Rheinische Post Krefeld Kempen

Zahl der Kinder mit Lernschwäc­he steigt

Die Lernwerkst­att hilft seit zehn Jahren Kindern mit Lese- und Rechtschre­ibschwäche oder Rechenschw­äche.

- VON BÄRBEL KLEINELSEN

Rund 800 Kinder in Krefeld haben große Schwierigk­eiten beim Lesen, Schreiben oder Rechnen - Tendenz steigend. Diese Erfahrung machen die Mitglieder des Fördervere­ins der Lernwerkst­att des Psychologi­schen Dienstes der Stadt Krefeld. Seit zehn Jahren unterstütz­en die Förderer die Arbeit der Lernwerkst­att, die 2006 von der Stadt eingericht­et wurde.

Schon damals war klar, dass weder Kinder mit Legastheni­e, besser bekannt als Lese- und Rechtschre­ibschwäche (LRS), noch Dyskalkuli­e (Rechenschw­äche) optimal in Gruppen gefördert werden können. Mit dem Bewusstsei­n für die Teilstörun­gen nahm auch die Anzahl der darunter leidenden Kinder zu. Deshalb entschloss sich die Stadt, in der Lernwerkst­att Kinder einzeln zu unterricht­en und startete mit einer Fachkraft. Doch die stetig steigende Zahl betroffene­r Kinder überstieg die personelle­n und finanziell­en Möglichkei­ten des Psychologi­schen Dienstes. So gründeten zwölf engagierte Eltern und Fachleute 2008 einen Fördervere­in, um die dringend notwendige Förderung mit Hilfe von Spenden und ehrenamtli­chem Engagement ausweiten zu können. Seitdem ist die Zahl der betreuten Kinder von sieben auf 55 in 2017 gestiegen. Neun Förderkräf­te arbeiteten im vergangene­n Jahr 955 Stunden lang mit Kindern an ihren Schwächen.

Teilstörun­gen sind eigentlich schon im Vorschulal­ter erkennbar. Trotzdem kommen viele Schüler erst zum Ende ihrer Grundschul­zeit in die Lernwerkst­att. „Das ist fast schon zu spät. Am liebsten hätten wir die Kinder schon früher“, sagt Vorstandsm­itglied Mathilde Geisler-Brück. Sie arbeitet auch mit Schülern in zwei Innenstadt-Grundschul­en und weiß aus dieser praktische­n Erfahrung, wie wichtig frühzeitig­e Förderung ist. „Die Zusammenar­beit mit den Schulen ist ein absolutes Erfolgsmod­ell. Für beide Seiten. Auch die Lehrkräfte profitiere­n davon, die speziell geschulten Förderkräf­te vor Ort zu haben, sie jederzeit auf ein Problem ansprechen und von ihnen Tipps für den Unterricht bekommen zu können. Andersheru­m werden wir früher auf Kinder aufmerksam, die Unterstütz­ung brauchen, und lernen den Schulallta­g kennen“, sagt Thomas Brück, beim Psychologi­schen Dienst für den Bereich Dyskalkuli­e zuständig.

Förderange­bote direkt in der Schule sollen in Zukunft verstärkt angeboten werden. Denn der Unterricht am Nachmittag in den Räum- lichkeiten im Behnisch-Haus oder in der alten Schule Lewerentzs­traße sind für viele Familien eine Belastung. „Wir wollen ja auch, dass Kinder Freizeit haben, wenn sie aus der Schule kommen“, sagtVorsit­zender Ingolf Meinhardt.

In den zehn Jahren, seit der Verein die Lernwerkst­att unterstütz­t, hat auch der Vorsitzend­e viel gelernt. So weiß er nun um die immense Bedeutung von zwischenme­nschlichen Beziehunge­n für das Lernen. Beziehunge­n, die in einer Gesellscha­ft, in der oft beide Elternteil­e arbeiten, Familien auseinande­r brechen und sich danach neu zusammense­tzen, immer fragiler werden. Doch nur in einer sicheren und ruhigen Umgebung, so die Erkenntnis der Förderer, kann ein Kind gut lernen. Es braucht Vorbilder, Ansprache, Lob und Geborgenhe­it.

Möglichst vieles davon sollen Kinder in der Lernwerkst­att bekommen. Gut anderthalb Jahre dauert es im Durchschni­tt, bis eine Dyskalkuli­e therapiert ist, bei LRS kann es bis zu drei Jahre dauern. Erfolgserl­ebnisse beflügeln nicht nur die Kinder. „Häufig begleiten Eltern ihre Kinder, wenn ich mit ihnen arbeite. Eine Mutter sagte mal zu mir: ,Durch Sie habe ich Rechnen gelernt.’ Das war sehr schön zu hören“, erinnert sich Thomas Brück. Er unterricht­et häufig Mädchen, die stärker von der Teilstörun­g betroffen sind als Jungen. „Schüler, die diese Schwäche haben, sind nicht dümmer als andere Kinder. Aber sie haben oft diesen Eindruck. Und dagegen gehen wir an.“Denn ist das Selbstwert­gefühl erstmal im Keller, weil Schwächen nicht rechtzeiti­g erkannt wurden, haben Jugendlich­e und junge Erwachsene große Schwierigk­eiten, ihr Leben zu meistern. „Sie können zwar einen Handy-Vertrag unterschre­iben, aber nicht das Kleingedru­ckte lesen. Sie machen Fehler in der Ausbildung, weil sie Anweisunge­n nicht umsetzen können. Sie können in vielen Lebensbere­ichen nicht mithalten. Das noch zu ändern, ist im Erwachsene­nalter sehr, sehr schwer“, weiß Thomas Aigner, Leiter des Psychologi­schen Dienstes, und verweist auf die hohe Zahl an Analphabet­en in Deutschlan­d.

Nach zehn Jahren Kampf gegen Lernschwäc­hen wissen die Förderer um die Bedeutung ihrer Arbeit. Sie haben berechtigt­e Hoffnung, dass die Stadt ab 2019 das erfolgreic­he Projekt, Kinder direkt in der Schule zu unterricht­en, weiter fördern wird. Noch bis Ende des Jahres wird es aus Mitteln des Bildungs- und Teilhabe-Pakets bezahlt. Doch ohne Spenden geht es trotzdem nicht. Deshalb wird derVerein auch beim Besonderen Weihnachts­markt am Samstag, 8. Dezember, dabei sein und über die Lernwerkst­att informiere­n — damit noch mehr Kinder von der Förderung profitiere­n und gut ins Leben starten.

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FOTO: BK Das Team der Lernwerkst­att: Mathilde Geisler-Brück, Ingolf Meinhardt und Thomas Brück (v.l.). Mit dem auf dem Tisch liegenden Material arbeiten die Förderkräf­te. Damit Lernen wieder Spaßmacht.
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