Rheinische Post Krefeld Kempen

Knochentro­cken und mit Herz

In ihrer letzten Rede als Parteichef­in erklärt Angela Merkel ihrer CDU, warum sie gut zusammenge­passt haben – obwohl beide oft miteinande­r fremdelten.

- VON KRISTINA DUNZ

HAMBURG 18 Jahre. Eine Generation. Eine Ära. Angela Merkel an der Spitze der CDU. Was es in dieser Zeit sonst noch so gab: drei Päpste, zehn SPD-Vorsitzend­e, 24 HSV-Trainer. Achtmal wurde die 64-Jährige in der Zeit vom US-Magazin „Forbes“zur mächtigste­n Frau der Welt gekürt. Zuletzt in diesem Herbst.

Und nun die letzte Rede als Parteivors­itzende. Dort, wo alles anfing 1990 beim Vereinigun­gsparteita­g der CDU von West und Ost. In Hamburg, ihrer Geburtssta­dt. Kanzler Helmut Kohl hatte die Physikerin aus der DDR gedrängt, auf die Bühne zu gehen und etwas zu sagen – „nichts Politische­s“, sondern etwas Persönlich­es. Merkel war 36 Jahre alt und aufgeregt. Privates gab sie wenig preis, sie sprach über den demokratis­chen Aufbruch. Zehn Jahre später war sie Vorsitzend­e.

Und nun wieder Hamburg. Merkel zieht Bilanz. 72 Landtags-, Bundestags- und Europawahl­en. Hoffen, bangen, jubeln, gewinnen und verlieren. Es wird ein Einblick in ihre Gefühlswel­t, die sie in all den Jahren zum großen Teil verriegelt hatte.

Jetzt spricht sie davon, dass der Dienst für die CDU für sie eine Her- zensangele­genheit gewesen sei, eine Freude, eine Ehre. Aber sie hält sich kurz. 34 Minuten werden reichen, um den 1001 Delegierte­n Merkels besonderes Verhältnis zur CDU zu erklären. Eine Beziehung, die auch etwas von Distanz und Misstrauen hatte. In beide Richtungen. Und am Ende wird gejubelt und geweint.

Merkel geht zurück an den Anfang, als sie im Jahr 2000 in Essen die Partei im Sumpf der Spendenaff­äre übernahm. „Ein kleines Wagnis“, sagt sie. Anstatt irgendein Motto mit Deutschlan­d, Zukunft oder Werten für den damaligen Parteitag zu wählen, entschied sie sich für: „Zur Sache“. „Typisch Merkel“, sagt sie selbst: „Knochentro­cken.“Kein Pathos, keine Show. Sie stellt fünf Fragen und beantworte­t sie selbst.

Was hat die CDU und Merkel zusammenge­führt? Die Spendenaff­äre und der „unerschütt­erliche Glaube“an eine erfolgreic­he Zukunft, obwohl die Partei politisch, moralisch und finanziell vor dem Aus gestanden habe. Eine Schicksals­stunde.Was verdanken Partei und Chefin einander? Krisenbewä­ltigung, ethische Debatten, soziale, politische und finanziell­e Stabilität im Land. Sie habe der CDU viel zugemutet, aber auch umgekehrt. Was haben sich beide Seiten vorenthalt­en? Die Partei habe ihr nichts vorenthalt­en, sagt Merkel.„Ich umgekehrt schon.“Sie habe nicht die„deftigen, scharfen Angriffe gegen den politische­n Gegner“gefahren, die sich die Partei gewünscht habe.„Ich bin nicht über jedes Stöckchen gesprungen, das mir hingehalte­n wurde.“Der Parteitag jubelt. Delegierte raunen: „Genau das werden wir noch vermissen.“

Frage vier: „Warum trennen sich jetzt unsereWege?“Demokratie lebe von der Übereinkun­ft, dass Staatsdien­er immer für den inneren Frieden und Zusammenha­lt einzutrete­n hätten. Ihr Signal: ein Neuanfang an der Parteispit­ze. Sie bleibe ja Kanzlerin. Die Lager der drei Kandidaten warten darauf, ob Merkel ihren Pfad der Neutralitä­t verlässt. Sie tut es nicht. Nur ganz unterschwe­llig lobt sie Kramp-Karrenbaue­rsWahlerfo­lge und warnt vor Schärfe in der politische­n Auseinande­rsetzung.

So sagt sie fünftens: „Was wünschen wir einander?“Dass sie gemeinsam nie vergessen, was die christdemo­kratische Haltung ausmacht. „Niemals hetzen“, „niemals ausgrenzen“, „niemals ausspielen“. Oder in vier Worten ihres letzten Parteitags­mottos: „Zusammenfü­hren. Und zusammen führen.“

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