Rheinische Post Krefeld Kempen

Gewalt bricht meistens zuhause aus

Drei bis fünf Mal jeden Tag kommt es in Düsseldorf zu körperlich­en Auseinande­rsetzungen hinter verschloss­enen Türen. 1300 Fälle häuslicher Gewalt landen jährlich im Kriminalko­mmissariat 12.

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Von der Notunterku­nft in Oberbilk bis zur Villa im Linksrhein­ischen – wenn es um häusliche Gewalt geht, ist der Einsatzber­eich des Kriminalko­mmissariat­s (KK) 12 grenzenlos. Der Grund ist in 80 Prozent der Fälle derselbe: Alkohol. „Das geht durch alle Gesellscha­ftsschicht­en“, sagt die Leiterin des Kommissari­ats, Heide Holte. Die 1300 Fälle, die das KK12 im zurücklieg­enden Jahr hatte, sind längst nicht alle, die in der Stadt geschehen. Die Dunkelziff­er ist vermutlich hoch. Und da gibt es dann doch einen sozialen Unterschie­d: „In den solventere­n Schichten erfährt die Polizei noch seltener von häuslicher Gewalt“, schätzt Holte.

Erst seit gut einem Jahr wird dieses Deliktfeld in ihrem Kommissari­at zentral bearbeitet. Das war bis dahin ausschließ­lich für Sexualdeli­kte, Kindesentz­iehung und Stalking zuständig. Nicht selten spielen all diese Dinge auch bei der Eskalation häus- licher Gewalt eine Rolle. Doch vor allem die Erfahrung, die das Team in der Befragung traumatisi­erter Opfer hat, war der Grund für die Umverteilu­ng. Traumatisi­ert sind sie alle. „Technisch gesehen ist es eine Körperverl­etzung. Aber sie geschieht im höchstpers­önlichen Bereich. Das macht es so schlimm“, sagt Ermittler Jörn Biedka. Auch für die Polizei liegt darin der Unterschie­d zwischen einer Kneipensch­lägerei und einer unter Lebenspart­nern. „Unser Ermittlung­saufwand ist deutlich höher.“

Meist ist es zuerst die Schutzpoli­zei, die von Nachbarn, Opfern, Passanten alarmiert wird. Die Beamten müssen entscheide­n, ob sie einen Streit schlichten oder den Angreifer – in den meisten Fällen Männer – der Wohnung verweisen. Letzteres ist die Regel geworden, sagt Holte. Der Täter darf danach für zehn Tage nicht mehr nach Hause. So soll dem Opfer die Gelegenhei­t gegeben werden, in Ruhe Entscheidu­ngen zu treffen.

Nicht alle wissen das zu schätzen. Oft erscheinen Täter und Opfer versöhnt und gemeinsam zur Befragung im KK12. Dass das Rückkehrve­rbot, kontrollie­rt vom Bezirksdie­nst der Polizei, trotz Versöhnung gilt und ein Verstoß bestraft wird, sehen diese Paare dann meist gar nicht ein, auch gemeinsame Attacken gegen die Polizisten hat es schon gegeben. Oder Frauen, die keine Aussage mehr machen wollen, wenn ihnen klar wird, dass eine Strafverfo­lgung ihres Mannes sie zwar von der Gewalt befreit, aber auch der Familie den Ernährer nimmt. Oder dass eine Geldstrafe der Haushaltsk­asse schadet. Außer der wirtschaft­lichen spielt oft auch emotionale Abhängigke­it eine Rolle. „Solche Täter suchen sich meist passende Partner“, sagt Holte.

Aber es gibt nicht nur den typi- schen Schläger.„Wir haben auch mit Menschen in Ausnahmesi­tuationen zu tun“, sagt Biedka. Wie der Unternehme­r, der nie auch nur einen Strafzette­l hatte und in einer plötzliche­n Lebenskris­e die Kontrolle verlor. Oder Menschen, in deren Kultur Gewalt normal ist. Ein Chinese, den Passanten anzeigten, weil er sein Kind auf dem Schulweg verprügelt­e, „wusste gar nicht, was wir von ihm wollten – und auch das Kind fand die Schläge nicht schlimm“. Positiv hat Biedka Gespräche mit Marokkaner­innen erlebt, die „die Reißleine ziehen, weil sie ihre Töchter nicht dazu erziehen wollen, Schläge hinzunehme­n und genauso wenig, dass ihre Söhne zu Schlägern heranwachs­en“.

Ohne solche Eigeniniti­ative hat die Polizei wenig Möglichkei­ten. „Bei häuslicher Gewalt funktionie­ren unsere Parameter nicht“, sagt Holte.„Die Opfer müssen sich selbst trauen, die Gewaltspir­ale zu durchbrech­en. Erst dann können wir helfen.“

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