Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie der Nikolaus auf den Kirchturm kam

Am Mittwoch steigt der Heilige Mann zusammen mit Nikodemus und Zarras zum nunmehr 95. Mal vom Turm der St. Cyriakus Kirche.

- VON BIANCA TREFFER

HÜLS Wenn am Mittwoch um Punkt 16 Uhr die Glocken der St. Cyriakus Kirche in Hüls läuten, dann sind alle Augen der unten stehenden Zuschauer auf den Kirchturm gerichtet. Dort erscheint nämlich jemand, der gerade von den kleinen Gästen mit größter Sehnsucht erwartet wird. In Hüls reist klassisch, einen Tag vor dem 6. Dezember, der Nikolaus an, und das schon seit 1923. Der Brauch ist mittlerwei­le in der ganzen Region beliebt, verbindet er doch sinnfällig christlich-religiöse Symbolik mit schönem, heiteren Brauchtum: Der Nikolaus steigt nahezu vom Himmel, sprich Turm, herab, bleibt der Kirche nahe und wendet sich dann den Menschen zu.

Der Gesellenve­rein Hüls, heute als Kolpingsfa­milie Hüls bekannt, hat diese Tradition ins Leben gerufen. Anfangs stieg der Nikolaus mit Nikodemus und Zarras vom Turm und besuchte danach sogar die Kinder der Kolpingsmi­tglieder daheim. Das himmlische Dreigestir­n macht heute keine Hausbesuch­e mehr, sondern reist auf dem über 60 Meter hohen Kirchturm an, umrundet winkend die Galerie dreimal, ist Sekunden später am Nebenporta­l erschienen — was so manchen Besucher in Erstaunen versetzt — und fährt anschließe­nd mit dem Wagen über den Marktplatz zum Rathaus, wo sich alle Besucher bei Glühwein und Kinderpuns­ch auf den Nikolausta­g einstimmen können. Dazu gibt es für die Kinder kostenfrei­e Weckmänner, die der Nikolaus höchstpers­önlich verteilt.

„Es ist ein Ereignis, das nicht nur die Hülser anzieht. Wir bekommen Besuch vom ganzen Niederrhei­n“, freut sich Bodo Brands, Vorsitzend­er der Kolpingsfa­milie Hüls und Organisato­r der Aktion. Anekdötche­n haben sich in den Jahren reichlich angesammel­t. So geschah es Anfang der 80er Jahre, dass die Gäste doppelt sahen. Oben auf dem Kirchturm winkte der Nikolaus mit Nikodemus und Zarras und unten trat eben derselbe mit seinem Gefolge aus der Kirchturmt­ür. „Da hat die Absprache zwischen den beiden Teams auf dem Turm und unten hinter dem Kirchenpor­tal nicht ganz hingehauen. Ich habe dann für das folgende Jahr direkt ein Feldtelefo­n vom DRK besorgt, damit so etwas nicht wieder passiert“, erinnert sich Brands mit einem Schmunzeln. Später ging ein Funkgerät aus der Firma, in der der Hülser arbeitete in den Einsatz. Danach folgten auch schon die Handys.

Vor rund fünf Jahren streikte indes der mit Spielzeuge­n behangene Sack. Die Bäume vor der Kirche wachsen jedes Jahr schließlic­h auch ein Stückchen und der Sack hatte sich beim Herunterla­ssen vom Kirchturm in den Ästen verfangen. „Wir haben mit dem Seil geruckelt, und irgendwann fiel der Sack. Das gab einen Riesenappl­aus“, erzählt der Kolpings-Vorsitzend­e. Ein anderes Mal stellte man hoch oben im Turm beim Öffnen des Koffers mit den Kostümen fest, dass etwas fehlte. Hier half das Handy weiter. „Wir haben telefonier­t, einer ist die schmale Turmtreppe runtergela­ufen und einer mit dem vermissten Teil nach oben. In der Mitte traf man sich, so ging alles relativ schnell“, beschriebt Brands die Situation. Allerdings hatte man sicherheit­shalber die Glocke angehalten, damit die nicht pünktlich um 16 Uhr den Besuch des Heiligen Mannes ankündigte. Sie schlug erst um 16.05 Uhr. „Der Aufstieg zum Turm ist so eng, dass man im Kostüm schlecht hinaufstei­gen kann. Daher ziehen sich die Darsteller immer oben um“, sagt Karl-Heinz Lichtenber­g.

Er kennt das Prozedere genau, schließlic­h ist der gebürtige Hülser 23 Jahre lang in die Rolle des unten wartenden Nikolauses geschlüpft. Er, der seit ewigen Zeiten Kolping angehört und über Jahre selber die Nikolaus-Tradition organisier­te, wurde seinerzeit angesproch­en, ob er sich nicht vorstellen könnte, die Rolle des heiligen Mannes zu übernehmen. Lichtenber­g konnte und blieb dem 23 Jahre treu. In seinen Anfangsjah­ren wurde die Kutsche noch mit Pferden gezogen, und der Zarras jagte mit seiner Rute und den Ketten so manchem Besucher einen Schrecken ein. Auch Brands gibt zu, dass er sich als Kind, wenn er mit seinen Eltern das Ereignis besuchte, vor dem Zarras gefürchtet hat. „Ich habe den Nikolaus wirklich gerne gemacht. Es kam viel von den Kindern und Eltern rüber. Aber irgendwann muss auch einmal Schluss sein“, sagt Lichtenber­g. Er wiederum sprach vor rund zehn Jahren Reinhard Bexkens an, der die Rolle übernahm und morgen erneut in den Einsatz geht. Ihm zur Seite steht Jörg Jäger als Nikodemus. Carina Draken ist der Zarras, der heute allerdings ganz anders daher kommt und keine Angst mehr verbreitet. Auf dem Turm steht indes ein weiteres Dreierteam.

„Wir können allen Helfern und Unterstütz­ern nur unseren Dank ausspreche­n. Ohne diese Hilfe wäre es uns nicht möglich, diese Tradition mit Leben zu füllen“, betont Brands. Ob es der Landwirt ist, der den Anhänger für den Nikolaus-Wagen zur Verfügung stellt oder die Halle, wo der festliche Wagen mit seinem Himmelsdac­h — hier sponsert ein Hülser Gardinenge­schäft den Stoff — mit vielen Helfern gebaut wird, die Hilfe von Feuerwehr und DRK in Sachen Absicherun­g — ein jeder trägt ein Stück dazu bei, dass der Nikolaus wieder vom Turm herabsteig­t und vorweihnac­htlich gefeiert werden kann.

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ARCHIV: STRÜCKEN Nikolaus und Nikodemus auf dem Dach von St. Cyriakus.
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RP-FOTOS (2): THOMAS LAMMERTZ Reinhard Bexkens (l.) ist der Hülser Nikolaus, der unten im Turm wartet, Jörg Jäger begleitet ihn als Nikodemus.Der Nikolaus-Wagen wird von vielen Helfern gebaut, ein Landwirt stellt dafür seine Scheune zurVerfügu­ng.
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