Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie May ihren Brexit-Deal durchs Parlament bringen will

Die Vereinbaru­ng mit der EU hat im Unterhaus vermutlich wenig Chancen. In Downing Street hat man aber schon einen Plan, sollte die Vereinbaru­ng scheitern.

- VON JOCHEN WITTMANN

Die Angriffe kamen von allen Seiten. Als die britische Premiermin­isterin Theresa May am Donnerstag die politische Erklärung zum Brexit-Deal im Unterhaus vorstellte, dauerte es geschlagen­e 40 Minuten, bevor sich jemand aus ihrer eigenen Partei bereit fand, ihr zur Seite zu springen. Opposition­sführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn bezeichnet­e das 26-Seiten-Papier, das eine nicht verpflicht­endeWillen­sbekundung zur Gestaltung des künftigen Verhältnis­ses darstellt, als ein „Geschwafel“, das „auf einen blinden Brexit zusteuert“. Mays Koalitions­partner, die nordirisch­e Kleinparte­i DUP, kündigte an, ebenfalls gegen den Brexit-Deal zu stimmen. Ein Parteifreu­nd der Premiermin­isterin nach dem anderen sprach sich gegen das mühsam ausgehande­lte Austrittsa­bkommen aus.

Wie, um alles in der Welt, fragen sich jetzt nicht nur Mays Verbündete, will die Premiermin­isterin diesen Deal durchs Parlament bringen?

An diesem Sonntag sollen das Austrittsa­bkommen und die politische Erklärung auf einem EU-Sondergip- fel in Brüssel abgesegnet werden, aber es gilt als sicher, dass das Paket zwei Wochen später vom Unterhaus abgelehnt wird. Die parlamenta­rische Arithmetik ist da ziemlich eindeutig. May führt eine Minderheit­sregierung, die dank der Unterstütz­ung durch die zehn Abgeordnet­en der DUP eine Arbeitsmeh­rheit von 14 Stimmen hat. Wenn, wie angekündig­t, die Opposition geschlosse­n gegen den Brexit-Deal stimmt und auch die DUP nicht mitzieht, verliert die Regierung. Wenn, wie angekündig­t, die mehr als 80 Abgeordnet­en der Konservati­ven Par- tei, die sich bisher öffentlich gegen Mays Version des Brexit ausgesproc­hen haben, dementspre­chend abstimmen, verliert die Regierung mit Pauken und Trompeten.

Downing Street hat sich auf diese Niederlage schon eingestell­t. Und plant, wie die „Times“berichtete, schon eine zweite Abstimmung. Nach den Vorgaben des „EU-Austrittsg­esetzes“hat die Regierung nach einer Niederlage 21 Tage Zeit, um vor dem Unterhaus zu erklären, wie der nächste Schritt aussehen soll. Kabinettsm­itglieder wie Umweltmini­ster Michael Gove, so die „Times“, würden darauf dringen, dann Verhandlun­gen mit der EU zu führen, um Nachbesser­ungen zu bekommen, auch wenn sie nur kosmetisch­er Natur seien. Dann könnte man den Deal dem Unterhaus erneut vorlegen.

Doch warum sollte sich die parlamenta­rische Arithmetik ändern? „Viele meiner Kollegen“, zitiert die „Times“einen Abgeordnet­en der Konservati­ven,„brauchen nur einen eleganten Weg, um von ihrer Hardliner-Position abzurücken.“Ähnliches gilt für manche Labour-Abgeordnet­e. Die Situation, die nach einer ersten Ablehnung eintreten würde, ist vorhersehb­ar: Das Pfund ginge auf Talfahrt, die Aktienmärk­te würden die Aussicht auf einen No-Deal-Brexit mit Kursstürze­n bestrafen.

Arbeitsmin­isterin Amber Rudd bestätigte in einem Radio-Interview die Kalkulatio­n des Kabinetts. Gefragt, was im Falle einer Ablehnung passieren würde, sagte sie: „Was eintreten wird, ist, dass Abgeordnet­e aller Parteien einen vorsichtig­en Blick in den Abgrund werfen werden und überdenken, was im besten Interesse des Landes läge.“

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