katalog wieder ein bisschen von dem, was zur eigenen Vergangenh­eit gehört. Die Erinnerung an die erste Ausgabe womöglich, die gerade mal 14 Seiten stark war, ganze 28 Paar Schuhe

Herbst – Winter im Angebot hatte und in ihren rund 300 Exemplaren die Anmutung einer Einladung zu einem runden Geburtstag besaß. An TV-Werbespots, in denen Männer auf der Couch vorm Fernseher schnarchte­n, ihre Frauen daneben saßen und der Titel derWerbung„Warum Frauen Kataloge brauchen . . .“lautete. An Zeiten, in denen Claudia Schiffer, Heidi Klum, Joan Collins (“Denver-Clan“) und Linda Gray (“Dallas“) als Cover-Schönheite­n dienten. Der Otto-Katalog mit seinem Warenangeb­ot ist auch so etwas wie ein Schaufenst­er des deutschen Wirtschaft­swunders gewesen, und er hat bereits zu DDR-Zeiten Erfolge

Frühling – Sommer in Ostdeutsch­land gefeiert. Der Katalog sei„begehrte Schmuggelw­are“gewesen, heißt es, weil die Frauen im Osten sich ihre Mode nach den Vorbildern des Westens selbst geschneide­rt hätten.

Alles Vergangenh­eit. Das Titelbild des letzten Katalogs, der am Donnerstag in Druck gegangen ist, zeigt kein Modebild mehr. Die Frau, die die erste Seite über Jahrzehnte bestimmte, ist noch da, aber sie ziert ein Smartphone-Display, und in einer Sprechblas­e daneben steht „Ich bin dann mal app“.

Auch Otto ist im digitalen Zeitalter angekommen, könnte man nun denken. Was insofern falsch ist, als

Herbst – Winter dass der Konzern den Wandel vom analogen Versandhän­dler zum Digital-Anbieter zwar zunächst verschlafe­n, aber mittlerwei­le längst hinter sich gebracht hat. Und zwar erfolgreic­h, anders als andere einstige Branchengr­ößen wie Quelle und Neckermann, bei denen Otto sich nach deren Aus Markenrech­te sicherte. Seit Jahren hat „Neckermann.de“als Teil der Otto-Gruppe einen eigenen Internet-Auftritt.

Der Katalogver­kauf ist schon seit Langem nicht mehr der große Schlager im Sortiment. Ohnehin gab es in Hochzeiten nicht nur den einen, sondern bis zu 60 verschiede­ne Katalog-Angebote. All das ist

Frühling – Sommer

1950/51

1971

1986/1987

1993/94

2011

mittlerwei­le aufgegange­n in einer Internet-Warenwelt mit fast drei Millionen Produkten. Etwa zehn Prozent des Umsatzes von fast drei Milliarden Euro ist in den vergangene­n Jahren noch über den zweimal (früher sogar dreimal) pro Jahr erscheinen­den Papier-Wälzer erlöst worden.

Otto hat schon früh die Zeichen der Zeit erkannt, ist mehrfach als beliebtest­er und bester Online-Modehändle­r ausgezeich­net worden. „Unsere Kunden haben den Katalog selbst abgeschaff­t, weil sie ihn immer weniger nutzen und schon längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen“, sagt Marc Opelt, Chef

des früheren Otto-Versands, heute ein Tochterunt­ernehmen des Konzerns. Nur noch drei Prozent der Kunden bestellen nicht über die Website, über die App oder andere digitale Kanäle.Wer heute noch eine dem Katalog beigefügte Bestellkar­te benutzt, telefonisc­h oder per Fax ordert, gilt als Dinosaurie­r unter den Versandhan­delskunden.

Am 4. Dezember ist damit Schluss. Ausgerechn­et an diesem Tag eröffnet in Berlin Amazon sein Shopping-Center. Das Schreckges­penst des stationäre­n Einzelhand­els verkauft ab dem Tag in einem Laden all das, was im Internet so richtig gut geht. Ein „Best of“des Digitalver­kaufs sozusagen, mit dem die Amerikaner ihre Bemühungen auch auf den Kunden im Präsenzhan­del richten. „Pop-up-Store“nennt sich das im Handels-Neu-Deutsch, und es vermittelt ein bisschen was von dem, was Handel heutre ausmacht: ein Angebot auf allen Kanälen, das dem Kunden die Möglichkei­t gibt, zu bestellen, zu kaufen, zu holen und zu bezahlen, wann und wo er will. Insofern ist das Abschaffen des Katalogs auch ein bisschen Abrücken vom Multi-Channel. Selbst, wenn noch ein paar kleine Ottos bleiben.

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