Rheinische Post Krefeld Kempen

Von wegen Mini-Merkel

- VON MICHAEL BRÖCKER SIE KONNTE, WOLLTE UND WURDE, TITELSEITE

Was für ein Parteitag. Was für ein Adrenalins­chub. Und wir reden hier über die CDU. Am Ende gewinnt die 56-jährige Politikwis­senschaftl­erin Annegret Kramp-Karrenbaue­r aus dem kleinen saarländis­chen Städtchen Püttlingen den Kampf um den CDU-Vorsitz, weil sie die bessere Rede gehalten hat, weil sie strategisc­h klug im Sozialflüg­el, in der Frauen-Union und den liberalen Landesverb­änden Netzwerke geschmiede­t und sich thematisch breit aufgestell­t hat. Sie hat gewonnen, weil sie glaubhafte­r als Merz sagen konnte, dass sie den Laden zusammenha­lten und Angela Merkel nicht aus dem Regierungs­amt drängen will. Die CDU-Delegierte­n wollten mehrheitli­ch keinen Risikofakt­or im Adenauer-Haus. Insofern ist die Wahl Kramp-Karrenbaue­rs auch eine Wahl gegen den Bruch mit der Ära Merkel. Aber, und das ist wohl der wichtigste Grund für die Wahl von „AKK“zur neuen CDU-Vorsitzend­en, die so oft unterschät­zte CDUFrau hat bewiesen, dass sie eben nicht eine Kopie von Angela Merkel ist. Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat diese Wahl alleine, eigenständ­ig und mit einem thematisch breiten Angebot gegen einflussre­iche Gegner im konservati­ven (männerdomi­nierten) Flügel gewonnen. Das ist ihr Sieg. Als Schreckges­penst für diesen Flügel taugt sie aber trotz des apokalypti­schen Trommelwir­bels einiger Merz-Unterstütz­er nicht. Kramp-Karrenbaue­r hat als Innenminis­terin und später als Ministerpr­äsidentin gezeigt, dass sie im Kernbereic­h der Konservati­ven, bei der inneren Sicherheit, keine Kompromiss­e macht. Es war das Saarland, das als erstes Bundesland Identitäts­prüfungen für junge Flüchtling­e und Ankerzentr­en einführte. Auch wenn Kramp-Karrenbaue­r dem sozialpoli­tischen Flügel angehört, will sie die vollständi­ge Abschaffun­g des Soli und die Entlastung der Unternehme­n von Bürokratie. Ein Linkskurs ist mit dieser Vorsitzend­en nicht zu erwarten. wei große Aufgaben muss die neueVorsit­zende, die vielleicht nicht 2019, aber dann doch 2021 Bundeskanz­lerin werden will, jetzt anpacken. Sie muss eine Antwort auf die europapoli­tischen Vorschläge von Emmanuel Macron finden und der Bevölkerun­g sagen, wo Deutschlan­d auf Souveränit­ät verzichten will, wo mehr Europa auch mehr finanziell­e Ressourcen bedeuten könnte und wo dabei die Grenzen liegen. Letzteres ist wichtig. Eine EU, die sich mit den großen Wirtschaft­sregionen USA und China messen will, muss auf Wettbewerb­sfähigkeit setzen, auf solide nationale Haushalte und ein klares Bekenntnis zu Innovation. MancheVors­chläge, etwa der einer europäisch­en Arbeitslos­enversiche­rung, gehören nicht zu einer solchen Fitnesskur. Und die neue CDU-Chefin muss helfen, das Vertrauen in den Rechtsstaa­t wiederzube­leben. Dazu gehört eine konsequent­e Strafverfo­lgung, eine Stärkung der Justiz und der Polizei. Das Thema Flüchtling­e braucht keine grundsätzl­iche Aufarbeitu­ng, wie es Kramp-Karrenbaue­r mit Blick auf 2015 gefordert hatte. Es reicht, wenn das Land die Politik zwischen Asylrecht und Fachkräfte­zuzug über das Einwanderu­ngsgesetz ernst nimmt, abgelehnte Asylbewerb­er konsequent abschiebt und null Toleranz bei gewaltbere­iten jungen, männlichen Flüchtling­en zeigt. ntscheiden­d wird auch sein, wie Kramp-Karrenbaue­r ihre Rolle an der Seite ihrer Vertrauten, der Bundeskanz­lerin, wahrnimmt. Inhaltlich­e Profilieru­ng und zugleich Stabilität für die Koalition ist im Alltag eine Gratwander­ung. Für Angela Merkel ist die Wahl Kramp-Karrenbaue­rs optimal, sie kann wahrschein­lich bis 2021 regieren, wenn die SPD nicht den Stecker zieht. Für das politisch linke Lager ist die neue CDU-Vorsitzend­e eine schlechte Nachricht. Ein schneidige­r neuer Chef Merz hätte Rot-Rot-Grün mobilisier­t. Kramp-Karrenbaue­r eignet sich mit ihrem fairen und unprätenti­ösen Politiksti­l nicht als Hassfigur. Es komme auf die „innere Stärke, nicht äußere Lautstärke“an, sagte sie in ihrer besten Passage in der Bewerberre­de. Das ist vielleicht doch der einzige Punkt, in dem Kramp-Karrenbaue­r Angela Merkel ähnelt. Das hat ihr nicht geschadet. BERICHT

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