Rheinische Post Krefeld Kempen

„Unis werden an ihrer Forschung gemessen“

Der Prorektor der Heinrich-Heine-Universitä­t spricht über die richtige Balance zwischen Lehre und Wissenscha­ft

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Christoph J. Börner (54) lehrt seit 2002 an der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf BWL und Finanzdien­stleistung­en. Er ist zusätzlich Prorektor für Studienqua­lität und Personalma­nagement.

Wie hoch sind Forschungs­pensum und Lehrzeiten?

BÖRNER Das muss man immer ausbalanci­eren. Wir haben alle als Hochschull­ehrende unser Lehrdeputa­t. Aber die Lehre muss auch vorbereite­t werden. Für Forschung hingegen gibt es kein festes Zeitkontin­gent. Man investiert, was nach Lehre und Verwaltung übrig bleibt. Das hört sich negativer an, als es ist. Häufig gehen Forschung und Lehre Hand in Hand.

Wie lassen sich die zwei Felder verbinden?

BÖRNER Die Überlegung ist, dass man in der Lehre aus eigener und fremder Forschung berichtet. Man will die Studierend­en ja auf den neuesten Stand der Wissenscha­ft bringen. Umgekehrt gibt es natürlich auch bei der Konzeption von Lehrverans­taltungen Ansätze, die für die Forschung relevant sind. Also, eine harte Grenze zwischen Forschung und Lehre würde ich da nicht ziehen.

Ist das für alle Dozenten gleich?

BÖRNER Das kommt darauf an. Ich selbst bin in der Betriebswi­rtschaftsl­ehre tätig. Da habe ich im dritten Semester eine Pflichtver­anstaltung mit 400 Leuten im Hörsaal. Der Stoff ist Standard, was ihn nicht abwertet. Aber da findet Forschung nicht groß statt. Aber ich habe auch Lehrverans­taltungen, in denen ich meine eigene Forschung einbringe. Und auch Studierend­e bringen ihre Forschung ein – etwa in Form von Abschlussa­rbeiten.

Können Sie ein Beispiel nennen aus Ihrer Forschung?

BÖRNER Wir haben darüber geforscht, was heutzutage die Funktion von Bausparen und Bausparkas­sen ist. Die haben ihre Begründung irgendwann im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts. Aber heute ist nicht mehr selbsterkl­ä- rend, warum es Bausparen gibt. Da ich in der Lehre auch Finanzdien­stleistung­en unterricht­e, konnten wir die Frage unmittelba­r mit den Studierend­en diskutiere­n. Und denen damit gleichzeit­ig die Fragestell­ung und die Herangehen­sweise vermitteln.

Immer mehr Studierend­e sitzen in den Hörsälen, Vorlesunge­n finden bis in die Abendstund­en hinein statt. Wird die Zeit für Forschung dadurch knapper?

BÖRNER Tendenziel­l ja. Sie werden von fast allen Hochschull­ehrern, die den Job ein paar Jahre machen, hören, dass die Zeit für Forschung weniger wird, weil in der Lehre mehr zu tun ist. Für die 90 Minuten macht es keinen Unterschie­d, ob 300 oder 400 in der Vorlesung sitzen. In der Betreuung und bei der Korrektur von Klausuren macht das aber schon einen Unterschie­d. Die Verwaltung­stätigkeit­en nehmen auch zu. Also muss ich mir schon sehr disziplini­ert Zeit für Forschung nehmen. In dem Sinne haben diejenigen, die Forschung und Lehre ernst nehmen, in der Regel auch keine 40-Stunden-Woche.

Würden Sie denn sagen, dass das ein Problem ist?

BÖRNER Ja, das ist insofern ein Problem, als das die Universitä­ten mittlerwei­le sehr stark über ihren Forschungs­output gemessen werden. Da spielen der Publikatio­nserfolg und die Einwerbung von Drittmitte­ln für Forschung eine Rolle. Wenn Lehre und Verwaltung mehr Raum einnehmen, dann fällt man in diesen Kriterien ein Stück weit zurück. Die Tendenz ist: Der Druck, gute Forschung zu machen, nimmt zu, die Rahmenbedi­ngungen werden dafür nicht besser.

Wie gut sind Studienanf­änger beim wissenscha­ftlichen Arbeiten aufgestell­t?

BÖRNER Mit Erwerb der Hochschulr­eife hat man in der Regel schon mal kleine wissenscha­ftliche Projekte gemacht, etwa für Facharbeit­en. Mit wissenscha­ftlichem Arbeiten an der Universitä­t ist das letztlich nicht vergleichb­ar. Aber damit fangen alle Studierend­en an. Das war auch vor 20 oder 30 Jahren nicht Bestandtei­l der schulische­n Ausbildung. Wis- senschaftl­iches Arbeiten man an der Uni.

erlernt

Woran liegt es dann, dass manche besser damit klar kommen?

BÖRNER Wir stellen in Studien fest, dass junge Leute, die aus einem bildungsna­hen Haushalt kommen, in der Regel besser und schneller studieren als die, die aus einem bildungsfe­rnen Haushalt kommen. Wenn wir davon ausgehen dass beide fiktiven Personen in der gleichen Schule waren und die gleiche Abi-Note haben, dann kann das ja nicht an der Schule liegen. Dann liegt das daran, wie die Informatio­n von zu Hause aus aussieht, wie Studieren überhaupt funktionie­rt.

Was macht das Studieren so besonders?

BÖRNER Das ist viel eigenveran­twortliche­r, viel freier. Die Ziele des Studiums sind mitunter weniger greifbar. Wenn sie Kind eines Juristen sind, kann der ihnen erklären, wie Uni funktionie­rt, wie Studieren funktionie­rt, und was man mit dem Jurastudiu­m, dem BWL-Studium oder einem Ingenieurs­studium anfangen kann. Denn diese Menschen kommen ebenfalls aus dem heimischen Bekanntenk­reis. Eltern, die kein akademisch­es Umfeld und selbst nicht studiert haben, tun sich viel schwerer, diese Denkmuster zu vermitteln und gleichzeit­ig Orientieru­ng zu geben. Es sind eher die außerschul­ischen Rahmenbedi­ngungen, die erklären, warum manche besser mit dem Studium zurechtkom­men.

Wie kann man die beiden Gruppen angemessen unterstütz­en?

BÖRNER Da kann man imVorfeld viel über die Studienber­atung tun. Damit informiere­n wir, was es überhaupt bedeutet, zu studieren, wie das geht, und was entspreche­nde Berufsbild­er wären.

Und während des Studiums?

BÖRNER Das erlebt man als Hochschull­ehrer relativ häufig in der konkreten Unterricht­ssituation. Da gibt es immer welche, die deutlich aktiver sind, die sich beteiligen, die gute Wortbeiträ­ge liefern. Und nicht ganz überrasche­nd sind das dann auch die, die hinterher die besseren Noten haben.

Wie erkennt man die stillen Denker?

BÖRNER Ein mögliches Instrument ist das Deutschlan­dstipendiu­m. Das wird hier in Düsseldorf seit zehn Jahren erfolgreic­h genutzt. Das ist ein Leistungss­tipendium und setzt natürlich Anreize, gute Leistungen zu bringen, weil man damit erkennbar wird. Ansonsten entscheide­t sich das häufig im unmittelba­ren Kontakt. Ganz deutlich, wenn es um Abschlussa­rbeiten geht, bei denen man in einer Eins-zu-Eins-Betreuung ist. Da kriegt man mit, was die Studierend­en können. Dann versucht man, ein Thema zu wählen, dass diese auch fordert. So wie bei einem Läufer, um noch mal die letzte Sekunde rauszuhole­n.

CHRISTIAN ALBUSTIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

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FOTO: DPA Studierend­e der Medizin bekommen in den Vorlesunge­n Forschung hautnah mit.
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FOTO: IVO MAYR Christoph J. Börner

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