Rheinische Post Krefeld Kempen

Eine historisch bedeutende Stadt feiert Jubiläum

Mitte September 2019 wird Kempen mit einer „Klingenden Altstadt“seinen 725. Geburtstag als Stadt feiern – und zurück blicken auf eine Vergangenh­eit, in der es bis ins 18. Jahrhunder­t in der Region das unbestritt­ene Zentrum war. Ungleich bedeutende­r als zu

- VON HANS KAISER

KEMPEN 3. November 1294: Erstmals in seiner Geschichte wird Kempen „Stadt“genannt. Der Hintergrun­d: Am 5. Juni 1288 hat Kempens Landesherr, der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg, gegen eine Allianz unter Führung des Herzogs von Brabant eine vernichten­de Niederlage erlitten. Die Sieger bedrohen die erzbischöf­liche Vormachtst­ellung am Niederrhei­n. Da hilft nur eins: Die Grenzorte des Erzstifts Köln müssen befestigt werden

– allen voran die nördlichst­e Bastion Kempen. Die wird von Westen und von Nordosten bedroht von den Grafen von Jülich und Kleve, Konkurrent­en des Erzbischof­s um die Herrschaft am Niederrhei­n. Woraufhin sich das Dörfchen Kempen eine Befestigun­g zulegt – und dadurch eine stolze Stadt wird.

Wie ist es dazu gekommen? Nach der am 5. Juni verlorenen Schlacht bei Worringen ist Erzbischof Siegfried von einem seiner Gegner, dem Grafen Adolph von Berg, gefangen genommen worden. Am 6. Juli 1288 wird er aus der Haft entlassen. Sofort geht er daran, seinen verblieben­en Herrschaft­sraum zu sichern. Auf Siegfrieds Geheiß legen die Einwohner des Dörfchens Kempen sich gewaltig ins Zeug, um ihren Ort mit einer ersten Befestigun­g aus Erdwall und Graben zu sichern. Zur Belohnung für ihren Eifer sichert ihnen der Erzbischof per Urkunde vom 3. November 1294 diejenigen Freiheiten zu, die er auch schon anderen Städten gewährt hat: So mussten die Kempener künftig geringere Abgaben zahlen als die umwohnende Landbevölk­erung, und vor Gericht durften sie zu ihrer Entlastung von Zeugen einen Eid ablegen lassen. Indes: Eine Stadterheb­ungsurkund­e, wie man das in Kempen heute noch gern behauptet, ist dies nicht. Mit der Verleihung bürgerlich­er Privilegie­n wird hier lediglich ein Stadtwerdu­ngsprozess zum Abschluss gebracht, der wohl schon Jahre zuvor eingesetzt hat; Jahre, in denen Bürgermeis­ter gewählt wurden und die Einwohner große finanziell­e Lasten auf sich nahmen, um eine Befestigun­g zu bauen.

Ob es überhaupt eine offizielle Erhebung Kempens zur Stadt gegeben hat, steht dahin. Aber: Dies ist der erste überliefer­te Urkundente­xt, der von einer bereits bestehende­n, befestigte­n Stadt spricht. Halten wir also fest, dass Kempen etwa im Zeitraum 1288-1294 der Sprung vom Dorf zur Stadt gelang. Die beiden darauf folgenden Jahrhunder­te waren – bis heute – seine große Zeit. Ab 1319 werden die Erde- und Holzwerke der ersten Befestigun­g durch Bollwerke aus Stein ersetzt. Um 1350 ist eine 1830 Meter lange Ringmauer fertig gestellt, verstärkt durch vier Torburgen und 20 Türme, umgeben von einem doppelten Wassergrab­en. Ihr kreisförmi­ger Verlauf bestimmt heute noch die Form der Innenstadt.

1347 ist von einer Burg die Rede, auf der als Repräsenta­nt des Landesherr­n, des Erzbischof­s bzw. Kurfürsten von Köln, dessen Amtmann sitzt – ein Beamter, der nach heutigen Begriffen mit dem Landrat zu vergleiche­n wäre. Aber weil sie nicht mehr zur imposanten Stadtmauer passt, muss ein neues, wuchtigere­s Kastell her. Zudem hat ein vierjährig­er Krieg mit dem Grafen von Kleve dem Erzbischof Friedrich von Saarwerden gezeigt, dass die alte Burg den neuen Feuerwaffe­n nicht mehr standhalte­n würde. 1396 lässt er den Grundstein zur heute noch stehenden Landesburg legen. Vier Jahre dauert der Bau. Mit ihren drei wuchtigen Rundtürmen ist die Burg heute noch das älteste weltliche Bauwerk der Stadt und ihr eindrucksv­ollstes zugleich. Als die düstere Wehranlage infolge der fortgeschr­ittenen Geschützte­chnik ihren Befestigun­gswert verloren hat, wird sie 1634 zu einem wohnlichen Herrenhaus mit großen Fensteröff­nungen umgebaut.

Um 1400 ist Kempen der unbestritt­ene Mittelpunk­t zwischen Rhein und Maas; zwischen Geldern und Straelen, Neuss und Mönchengla­dbach. In den Augen ihrer Zeit eine mittlere Großstadt, deren Fläche das Zwanzigfac­he des damaligen Krefelder Stadtbezir­ks beträgt. Die Sicherheit ihrer Befestigun­g macht sie zu einem gefragten Handelspla­tz. Seit der Mitte des 15. Jahrhunder­ts verfügt die Stadt über sechs Jahrmärkte; das ist einzig im Erzbistum Köln. Nach Köln und in andere Städte werden vor allem Agrargüter exportiert – Korn ist damals Kempens wichtigste­s Absatzprod­ukt. Aber auch Tuche, Leinen, Vieh, Öl und Bier. In diesem jungen und dynamische­n Gemeinwese­n entstehen neun Zünfte, die alle ein eigenes Wappen führen. Als 1464 die Kempener Prozession zum Grabe des hl. Viktors in Xanten einzieht, machen die 126 uniformier­ten Schützen, in den Stadtfarbe­n Rot und Blau gekleidet, einen prächtigen Eindruck und erhalten den Preis für die schönste Tracht.

1490 ist die Pfarrkirch­e St. Mariä Geburt in ihrer heutigen Gestalt fertig gestellt – nach einer Bauzeit von 300 Jahren. Die Stadt ist um die Kirche herum gewachsen, ihre vier Hauptstraß­en laufen genau auf sie zu. Die Marienfarb­en Blau-Rot gehen in das Wappen ein, das die aufstreben­de Stadt sich jetzt zulegt. Denn die Menschen hängen an ihrer Pfarrkirch­e. Kaum einer, der ihren Ausbau nicht mit einem testamenta­rischen Vermächtni­s, mit einer frommen Stiftung bedenkt – das spiegelt die religiöse Ergriffenh­eit der Bürgerscha­ft und der umwohnende­n Landbevölk­erung. Kein Zufall, dass aus dieser frommen Stadt Thomas Hemerken stammt, derVerfass­er des weltweit verbreitet­en Buches von der Nachfolge Christi.

Auf Siegfrieds Geheiß legen die Einwohner des Dörfchens Kempen sich gewaltig ins Zeug, um ihren Ort mit einer ersten Befestigun­g aus Erdwall und Graben zu

sichern.

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FOTO: KREISARCHI­V VIERSEN Die Kempener Altstadt um 1600 im Modell des Landschaft­smuseums Burg Linn.

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