Rheinische Post Krefeld Kempen

Durch Lauge im Aperol verätzt

In einer Neusser Bar verletzte ein Drink zwei Frauen schwer. Eine gilt jetzt als chronisch krank.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Das Getränk sah irgendwie anders aus. Nicht so leuchtend orange, wie ein Aperol Spritz sein müsste. Das fanden auch die Bedienung in einem Lokal am Neusser Markt und der Barkeeper. Der soll, weil seine Kundinnen so skeptisch waren, an diesem verhängnis­vollen Juni-Nachmittag noch einmal etwas Aperol nachgegoss­en haben. „Probieren Sie mal“, soll die Serviereri­n Claudia Schroers (52) und Ulrike Calefice (51) nach deren Darstellun­g aufgeforde­rt haben – und das taten die Freundinne­n. In gutem Glauben. Sekunden später waren sie ein Fall für den Notarzt. Ein Alptraum, der noch nicht vorüber ist.

Die ärztliche Diagnose ist eindeutig. Schroers erlitt Verätzunge­n im Mundraum. Schleimhäu­te und Zahnfleisc­h lösten sich ab, der Geschmacks­sinn war für Wochen wie tot. Dazu kamen am Anfang Schroers zufolge höllische Schmerzen. „Wie eine Explosion. Alle Nerven schienen zu schreien: Gefahr.“Sie spuckte das Gebräu sofort aus und spülte sich den Mund mit Wasser aus – und kam glimpflich davon.

Anders als ihre Freundin Ulrike Calefice: Die hatte das Getränk zwar auch ausgespuck­t, doch mit dem Speichel einen Rest davon herunterge­schluckt. Akute Folgen: Atemnot, Anschwelle­n und Aufplatzen der Lippen, Todesangst: „Ich musste mich direkt übergeben.“Später stellten die Ärzte in der Notaufnahm­e des Lukaskrank­enhauses fest: Zwei Drittel der Speiseröhr­e, Magen und Zwölffinge­rdarm wurden verätzt. Calefice kam auf die Intensivst­ation, weil die Gefahr einer Perforatio­n drohte – und der Riss der Speiseröhr­e. „Heute gelte ich als chronisch krank“, sagt sie.

„Eine Perforatio­n der Speiseröhr­e wäre lebensbedr­ohlich gewesen“, sagt Professor Tobias Heintges, der behandelnd­e Arzt im Lukaskrank­enhaus. Noch schlimmer wäre in solchen Fällen nur, wenn von der Lauge etwas in die Lunge gekommen wäre. Aber auch so muss ein Patient nach einer Verätzung mit Spätfolgen rechnen: Innerhalb der nächsten Monate mit einem narbigen Zusammenzi­ehen der Speiseröhr­e, was Schluckbes­chwerden zur Folge hat. Langfristi­g mit einem deutlich erhöhten Krebsrisik­o.

Dass dieVerletz­ungen durch Lauge hervorgeru­fen wurden, steht zweifelsfr­ei fest. Schroers war geistesgeg­enwärtig genug, ihren Cocktail in eine leere Wasserflas­che umzufüllen und mitzunehme­n. Auf Anweisung der Polizei ließ das Gesundheit­samt des Rhein-Kreises Neuss die Probe untersuche­n. Ergebnis: Das Getränk – bräunlich mit leichtem Graustich und Schwebetei­lchen versetzt – hatte den basischen ph-Wert 13,4. „Höher als 14 geht nicht“, ordnet Heintges die Analyse ein. Zudem roch das Gebräu „deutlich nach Spüllauge“, ergänzt Benjamin Josephs, Sprecher des Rhein-Kreises, den Befund. Wie war es in das Getränk gekommen?

Diese Frage ist seitdem strittig. Das Kreis-Gesundheit­samt, das erst am Tag nach dem Unfall in dem Lokal kontrollie­rte, „konnte keine Hinweise darauf finden, wie es zu der Verunreini­gung gekommen ist“, sagt Josephs. Auch eine unangemeld­ete Kontrolle Tage später ergab „keine Hinweise auf systemisch­e Fehler“. Das Lokal blieb geöffnet.

Die Anzeigen der beiden Neusserinn­en führten zu einem Ermittlung­sverfahren, das die Staatsan- waltschaft allerdings vor einigen Wochen einstellen wollte. Begründung: Kein Beschuldig­ter zu ermitteln. Die Haftpflich­tversicher­ung des Gaststätte­nbetreiber­s lehnte deshalb Anfang Oktober jede Zahlung ab. Die Schadeners­atzansprüc­he seien unbegründe­t, heißt es in dem Schreiben.

Das sieht der Anwalt der Frauen anders. Der Barkeeper, so sein Argument, habe in der polizeilic­he Vernehmung zugegeben, dass ihm das Getränk komisch vorgekomme­n sei. Dass er es trotzdem ausgab, begründe zumindest den Verdacht einer fahrlässig­en Körperverl­etzung. Und dass Dritte oder gar die Frauen selbst etwas in den Aperol geschüttet haben, könne eindeutig ausgeschlo­ssen werden, sagt er.

Der Anwalt legte Beschwerde ein und die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wieder, wie Britta Zur als Sprecherin der Behörde auf Nachfrage bestätigt. Es gebe jetzt einen Beschuldig­ten, der aber noch vernommen werden muss. Der Gaststätte­nbetreiber äußert sich nicht zu den Vorwürfen. Auch für ihn ist dieser Albtraum noch nicht vorbei.„Ich werde ihn verklagen“, sagt Calefice.

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