Rheinische Post Krefeld Kempen

Im Zweifel ziehen

In der Mongolei helfen Zahnärzte aus Nordrhein-Westfalen bei der Versorgung der Landbevölk­erung. Ihre Hilfe wird dringend gebraucht, denn die Gebisse vieler Mongolen sind in desolatem Zustand.

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Deshalb ist die MDA bemüht, ein dichteres Netz von Zahnärzten im ganzen Land aufzubauen. Doch der für Zahngesund­heit aufgewende­te Anteil der staatliche­n Gesundheit­sausgaben liegt mit 0,5 Prozent weit unter dem globalen Schnitt. Und es gibt ein weiteres Problem: Nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n nutzten viele mongolisch­e Ärzte die Chance, nur noch lukrative Behandlung­en für Privatpati­enten anzubieten. Die hohen Zuzahlunge­n können sich nur die reichsten 20 Prozent der erklärt die langen Schlangen, die sich schon früh morgens überall da bilden, wo die deutschen Helfer ihre provisoris­chen Behandlung­sräume einrichten.

So auch in Ugtaal, 80 Kilometer östlich von Zaamar, wo Marine Le Guérer mit drei Helferinne­n jeden Tag zwischen 50 und 80 Patienten behandelt.Wie in allen Einsatzort­en stellen die Krankensta­tionen der Sums, Dörfer mit einigen hundert bis wenigen tausend Einwohnern, ein oder zwei Zimmer zur Verfügung, in denen die Helfer ihre zusammenkl­appbaren Behandlung­sstühle und die koffergroß­en mobilen Dentaleinh­eiten mit Bohrer, Sauger und einer Lampe zum Aushärten von Füllungen aufstellen. Die aus Deutschlan­d mitgebrach­ten Behandlung­smateriali­en und Instrument­e türmen sich auf Fensterbän­ken und Tischen, notdürftig abgedeckt mit Tüchern.

Der Behandlung­sraum, in dem Le Guérer arbeitet, ist jedoch bis auf den Behandlung­sstuhl und einen Plastikeim­er fast leer. Die Kölnerin hat heute Dienst im sogenannte­n Extraktion­s-Zimmer und zieht von morgens bis abends Zähne. Gerade läuft die auf Grund der Sprachbarr­iere immer etwas spärlich ausfallend­e Anamnese bei einem älteren Patienten in orangefarb­enem Deel, dem traditione­llen Gewand der Mongolen. Le Guérer und Kollegin Maren Kraft vermuten einen Abszess.„Aber es ist schwer zu sagen, wo der Schmerz genau herkommt“, sagt die 28-Jährige. Ein Röntgenger­ät, das Gewissheit bringen würde, gibt es nicht. Krasnojars­k RUSSLAND

Ugtaal Zaamar MONGOLEI

CHINA

Die deutschen Helfer sind in erster Linie da, um akute Schmerzen zu lindern. Für die dringend nötige Prophylaxe und Prävention bleibt in vielen Sums wegen des Patientena­ndrangs kaum Zeit. Und so sind Extraktion­en vielerorts der häufigste Eingriff. Mehr als 6000 sind es am Ende des sechswöchi­gen Einsatzes von „Zahnärzte ohne Grenzen“. Der Einsatz des Bohrers hat nur bei kleinerem Kariesbefa­ll Sinn. Oft sind die Zähne so stark zerstört, dass eine Krone erforderli­ch wäre. Dafür bleibt aber kaum Zeit. Wurzelbeha­ndlungen fallen ganz aus, weil es erstens keine Möglichkei­t zum Röntgen gibt und zweitens die nötige Nachbehand­lung nicht gewährleis­tet werden kann.

Dass sie dadurch nur Symptome behandeln, nicht aber die Ursache des Problems, wissen die Helfer. Aber mehr Prävention als eine Tube Zahnpasta samt Zahnbürste und einen Zettel mit einer Anleitung zum richtigen Zähneputze­n mitzugeben, ist meist nicht drin. Le Guérer, die schon während ihres Studiums an einem ähnlichen Einsatz in Bolivien teilgenomm­en hat, hofft dennoch, dass ihre Arbeit nachhaltig wirkt und sich die Situation vor Ort mit der Zeit bessert. Ihr Patient in der mongolisch­en Tracht verlässt die provisoris­che Praxis am Ende mit zwei Zähnen weniger – und einem Lächeln.

Die deutschen Helfer gehen pragmatisc­h mit dem entbehrung­sreichen Einsatzall­tag um. Für sie steht die Hilfe im Vordergrun­d. Und die wird ihnen gedankt: Ihre Patienten

Ulan Bator

Beijing laden zu traditione­llen Feierlichk­eiten ein, schlachten ihnen zu Ehren eine Ziege oder laden auf eine Schale Ayrag, vergorene Stutenmilc­h, in ihre Jurte. Marine Le Guérer und ihr Team aus Ugtaal haben sogar gegrilltes Murmeltier probiert. „Pures Fett, aber das lieben die Mongolen.“Kulinarisc­he Bedenken werden mitVodka fortgespül­t.

Wegen der Gastfreund­schaft und des Gefühls, etwas Sinnvolles zu tun, können sich viele Helfer vorstellen wiederzuko­mmen. Für die Menschen im mongolisch­en Hinterland eine gute Nachricht. Denn es ist unwahrsche­inlich, dass die Arbeit der Mediziner in naher Zukunft überflüssi­g wird – trotz kleiner Fortschrit­te. Am Ende ihres Einsatzes bekommen alle Helfer im Rathaus der Provinzhau­ptstadt Zuunmod zum Dank eine kleine vergoldete Pferdekopf­geige sowie eine Spielzeugj­urte. Beim letzten Einsatz war es noch eine Tüte Bonbons.

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FOTOS: DANIEL VAN MOLL/LAIF Zahnarzt Benjamin Roth (l.) behandelt zusammen mit einer Helferin einen Patienten in der Krankensta­tion von Zaamar.
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Wie hier in Ugtaal bilden sich lange Schlangen vor den Behandlung­szimmern.
 ??  ?? Um besser in den Zahnzwisch­enräumen bohren zu können, drückt ein Streichhol­z die Zähne dieser Patientin auseinande­r. In Deutschlan­d würde man dafür Interdenta­lkeile verwenden.
Um besser in den Zahnzwisch­enräumen bohren zu können, drückt ein Streichhol­z die Zähne dieser Patientin auseinande­r. In Deutschlan­d würde man dafür Interdenta­lkeile verwenden.
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