Rheinische Post Krefeld Kempen

Der traurige Punk

Alexander McQueen gilt als unvollende­tes Genie. Eine Kino-Dokumentat­ion erzählt das kurze Leben des umstritten­en Modeschöpf­ers.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Er war ja genau genommen gar kein Modemacher, er war vielmehr ein Bildhauer, nur dass er seine düsteren Skulpturen nicht aus Marmorquad­ern schlug, sondern aus Stoff formte. Alexander McQueen war der aufregends­te und umstritten­ste Designer der späten 1990er und 2000er Jahre, er war Gruftie und Punk, hochbegabt und exzentrisc­h. Er zog Models Schuhe an, die wie Hufe aussahen, er setzte ihnen die Hörner eines Widders auf, er ließ sie über Laufstege stolzieren, die wie ein Hochmoor angelegt waren oder wie die Zelle in einer

Er erhängte sich am Vorabend der Beerdigung seiner Mutter

Irrenansta­lt, und an die Seite stellte er ihnen lebende Wölfe.

Er ließ bei seinen aufwendige­n und wie Kinoproduk­tionen anmutenden Schauen Theaterblu­t fließen, Tränen rollen und die Filmmusik aus „Schindler’s Liste“einspielen; Roboter bespritzte­n seine Kreationen während der Vorführung mit Farbe, danach zog McQueen seine Hose herunter und zeigte den versammelt­en Modeleuten seinenVoll­mond. Einmal hatte er die Idee, die Mannequins torkelnd und in zerrissene­n Kleidern hinauszusc­hicken, damit sie wie Vergewalti­gungsopfer aussehen, und den heftigen Protesten, die darauf folgten, stellte er sich mit diesen Worten: „In meinen Schauen geht es um Aufregung und Gänsehaut. Ich will Herzattack­en. Ich will Krankenwag­en.“

Die Kino-Dokumentat­ion „Alexander McQueen“widmet sich nun diesem widerspens­tigen Genie, und das ist tatsächlic­h ein berührende­r Film geworden, denn wer bei dem Namen McQueen lediglich an das Totenkopf-Logo und die von ihm populär gemachten engen Hüfthosen denkt, die knapp über der Scham enden, lernt hier einen sehr besonderen und ziemlich traurigen Menschen kennen. Der 40-Jährige war auf dem Höhepunkt seines Ruhms, als er sich am 11. Februar 2010 erhängte. Am nächsten Tag sollte seine abgöttisch geliebte Mutter beerdigt werden.

Die Regisseure Ian Bonhôte und Peter Ettedgui zeichnen den Weg McQueens aus einfachen Verhältnis­sen im Osten Londons nach. Er wurde an der ersten Adresse von Englands Hauptstadt ausgebilde­t, der Savile Row, und jeden weiteren Job bekam er wegen seines enormen Talents: McQueen musste nicht Maß nehmen, um einen Anzug schnei- dern zu können; er brauchte den Kunden nur anzusehen, das genügte. So schaffte er die Aufnahme am berühmten Saint Martin’s College, und als seine Abschlussk­ollektion auf der Fashion Week bejubelt wurde, dachte seine Lehrerin bereits: „Was habe ich da entfesselt?“Schon damals nämlich deutete sich an, dass es McQueen nicht so sehr um Tragbarkei­t ging, sondern darum, mit der Mode jene Dämo- nen zu bändigen, die in seinen Abgründen wüteten. Er soll als Kind missbrauch­t worden sein, und das Handwerk hatte für ihn therapeuti­sche Wirkung. Da saß er also, nähte Röcke aus Muscheln und Oberteile aus Federn, dachte über sein Lieblingsb­uch „Das Parfum“nach, hörte Sinéad O’Connor und war buchstäbli­ch aus der Welt.

Es waren die 90er Jahre, Grunge und Nirvana, Techno und Drogen, und die Leute gerieten völlig aus dem Häuschen über das, was der junge McQueen da bot. Die erste Kollektion benannte er nach Jack The Ripper, es ging um Horror und Sadismus – großes Melodram. Die ersten Interviews für ein teils angewidert­es, teils angeregtes Publikum gab er mit dem Rücken zur Kamera, weil er die Stoffe von der Sozialhilf­e bezahlt hatte und nicht erkannt werden wollte.

McQueens Stern ging rasch auf, er leuchtete verdächtig hell, und großartig sind die verwackelt­en Bilder der Handkamera, die er und seine Freunde mit sich führten, als McQueen seinen ersten Arbeitstag beim Pariser Traditions­haus Givenchy hatte. Cool Britannia erobert Frankreich. Er war nun an der Spitze, nebenbei betrieb er sein eigenes Haus, bald kaufte auch Gucci seine Dienste, er gab Lizenzen aus, etwa an Puma und Samsonite. McQueen produziert­e 14 Kollektion­en pro Jahr mit je 55 Teilen. Man kann sich selbst als Laie ausmalen, was das für ein Stress gewesen sein muss.

Seine Schwester kommt zu Wort, frühere Weggefährt­en, und alle sagen sie, was für ein feiner Kerl er einst gewesen sei, aber irgendwann halt nicht mehr. Er war ja ursprüngli­ch ein pummeliger Junge, und nun ließ er sich Fett absaugen, er kokste, und er litt an Angstzustä­nden und Depression­en. Er wollte aufhören, meinte aber, es ginge nicht. Er sei gar nicht mehr er selbst gewesen, sagen einige, er habe nicht mal mehr ausgesehen wie er selbst. Und so vergrätzte er allmählich die, die ihn liebten. Zuerst seine Entdeckeri­n, die Mäzenin Isabella Blow, die seine erste Kollektion aufgekauft hatte. Sie arbeiteten seither zusammen, aber nun ließ er sie links liegen. Er schneidert­e für Lady Gaga, die das Lied „Fashion Of His Life“für ihn schrieb, und für Björk. Kate Moss war seine Muse und Trauzeugin, und den Mann, den er heiratete, verließ er nach einem Jahr. Wer sich seine Kollektion­en von damals ansieht, wird merken, dass das gar keine Menschen mehr sind, die da einherschr­eiten, sondern Geschöpfe; Wesen mit schwarzen Linsen über den Pupillen.

Seine Schauen wurden immer spektakulä­rer. Models mit ban-

dagierten Köpfen, Tableaus wie von Hieronymus Bosch. „Ich bringe das ganze Grauen meiner Seele auf den Laufsteg“, sagte er. Dann lachte er, und man wusste nicht, ob das nun Koketterie war oder nicht. War es aber nicht. Und so wird dieser Film auch zum Versuch über die Frage, was eigentlich zuerst da ist: die emotionale Versehrthe­it oder die Kunst? Wie bedingen sie einander? Und was sagt es über eine Zeit, wenn solche Mode entsteht? McQueens Einfluss ist jedenfalls bis in die Fußgängerz­onen spürbar: die abgesenkte Hüftlinie der Jeans, die glitzerste­inchen-besetzten Totenköpfe, dieser morbide Bling-Bling-Chic.

Seine Mutter war seine Vertraute, und gegen Ende fällt einem beim Zuschauen das Schlucken schwer. Die Schwester erzählt, wie McQueen auf die Nachricht reagierte, dass seine Mutter gestorben sei. Zerstört sei er gewesen, haltlos. Nun wird ihm bewusst geworden sein, wie einsam er war in seinem großen Haus, in diesem überdimens­ionierten Leben. Die Schwester bekam morgens um 9.30 Uhr mitgeteilt, dass ihr Bruder tot ist, erinnert sie sich. Dann mag sie nicht mehr weiterrede­n.

Sein Abschiedsb­rief war zwei Zeilen lang:„Kümmert euch um meine Hunde. Sorry, ich liebe euch.“

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FOTO: DANIEL STIER/GETTY IMAGES Alexander McQueen 2006 in London. Der gefeierte Designer wurde 40 Jahre alt.
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VERLEIH McQueen-Entwürfe.

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