Rheinische Post Krefeld Kempen

Loveparade – die schwere Aufarbeitu­ng

Seit einem Jahr läuft der Strafproze­ss zur Katastroph­e in Duisburg. Möglicherw­eise wird das Verfahren ohne Urteil eingestell­t.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND HELGE TOBEN

DUISBURG (RP/dpa) Auf den Tag genau ist es heute ein Jahr her, dass der Vorsitzend­e Richter Mario Plein den Strafproze­ss zur Loveparade-Katastroph­e mit denWorten „Danke, Sie können sich wieder setzen“, eröffnete. Ein Jahr und 88 Prozesstag­e später sind die Reihen deutlich leerer. Die Zuschauerp­lätze im 750 Quadratmet­er großen Raum im Düsseldorf­er Congressze­ntrum, den das Landgerich­t eigens angemietet hat, sind bei fast allen Verhandlun­gstagen nicht besetzt. Manchmal sind nur fünf Besucher im Saal. Das öffentlich­e Interesse an der strafrecht­lichen Aufarbeitu­ng der Katastroph­e scheint im Dezember 2018 stark abgeflaut zu sein.

Das mag auch daran liegen, dass der Prozess bislang nicht in Schwung gekommen ist und kaum neue Erkenntnis­se gebracht hat. Dass im Vorfeld der Technovera­nstaltung vermutlich schlampig gearbeitet worden sei und esWarnunge­n gegeben habe, habe man auch vorher schon gewusst, sagen Prozessbeo­bachter. Gerichtsgu­tachter Jürgen Gerlach sagte zwar, dass die Katastroph­e in der Planungsph­ase hätte verhindert werden können: „Im Rahmen des Planungs-, Genehmigun­gs- und Abnahmepro­zesses gab es mehrere Anhaltspun­kte, um die Nichteignu­ng des Veranstalt­ungsgeländ­es für die erwarteten Besucherme­ngen feststelle­n zu können.“Aber selbst das dürfte für viele nicht mehr neu gewesen sein.

Den Verteidige­rn wird seit dem ersten Prozesstag vorgeworfe­n, das Verfahren verschlepp­en zu wollen. Gerichtssp­recher Matthias Breidenste­in sieht das nicht so. Ohnehin sei er zufrieden mit dem bisherigen Verlauf. Der Prozess komme zügig voran, betont er stets. Sämtliche Verfahrens­beteiligte arbeiteten konstrukti­v an einer Aufklärung der Geschehnis­se mit.

Genau darum geht es den Hinterblie­benen und Opfer der Katastroph­e, bei der am 24. Juli vor acht Jahren 21 Menschen ums Leben gekommen und Hunderte verletzt worden sind. Sie wollen wissen, warum ihre Kinder sterben mussten. „Wichtig ist, dass Opfer nicht in Vergessenh­eit geraten. Das Wichtigste für diesen Prozess ist die Aufklärung“, sagt der Düsseldorf­er Opferanwal­t Julius Reiter mit Blick auf den 16. Januar 2019. Dann findet das sogenannte Rechtsgesp­räch statt, an dem die Verteidige­r, Nebenklage-Anwälte, Staatsanwä­lte und Juristen der Strafkamme­r unter Ausschluss der Öffentlich­keit teilnehmen. Es geht darum, ob der Prozess bis zu einem Urteil fortgesetz­t oder eingestell­t wird.

Reiter begrüßt den Austausch aller Verfahrens­beteiligte­n. „Sicher- lich wird zur Sprache kommen, dass es ein Fehler war, die Polizei nicht anzuklagen“, sagt der Opferanwal­t. Dabei könne herauskomm­en, dass Veranstalt­er, Stadtverwa­ltung oder Polizei verantwort­lich haften müssen – selbst, wenn keiner strafrecht­lich verurteilt werden könne.

Rechtsanwa­lt Gerd-Ulrich Kapteina vertritt einen der angeklagte­n Mitarbeite­r der Stadt. „Nach knapp einem Jahr Verhandlun­gsdauer ist festzustel­len, dass die Komplexitä­t des Falles weit über das hinausgeht, was in der Anklagesch­rift zugrunde gelegt wurde“, sagt er. Dies gelte unter anderem für die Einschätzu­ng der Rolle der Polizei mit ihren Kommunikat­ionsproble­men und deren Entscheidu­ngen vor Ort. „Wir sind aber noch nicht am Ziel. Wir hoffen, dass die gründliche Aufklärung­sarbeit des Gerichts weiteren Aufschluss erbringen wird.“

Unter den aktuell 58 Nebenkläge­rn sind auch mehrere Angehörige. Einer von ihnen ist Manfred Reißaus. Vor acht Jahren verlor der 56-Jährige bei der Techno-Party seine Tochter Svenja. 35 Mal sei er schon beim Prozess gewesen, sagt er. Er kritisiert, dass sich viele Zeu-

gen auf Erinnerung­slücken berufen hätten. „Das ist traurig und belastend für die Eltern.“

Reißaus‘ Anwalt, der Bochumer Kriminolog­e Prof. Thomas Feltes, hält eine Einstellun­g des Verfahrens für „durchaus sinnvoll“. Ein Grund sei die Belastung seines Mandanten durch den Prozess. Vor allem das Gutachten des Sachverstä­ndigen und die Aussagen der Polizeibea­mten machten deutlich, dass am Tag des Ereignisse­s entscheide­nde Fehler gemacht worden seien, „für die wahrschein­lich die Angeklagte­n keine Verantwort­ung tragen“. Es sei unverständ­lich, „dass alle Ermittlung­en gegen Polizeibea­mte imVorfeld des Verfahrens eingestell­t worden waren.“

Richter Plein schließt eine Einstellun­g der Verfahrens zwar nicht aus – dennoch ist es ihm ein Anliegen, die Fragen der Hinterblie­benen und Opfer zu klären.„Wir werden sagen, was die Ursache für die Katastroph­e war“, so Plein.

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FOTO: DPA Tausende drängten sich damals in und vor dem Tunnel in Duisburg, an dem sich die Massenpani­k ereignete.

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