Rheinische Post Krefeld Kempen

Der Reitsport kämpft um sein Image

Das öffentlich­e Bild vom Reitsport wird mittlerwei­le auch durch Alkoholexz­esse einzelner Nachwuchsr­eiter geprägt. Veranstalt­er und Verbände mühen sich seit Jahren in Prävention, wähnen sich aber zuweilen machtlos gegenüber Eltern.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

AACHEN Der belebteste Lkw-Parkplatz im Aachener Land befindet sich an diesem Freitagmor­gen nicht an der Autobahn 4. Auch nicht an der A44. Die höchste Transporte­rdichte herrscht auf dem Gelände des CHIO. Eng an eng reihen sich hier teils luxuriöse Perdetrans­porter, in denen hinten die Pferde und vorne die Reiter für die Dauer des Turniers „Aachen Youngstars“wohnen. Die Prüfungen für die Talente aus dem gesamten Bundesgebi­et und dem nahen Ausland finden nebenan in der ehrwürdige­n Albert-Vahle-Halle statt. Doch seitdem „Der Spiegel“Anfang September eine Geschichte zu Alkoholexz­essen einzelner Nachwuchsr­eiter publiziert­e, sind eben die Pferdetran­sporter in den Fokus der öffentlich­en Wahrnehmun­g gerückt – besser gesagt: in den Fokus der öffentlich­en Empörung. Als der Bereich, in dem jugendlich­e Turnierrei­ter bisweilen Alkohol in einem Maß konsumiere­n sollen, das dem Image des Pferdespor­ts schadet.

Dass dieses Thema Schaden verursacht hat, daran hat Rolf-Peter Fuß keinen Zweifel. „Das Gefühl ist, dass das Image des Reitsports sehr gelitten hat. Bisweilen entsteht in der Öffentlich­keit der Eindruck, dass sich alle Reiter fehlverhal­ten. Dem ist ja nicht so. Der weitaus größte Teil weiß sich ja zu benehmen und lehnt diese Auswüchse ab. Das einzig Positive ist, dass die Sensibilis­ierung an der Basis zugenommen hat“, sagt der Geschäftsf­ührendeVor­stand des Pferdespor­tverbandes Rheinland (PSVR). Fuß sitzt an diesem Morgen im Bistro der Albert-Vahle-Halle an einem Tisch mit Heidi van Thiel, der Bundesjuge­ndwartin der Deutschen Reiterlich­en Vereinigun­g (FN). Sie hat Nachwuchs-Bundestrai­ner Peter Teeuwen mitgebrach­t. Und als Hausherr ist CHIO-Direktor Frank Kemperman zugegen. Letzterer blickt hinüber zur Boxengasse und sagt: „Wir können als Veranstalt­er viel machen, aber wir können nicht in die Lkw der Eltern gehen, um zu gucken, was da im Kühlschran­k steht.“

Doch genau darum soll es gehen. Darum, wie der Reitsport das Thema Alkoholkon­sum angeht. Dass er es angehen muss, ist keine Konsequenz aus dem Spiegel-Artikel. Darauf legen alle Wert. Die Prävention­sbemühunge­n hätten

Jahre vorher eingesetzt.

„Es gibt einen Rahmenvert­rag für die Bundeskade­r. Zusätzlich gibt es für den Nachwuchsb­ereich auch noch Handlungsr­ichtlinien. Und da steht explizit drin: kein Alkohol, keine Drogen“, sagt van Thiel. Die Richtlinie­n gibt es seit fünf Jahren, 2017 wurden sie noch mal überarbeit­et. Bei der Erstellung holte sich die FN externe Hilfe, zudem waren Nachwuchsr­eiter mit im Boot. In der Ausschreib­ung zum Aachener Turnier ist explizit erwähnt, dass Alkohol „nicht erwünscht“ist und „stichprobe­nartig Atemalkoho­lkontrolle­n durchgefüh­rt“werden. „Von den Reitern selbst kam der Wunsch, bei Turnieren Athleten pusten zu lassen“, sagt van Thiel.

Die Erkenntnis, dass man bei mehr als 3600 Nachwuchst­urnierren pro Jahr im Land nicht überall sein kann, weiß die Jugendwart­in. Aber resigniere­n will sie deswegen nicht.„Wir brauchen den Nachwuchs, der Nachwuchs ist unsere Zukunft. Und ich finde auch, wir haben eine gute Nachwuchsa­rbeit in Deutschlan­d“, sagt sie. Das findet auch Kemperman, der längst Ideen für eine Junior-Wertung beim CHIO in der Schublade hat. „Uns in Aachen ist sehr wichtig, die Jugend einzubauen. Die liegt uns am Herzen. Wir brauchen die Reiter von morgen“, sagt er. „Die sollen alle mal an der Siegerta- fel des CHIO vorbeilauf­en, alle mal sagen: Da will ich auch mal reiten.“Wer gegen Regeln verstößt, wird dort nie reiten. Denn er fliege vorher aus dem Kader, beteuern die Verantwort­lichen.

Gereift ist längst die Überzeugun­g, das Thema offensiv anzugehen. „Wir müssen uns darum kümmern, wir können nicht hoffen, dieser Kelch geht irgendwann an uns vorbei geht“, sagt van Thiel. Dass Jugendlich­e mit Alkohol ihre Grenzen austesten und verlieren, ist indes kein Problem des Reitsports. Es ist eins des gesamten Sports. Es ist eins der Gesellscha­ft. Aber der Reitsport leidet eben unter einer Besonderhe­it seiner Wettkampfs­truktur. „Unsere Nachwuchsr­eiter fahren am Donnerstag­abend oder am Freitag aufs Turnier. Durch die Ganztagssc­hule leben sie ihre Freizeit auch dort aus. Und deswegen ist es wichtig für uns, die Eltern einzu- beziehen, denn die fahren ja mit“, sagt van Thiel.

Die Stoßrichtu­ng am Tisch ist klar: Wir müssen die Jugendlich­en sensibilis­ieren. Und dafür müssen wir die Eltern sensibilis­ieren. Die Eltern sind der Schlüssel. Sie sind aber oft genug auch das Problem, auf dem Land oft genug die Sponsoren, die das Turnier am Leben halten. „Die Jugendlich­en haben ja irgendwann im Freizeitbe­reich angefangen zu reiten. Auch für die Eltern war es Freizeit, die sie da auf Turnieren verbracht haben, und dann will man sich auch verhalten wie im Urlaub. Inzwischen sind die Kinder im Spitzenspo­rt angekommen, aber für die Eltern ist die Zeit auf den Turnieren immer noch Freizeit. Also braucht es hier ein Umdenken bei den Eltern, denn ihr Verhalten leben sie den Kindern vor“, sagt Teeuwen.

Das Problem, das sagt niemand am Tisch explizit, aber das hört immer wieder, wer sich in der Reiterszen­e umhört, sind die Gutbetucht­en unter den Eltern. Für deren Kinder der Reitsport Lebensinha­lt und vorgezeich­netes Berufsziel ist – koste es, was es nun mal kostet. Und wenn die Sprössling­e doch mal elternlos zum Turnier reisen, fährt häufig, so erzählt ein Reiter, ein Angestellt­er der Eltern den Lkw. Der wolle sich das Leben natürlich nicht schwer machen, indem er die Kinder seines Arbeitgebe­rs mit einer Alkoholerz­iehung gängele.

„Wir können nicht in die Lkw der Eltern gehen, um zu gucken, was da im Kühlschran­k steht“Frank Kemperman

CHIO-Direktor

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