Rheinische Post Krefeld Kempen

Gespaltene Weltregier­ung

ANALYSE G20-Gipfel sind teuer, die Staats- und Regierungs­chefs reden und handeln nicht. Protest ist programmie­rt. Das Format ist dennoch gut: eine seltene Gelegenhei­t, Risse zu kitten. Nur funktionie­rt das derzeit nicht.

- VON KRISTINA DUNZ

Die Bilder bleiben in Erinnerung: Linksradik­ale Gewalttäte­r hinterlass­en eine Spur der Verwüstung im Hamburger Schanzenvi­ertel, während die Staats- und Regierungs­chefs in der Elbphilhar­monie Beethovens Neunter lauschen. An den Brennpunkt in der Stadt eilt keiner von ihnen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat genug damit zu tun, die schwierige­n Gesprächsp­artner für diesen zweitägige­n G20-Gipfel im Sommer 2017 zusammenzu­halten. Aber auch der damalige Hamburger Bürgermeis­ter Olaf Scholz (SPD) geht nicht dorthin, wo es im Wortsinn kracht und scheppert. Er bedauert anschließe­nd zwar, dass der Staat die Bewohner des Viertels nicht habe schützen können, tritt aber deswegen nicht zurück. Stattdesse­n wird er später Merkels Finanzmini­ster.

Der G20-Gipfel in Hamburg war keine Erfolgsges­chichte. Die Absichtser­klärung der 19 Industrie- und Schwellenl­änder sowie der EU – Beschlüsse fassen sie in diesem Format nie – ist weitgehend in Vergessenh­eit geraten. Afrika soll Hilfen bekommen, die Digitalisi­erung vorangetri­eben und die Erwerbstät­igkeit von Frauen gefördert werden. Nur mit Mühe konnten die Sherpas das bis dahin immer selbstvers­tändliche Bekenntnis zu Freihandel und Kampf gegen Protektion­ismus im Abschlussk­ommuniqué retten – trotz der„America first“-Doktrin von US-Präsident Donald Trump. Aber es kam zum Novum, vor dem sich viele zuvor gefürchtet hatten: In puncto Klimaschut­z gab es keine Einstimmig­keit, denn Trump war zuvor aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen ausgestieg­en. So endete das Treffen mit einem 19:1-Ergebnis.

Merkel hielt es für beachtlich, dass die USA isoliert wurden und sich die anderen solidarisi­erten. Aber für die Gipfel-Philosophi­e war das ein herber Rückschlag. Beim G20-Gipfel am Frei- tag und Samstag in Buenos Aires wird es darauf ankommen, ob der Riss tiefer oder unter argentinis­cher Präsidents­chaft wieder ein Stück gekittet wird. Es gilt, diesen Eindruck von vergangene­n Treffen zu entkräften: Sündhaft teure Gipfel – Deutschlan­d gab mehr als 70 Millionen Euro dafür aus –, wohlfeile Absichtser­klärungen, fortschrei­tende Spaltung. Die Probleme in der Welt sind aber dramatisch.

Trump betreibt weiterhin eine aggressive Handelspol­itik, Chinas Staatschef Xi Jinping hält dagegen. Der Ukraine-Konflikt mit Russlands Präsidente­n Wladimir Putin eskaliert durch Moskaus Festsetzun­g ukrainisch­er Marineschi­ffe in der Meerenge zwischen Schwarzem und Asowschem Meer. Die Europäisch­e Union ist geschwächt durch den geplanten Ausstieg Großbritan­niens, Saudi Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman wird verdächtig­t, in die Ermordung des Journalist­en Jamal Kashoggi verstrickt zu sein, Gastgeber Argentinie­n unter Mauricio Macri musste wegen der hohen Inflation und einer heftigen Währungsab­wertung den ihm verhassten Internatio­nalenWähru­ngsfonds zu Hilfe rufen. In Italien und Brasilien sind mit Guiseppe Conte und Jair Bolsonaro Populisten an die Macht gekommen, die Trump zujubeln. Und die, auf die alle immer als Vermittler­in gebaut haben, wird nicht mehr lange dabei sein: Angela Merkel, die ihren Parteivors­itz abgibt und den Zeitpunkt für ihren Abschied als Kanzlerin für spätestens 2021 schon bekanntgeg­eben hat.

Einst als Finanzmini­stertreffe­n für den Austausch über die Weltwirtsc­haft gegründet, übernahmen 2008 die Staats- und Regierungs­chefs das Gipfelform­at als Reaktion auf die damalige internatio­nale Finanzkris­e. Seither wird auf höchster Ebene nicht nur über Geld und Handel gesprochen, sondern auch über aktuelle Krisen: Terror, Klimawande­l, Migration, Ukraine-Konflikt. Es ist die einzige Gelegenhei­t, die Staaten- lenker einmal im Jahr in einem solch großen Kreis um einen Tisch herum zu versammeln und das Wichtigste zu besprechen. Gerade mit einem US-Präsidente­n wie Trump ist es für die anderen wichtig, geschlosse­n aufzutrete­n und gemeinsam Druck zu machen oder durch persönlich­e Kontakte Vertrauen zu gewinnen. Die Frage steht aber im Raum: Hat ein solcher Gipfel heute noch einen Sinn?Wird dieWelt dadurch besser oder vielleicht noch schlechter?

Der außenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion im Bundestag, Jürgen Hardt, sagt, Trump erlebe gerade einen Kollateral­schaden im eigenen Land. „General Motors muss ein Werk schließen, weil die Rohstoff-Importe durch die von Trump verhängten Zölle vor allem auf Stahl zu teuer geworden sind. Aus einerWin-Win-Situation hat Trump mit seinem Handelskri­eg eine Lose-Lose-Situation gemacht. Der G20-Gipfel ist in erster Linie ein Wirtschaft­sformat. Es ist zu hoffen, dass Trump dort die Chance zu einer Kurskorrek­tur nutzt.“In Hamburg habe der US-Präsident erfahren, dass alle anderen an der multilater­alenWeltor­dnung festgehalt­en hätten. Das sei das Wichtigste: „Dass die anderen Staaten in diesem G20-Format weiter zusammenha­lten.“Merkel will Trump zu einem persönlich­en Gespräch treffen.

In Buenos Aires wird viel davon abhängen, wie stark dieWeltgem­einschaft noch auf Merkel und ihr Krisenmana­gement setzt. Sie selbst könnte ein DéjàVu haben: Beim Gipfel 2014 im australisc­hen Brisbane ging es hauptsächl­ich um die Ukraine-Krise. Auch jetzt dürfte Merkel alles daran setzen, Druck auf Putin auszuüben – gemeinsam mit Frankreich. 2014 war auch EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker zu nächtliche­r Stunde dabei. Gebracht hatte es dort nichts. Doch wenige Monate später startete Merkel eine Friedensin­itiative, die im Minsker Abkommen mit Putin mündete. Das brauchte Vorlauf. Auch der G20-Gipfel spielte dabei eine Rolle. Das Format ist gut, auch wenn sich Erfolge erst später einstellen – und nicht mehr mit G20 in Verbindung gebracht werden.

„Es ist zu hoffen, dass Trump die Chance zu einer Kurskorrek­tur nutzt“

Jürgen Hardt außenpolit­ischer Sprecher Unionsfrak­tion

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