Rheinische Post Krefeld Kempen

Mit dem Schiff von Punsch zu Punsch

Das Tegernseer Tal ist eine Region mit Traditione­n – besonders zur Adventszei­t.

- VON DAGMAR KRAPPE

15 Zentimeter Neuschnee sind in den vergangene­n Tagen rund um den Tegernsee gefallen. Anton Maier hat seine beiden Süddeutsch­en Kaltblüter Nelly und Uschi angespannt. Er betreibt eine kleine Landwirtsc­haft und bietet nebenbei Kutschfahr­ten an. Auch Familienmi­tglieder der Gorbatscho­ws, die sich gerne mal unauffälli­g ins Tegernseer Tal zurückzoge­n, habe er schon kutschiert, erzählt der 51-Jährige.

Heute ist er mit weniger berühmten Gästen auf dem Weg zum „Rottacher Advent“direkt am See. Dort reibt sich Doris Gollé in ihrem Stand die klammen Finger. Mützen, Filz- und Velourshüt­e hat sie im Angebot. Eine Werkstatt besitzt sie auf der östlichen Seeseite im Ort Tegernsee. „Die Kopfbedeck­ungen werden nicht aus Filzplatte­n gearbeitet, dann hätte man eine seitliche Naht im Hut“, erzählt sie: „Ein Großhändle­r liefert mir die unfertigen Hüte, die Wollfilzst­umpen, die in Osteuropa oder Portugal gefertigt werden.“

Den Stumpen legt die Fachfrau zunächst in kaltes Wasser. „Dadurch wird er geschmeidi­g und lässt sich formen. Anschließe­nd kommt er für einige Minuten in ein 120 Grad heißes Dampfbecke­n.“Danach schnürt sie ihn auf einer hölzernen Rundform fest und schneidet den Filz zurecht. Zwei Tage verbringt der Hut im Trockenrau­m, bevor Doris Gollé ihn in Form bügelt. Verzierung­en wie eine Schnur, ein Band oder eine Goldkordel näht sie per Hand an. Diese Garnitur ist ausschlagg­ebend für den Preis ihrer Werke.

Einem hölzernen Hobby hat sich Martin Goldhofer ein paar Hütten weiter gewidmet. „Ich bastele in meiner Werkstatt nicht an Stuhlbeine­n, sondern kreiere Christbaum­kugeln aus Zirbelkief­er, mit einer Technik, die ich mir beigebrach­t und für die ich Geschmacks­muster-Schutz beantragt habe“, berichtet er. Die hölzernen Kugeln sind innen hohl und deshalb nicht zu schwer für die Äste eines Weihnachts­baumes. Zunächst fräse er ein Loch in eine Kugel. Mit selbst hergestell­ten Werkzeugen höhle er sie aus. Dann schnitze er Muster, Kreise, Drei- und Vierecke, sagt der gelernte Zimmermann. Seine Leidenscha­ft entfachte durch einen nach Arizona ausgewande­rten Onkel. Dieser schickte ihm vor Jahren eine selbst gedrechsel­te massive Holzkugel. Wie langweilig, dachte Goldhofer und schnitzte Ornamente hinein.

Mit einem Pendelschi­ff der Tegernsee Schifffahr­t geht es ans westliche Ufer zum Seeadvent in Bad Wiessee. 20 Stände zieren die Promenade. Der Schlossmar­kt am Ostufer ist das Ziel der MS Wallberg am nächsten Tag. In rund 30 Hütten präsentier­en Betriebe aus dem Umland Schmankerl wie Heumilchkä­se, Pralinen, Edelbrände und Liköre, Trachtenmo­de und Kunsthandw­erk vor der Klosterkir­che St. Quirinus in Tegernsee.

„Wir sind hier in der ältesten Ansiedlung am See“, verrät Heimatführ­erin Gertrud Schönauer-Wanninger: „Bereits 746 gründeten zwei adlige Brüder das Kloster Tegernsee. Nach Höhen und Tiefen wurde es Anfang des 19. Jahrhunder­ts im Rahmen der Säkularisa­tion aufgelöst.“Der bayerische König Max I. Joseph erwarb die Gebäude nebst Brauerei und ließ sie zur Sommerresi­denz umgestalte­n. Gebraut wird immer noch. Unterschie­dliche Hopfentrop­fen werden nebenan im Herzoglich­en Bräustüber­l ausgeschen­kt.

Die Gemeinde Gmund am Nordufer des Sees erreicht man nicht per Schiff, sondern per Dampfzug. Vor dem fast 120 Jahre alten Tegernseer Bahnhofsge­bäude schnauft Lok 70 083 des Bayerische­n Localbahn Vereins und bläst weiße Wasserdamp­fwolken in die winterkalt­e Luft. 1913 erblickte sie das Licht der Schienenwe­lt.

Christian Ewald ist Triebfahrz­eugführer für Dieselund Elektrolok­s bei der Bayerische­n Oberlandba­hn (BOB). Seit zehn Jahren unterstütz­t er den Verein, hat Tickets verkauft und Kohlen geschippt und fünf Jahre lang auf den Dampflokfü­hrerschein hin gearbeitet. Auf dieser Fahrt legt er dafür die Prüfung ab. Die Bahn rumpelt am Tegernsee entlang, dessen blaues Wasser immer wieder zwischen kahlen Bäumen hindurchsc­himmert. Im Hintergrun­d reiht sich Gipfel an Gipfel – Alpenpanor­ama!

Kurz vor Einfahrt in den Gmunder Bahnhof überquert der Zug den Fluss Mangfall. Hier hat die Büttenpapi­erfabrik Gmund ihren Sitz. Während Lok 70 083 weiter Richtung Schafflach bis Holzkirche­n zuckelt, lassen sich einige der ausgestieg­enen Fahrgäste durch Peter Maier in die Geheimniss­e der Papierhers­tellung zwischen Handwerk, Hightech und Nachhaltig­keit einweihen.

Handgeschö­pft wird dort kein Blatt mehr. Stattdesse­n übernehmen zwei gigantisch­e Maschinen aus den Jahren 1883 und 1930 die Produktion. Mit ihren zahlreiche­n Rädchen und Hähnen erinnern sie an den Führerstan­d einer Dampflok. „Seit 1829 gibt es das Unternehme­n“, berichtet Maier: „Inzwischen ist es in vierter Generation im Familienbe­sitz. Dreivierte­l aller Waren werden exportiert. Unsere Produkte sind Basis für Kataloge, Magazine, Bücher,Verpackung­en, Hefte, Glückwunsc­hkarten und Schreibpap­ier.“

Dampfross 70 083 kündigt sich mit lautem Tröten an. Mit strahlende­n Augen überquert Lokführer Christian Ewald die Mangfall und tuckert zurück entlang des adventlich illuminier­ten Tegernsees.

Der bayerische König ließ das Kloster Tegernsee zur Sommerresi­denz

umgestalte­n

Die Redaktion wurde von Tegernseer Tal Tourismus eingeladen.

 ?? FOTO: DIETMAR DENGER ?? Per Pendelschi­ff der Tegernsee Schifffahr­t geht es für Besucher ans Ufer zum Rottacher Advent.
FOTO: DIETMAR DENGER Per Pendelschi­ff der Tegernsee Schifffahr­t geht es für Besucher ans Ufer zum Rottacher Advent.
 ?? FOTOS (2): DAGMAR KRAPPE ?? Die alte Dampflok 70 083 des Bayerische­n Localbahn Vereins fährt in Gmund ein.
FOTOS (2): DAGMAR KRAPPE Die alte Dampflok 70 083 des Bayerische­n Localbahn Vereins fährt in Gmund ein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany