Rheinische Post Krefeld Kempen
Der traurige Punk
Alexander McQueen gilt als unvollendetes Genie. Eine Kino-Dokumentation erzählt das kurze Leben des umstrittenen Modeschöpfers.
DÜSSELDORF Er war ja genau genommen gar kein Modemacher, er war vielmehr ein Bildhauer, nur dass er seine düsteren Skulpturen nicht aus Marmorquadern schlug, sondern aus Stoff formte. Alexander McQueen war der aufregendste und umstrittenste Designer der späten 1990er und 2000er Jahre, er war Gruftie und Punk, hochbegabt und exzentrisch. Er zog Models Schuhe an, die wie Hufe aussahen, er setzte ihnen die Hörner eines Widders auf, er ließ sie über Laufstege stolzieren, die wie ein Hochmoor angelegt waren oder wie die Zelle in einer
Er erhängte sich am Vorabend der Beerdigung seiner Mutter
Irrenanstalt, und an die Seite stellte er ihnen lebende Wölfe.
Er ließ bei seinen aufwendigen und wie Kinoproduktionen anmutenden Schauen Theaterblut fließen, Tränen rollen und die Filmmusik aus „Schindler’s Liste“einspielen; Roboter bespritzten seine Kreationen während der Vorführung mit Farbe, danach zog McQueen seine Hose herunter und zeigte den versammelten Modeleuten seinenVollmond. Einmal hatte er die Idee, die Mannequins torkelnd und in zerrissenen Kleidern hinauszuschicken, damit sie wie Vergewaltigungsopfer aussehen, und den heftigen Protesten, die darauf folgten, stellte er sich mit diesen Worten: „In meinen Schauen geht es um Aufregung und Gänsehaut. Ich will Herzattacken. Ich will Krankenwagen.“
Die Kino-Dokumentation „Alexander McQueen“widmet sich nun diesem widerspenstigen Genie, und das ist tatsächlich ein berührender Film geworden, denn wer bei dem Namen McQueen lediglich an das Totenkopf-Logo und die von ihm populär gemachten engen Hüfthosen denkt, die knapp über der Scham enden, lernt hier einen sehr besonderen und ziemlich traurigen Menschen kennen. Der 40-Jährige war auf dem Höhepunkt seines Ruhms, als er sich am 11. Februar 2010 erhängte. Am nächsten Tag sollte seine abgöttisch geliebte Mutter beerdigt werden.
Die Regisseure Ian Bonhôte und Peter Ettedgui zeichnen den Weg McQueens aus einfachen Verhältnissen im Osten Londons nach. Er wurde an der ersten Adresse von Englands Hauptstadt ausgebildet, der Savile Row, und jeden weiteren Job bekam er wegen seines enormen Talents: McQueen musste nicht Maß nehmen, um einen Anzug schnei- dern zu können; er brauchte den Kunden nur anzusehen, das genügte. So schaffte er die Aufnahme am berühmten Saint Martin’s College, und als seine Abschlusskollektion auf der Fashion Week bejubelt wurde, dachte seine Lehrerin bereits: „Was habe ich da entfesselt?“Schon damals nämlich deutete sich an, dass es McQueen nicht so sehr um Tragbarkeit ging, sondern darum, mit der Mode jene Dämo- nen zu bändigen, die in seinen Abgründen wüteten. Er soll als Kind missbraucht worden sein, und das Handwerk hatte für ihn therapeutische Wirkung. Da saß er also, nähte Röcke aus Muscheln und Oberteile aus Federn, dachte über sein Lieblingsbuch „Das Parfum“nach, hörte Sinéad O’Connor und war buchstäblich aus der Welt.
Es waren die 90er Jahre, Grunge und Nirvana, Techno und Drogen, und die Leute gerieten völlig aus dem Häuschen über das, was der junge McQueen da bot. Die erste Kollektion benannte er nach Jack The Ripper, es ging um Horror und Sadismus – großes Melodram. Die ersten Interviews für ein teils angewidertes, teils angeregtes Publikum gab er mit dem Rücken zur Kamera, weil er die Stoffe von der Sozialhilfe bezahlt hatte und nicht erkannt werden wollte.
McQueens Stern ging rasch auf, er leuchtete verdächtig hell, und großartig sind die verwackelten Bilder der Handkamera, die er und seine Freunde mit sich führten, als McQueen seinen ersten Arbeitstag beim Pariser Traditionshaus Givenchy hatte. Cool Britannia erobert Frankreich. Er war nun an der Spitze, nebenbei betrieb er sein eigenes Haus, bald kaufte auch Gucci seine Dienste, er gab Lizenzen aus, etwa an Puma und Samsonite. McQueen produzierte 14 Kollektionen pro Jahr mit je 55 Teilen. Man kann sich selbst als Laie ausmalen, was das für ein Stress gewesen sein muss.
Seine Schwester kommt zu Wort, frühere Weggefährten, und alle sagen sie, was für ein feiner Kerl er einst gewesen sei, aber irgendwann halt nicht mehr. Er war ja ursprünglich ein pummeliger Junge, und nun ließ er sich Fett absaugen, er kokste, und er litt an Angstzuständen und Depressionen. Er wollte aufhören, meinte aber, es ginge nicht. Er sei gar nicht mehr er selbst gewesen, sagen einige, er habe nicht mal mehr ausgesehen wie er selbst. Und so vergrätzte er allmählich die, die ihn liebten. Zuerst seine Entdeckerin, die Mäzenin Isabella Blow, die seine erste Kollektion aufgekauft hatte. Sie arbeiteten seither zusammen, aber nun ließ er sie links liegen. Er schneiderte für Lady Gaga, die das Lied „Fashion Of His Life“für ihn schrieb, und für Björk. Kate Moss war seine Muse und Trauzeugin, und den Mann, den er heiratete, verließ er nach einem Jahr. Wer sich seine Kollektionen von damals ansieht, wird merken, dass das gar keine Menschen mehr sind, die da einherschreiten, sondern Geschöpfe; Wesen mit schwarzen Linsen über den Pupillen.
Seine Schauen wurden immer spektakulärer. Models mit ban-
dagierten Köpfen, Tableaus wie von Hieronymus Bosch. „Ich bringe das ganze Grauen meiner Seele auf den Laufsteg“, sagte er. Dann lachte er, und man wusste nicht, ob das nun Koketterie war oder nicht. War es aber nicht. Und so wird dieser Film auch zum Versuch über die Frage, was eigentlich zuerst da ist: die emotionale Versehrtheit oder die Kunst? Wie bedingen sie einander? Und was sagt es über eine Zeit, wenn solche Mode entsteht? McQueens Einfluss ist jedenfalls bis in die Fußgängerzonen spürbar: die abgesenkte Hüftlinie der Jeans, die glitzersteinchen-besetzten Totenköpfe, dieser morbide Bling-Bling-Chic.
Seine Mutter war seine Vertraute, und gegen Ende fällt einem beim Zuschauen das Schlucken schwer. Die Schwester erzählt, wie McQueen auf die Nachricht reagierte, dass seine Mutter gestorben sei. Zerstört sei er gewesen, haltlos. Nun wird ihm bewusst geworden sein, wie einsam er war in seinem großen Haus, in diesem überdimensionierten Leben. Die Schwester bekam morgens um 9.30 Uhr mitgeteilt, dass ihr Bruder tot ist, erinnert sie sich. Dann mag sie nicht mehr weiterreden.
Sein Abschiedsbrief war zwei Zeilen lang:„Kümmert euch um meine Hunde. Sorry, ich liebe euch.“