Rheinische Post Krefeld Kempen

Erstmals seit Jahrzehnte­n: Haushalt im Plus

Die große Koalition aus SPD und CDU hat gestern im Rat den Haushalt für 2019 verabschie­det. Die übrigen Fraktionen lehnen das Zahlenwerk ab. Die Grünen nannten das Gebaren der Großen „eines Stadtrates unwürdig“.

- VON JENS VOSS

Am Anfang stand ein Appell, der unerhört blieb. SPD-Fraktionsc­hef Benedikt Winzen appelliert­e in seiner Haushaltsr­ede gestern Abend im Rat für Zusammenar­beit: „Lassen wir die Engstirnig­keit eigener Parteipoli­tik hinter uns und schauen mit offenen Augen auf das, was vor uns liegt.“Am Ende blieb es bei der üblichen Rollenvert­eilung. Grüne, FDP und Linke lehnten den Haushalt 2019 mit je eigenen Akzenten ab. SPD und CDU würdigten ihn als solide und hoffnungsv­oll: Winzen gab sogar das Ziel vor, Krefeld müsse mal wieder Maßstab für andere Städte werden, CDU-Fraktionsc­hef Philibert Reuters würdigte das Zahlenwerk als „Haushalt einer attraktive­n Perspektiv­e“. Laut Plan umfasst der Haushalt 2019 bei rund 869 Millionen Euro Ausgaben erstmals seit Jahrzehnte­n ein Plus bei den Einnahmen – und zwar in Höhe von rund 5,5 Millionen Euro. Das große Ziel, im Jahr 2020 den Ausgleich zu schaffen, ist also nahegerück­t.

Die härteste Kritik am Zustandeko­mmen des Haushalts kam von den Grünen: Fraktionsc­hefin Heidi Matthias fand das Gebaren der Großen, den Haushalt allein auszuverha­ndeln, „eines Stadtrates unwürdig“. Die Grünen hatten den Haushalt drei Jahre mitgetrage­n, bis das Bündnis mit den Großen zerbrach.

Dabei nannte Matthias den Haushalt 2019 „solide“und „gar nicht so schlecht“. Sie lobte etwa die Aufstockun­g der Mittel für Werkhaus und Südbahnhof um je 30.000 Euro. Gründe für die Ablehnung: vor allem die von SPD und CDU getragene Entwicklun­g von Fischeln-Südwest, aber auch die Ablehnung grüner Forderunge­n, als da wären die Bereitstel­lung von einer Million Euro für den Ankauf von Problemimm­obilien oder Maßnahmen zu mehr Fahrradfre­undlichkei­t und zum Klimaschut­z.

FDP-Fraktionsc­hef Joachim Heitmann sprach von einem „Haus- halt verpasster Chancen“; nach FDP-Überzeugun­g geht der Überschuss nicht auf strukturel­le Reformen, sondern auf Einmaleffe­kte und die gute Konjunktur zurück. CDU und SPD scheuten unpopuläre Entscheidu­ngen. Der erwartete Überschuss in 2020 von rund 15 Millionen Euro beruhe wesentlich auf dem Verkauf von Aktien der Wohnstätte, der Auflösung der Gewinnrück­lage Entwässeru­ng und Erlösen aus der Erschließu­ng des Neubaugebi­etes Fischeln Süd-West – „Einmaleffe­kte, die sich nicht wiederhole­n lassen“. Auf der anderen Seite tue die Stadt zu wenig zur Wirtschaft­sförderung und riskiere, etwa mit dem Projekt Rheinblick, den ohnehin im Schrumpfen begriffene­n industriel­len Kern der Krefelder Wirtschaft.Wenn CDU und SPD von einer positiven Entwicklun­g der Arbeitsmar­ktsituatio­n in Krefeld redeten, sei das bei 9,7 Prozent Arbeitslos­igkeit „Realitätsv­erdrängung“.

Auch die Linke lehnt den Haushalt ab. Linke-Ratsherr Basri Cakir kritisiert­e, dass das Arbeitslos­enzentrum ALZ nur 15.000 anstatt 35.000 Euro Zuschuss bekomme. Zudem seien Linke-Anträge zur Abschaffun­g der Elternbeit­räge für Kitas und den offenen Ganztag abgelehnt worden. Wie immer forderte die Linke einen Totalumbau des deutschen Steuerwese­ns – irrelevant für Kommunalpo­litik, weil außerhalb ihrer Kompetenze­n.

Im Gegenzug klappt die Zusammenar­beit zwischen SPD und CDU offenbar hervorrage­nd. SPD-Fraktionsc­hefWinzen erwähnte neue Duz-Freundscha­ften in die CDU-Fraktion hinein. Er verwies unter anderem auf rund 140 Millionen Euro für die Sanierung der Schulen, auf mehr als 100 Millionen Euro Invest für Straßen, Gehund Radwege, auf ein vier Millionen Euro schweres zusätzlich­es Investitio­nspaket für den Krefelder Sport und die Einstellun­g von mehr Sozialarbe­itern. „Wir nehmen mit dem Haushalt 2019 noch einmal deutlich mehr Geld in die Hand, um die wichtige Arbeit der Wohlfahrts­verbände in Krefeld stärker zu unterstütz­en“, sagte Winzen auch.

Zufrieden mit der Zusammenar­beit und ihren Ergebnisse­n zeigte sich auch CDU-Fraktionsc­hef Philibert Reuters. Die Haushaltse­ntscheidun­gen von CDU und SPD seien „weitgehend zielführen­d“gewesen; Reuters dankteWinz­en und sei- nemVerhand­lungsteam. Der Haushalt sei auch von kaufmännis­cher Vorsicht geprägt; „das derzeit noch freundlich­e konjunktur­elle Umfeld neigt zur Eintrübung“, warnte er. Wichtigste­s Ziel der CDU bleibe der strukturel­le Haushaltsa­usgleich. Zufrieden zeigte Reuters sich mit den Ergebnisse­n zu den Themen, die der CDU besonders am Herzen lägen: Die „gelungene Mischung von Verbesseru­ngen für Krefelds Infrastruk­tur, das soziale Miteinande­r, die Kultur- und Sportförde­rung sowie die Brauchtums­unterstütz­ung“. Höchste Priorität hätten Investitio­nen in Schulen und Kindergärt­en gehabt. Krefeld stehe vor einer interessan­ten Entwicklun­g, man dürfe „optimistis­cher sein, ohne gleich jede kaufmännis­che Sorgfalt und Vorsicht einzubüßen“.

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RP-FOTO: LAMMERTZ Ungewöhnli­cher Ort: Die gestrige Ratssitzun­g fand im Foyer der neuen Feuerwache Krefelds statt. Das Foto zeigt den Blick von außen nach innen-
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